Wahnfried: Premiere für Neue Musik

Von Michael Weiser
Grals-Räume in Haus Wahnfried: Johannes Neuner mit dem Saxophon, Wolfram Graf am Flügel. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Spannend, aber theorielastig - das war der „Zeit-für-Neue-Musik“-Auftakt in Haus Wahnfried. Mit großer Neugier erwartet wegen eines Instruments - wegen des Gralsglockenklaviers, für das Wolfram Graf fünf Werke komponiert hatte. Was gefiel, und warum Klingsor nicht als Vorbild taugt.

 
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Bei einem Konzert stehen üblicherweise Komponist und Ausführende, sprich: Musiker im Mittelpunkt. Beim Auftakt der „Zeit für Neue Musik“ im Konzert „Grals-Räume“ für Klavier und Saophon gesellten sich dem zwei geheime Stars hinzu: Haus Wahnfried, das erstmals den Neutönern eine Bühne bot. Und: Eines jener legendären Gralsglockenklaviere, ein Nachbau, um genau zu sein, die Steingraeber für Richard Wagners „Parsifal“ entwickelt hatte. Und? Man darf sagen, die Mischung hat funktioniert, irgendwie, man kann gar nicht immer sagen, warum. Auf was es ankam, lesen Sie hier.

Wahnfried: Was beim Premierenkonzert los war

Das Publikum: Zahlreicher als bei vielen anderen Konzerten Neuer Musik. Spröde soll sie ja sein, diese Klangmalerei, so erzählt man es sich oft hinter vorgehaltener Hand. Unvertraut muss sie sogar sein: Neue Musik eben, auch im Sinne von: so hatten wir das noch gar nicht gehört. Diesen Ungewissheiten zum Trotz war Wahnfried gut besucht, so gut sogar, dass noch kurz vor Beginn Stühle hineingezwängt werden mussten in den Salon. Man muss da gar nicht über so etwas wie „Eventisierung“ mosern.

Das Haus: Schön, dass – wieder, nicht zum ersten Mal - Leben einkehrt ins Museum. Genau so, wie das schon damals war, unter dem verehrten Hausherren, mit Menschen, die gut gelaunt zusammenkommen, um sich mit und über Kunst zu unterhalten. Nur eben anders: Mit Neuer Musik. Die kann es so doch damals nicht gegeben haben, die heutzutage neue Musik. Und toll, wie das Haus mitschwingt: Wenn etwa bei Helmut Bieler Anklänge von „Siegfried“ zuhören sind, hallt es leise aus dem Vestibül nach – als dehne sich der deutsche Wald hinterm Auditorium.

Die Musik: War so neu dann auch wieder nicht. Nicht im Sinne von: Grenzen berühren, überschreiten. Schöne Musik etwa von Karel Reiner (1910 -1979), dissonant, manchmal düster, durchsetzt von Brüchen. Geprägt von der existenziellen Erfahrung des Bedrohtseins, der elementaren Unsicherheit eines Überlebenden des 20. Jahrhunderts. Es ist nicht immer gesagt, dass zeitgenössische Komponisten dem viel hinzuzusetzen haben. Sehr viel gewisser sind die Zeiten seitdem ja auch nicht mehr geworden. Bravourstücke von Helmut Bieler, Horst Lohse oder, fast schon mondän und tänzerisch beschwingt, von Paul Bonneau. Insgesamt: Gepflegt-gemäßigte Dissonanz, dann doch schon wieder vertraut. Aber doch spektakulär: Man hörte, was Klavier und Saxophon, trefflich bedient von Wolfram Graf und Johannes Neuner, im innigen Nebeneinander- und Zusammenspiel zu leisten vermögen.

Die Gralsglocken: Was für ein Motiv! Man erkennt es wieder, wenn nur drei der vier berühmten Töne erklingen, sogar, wenn dann aus dem A ein As wird. Ja, allein der Rhythmus genügt, und man sieht Parsifal und Gurnemanz der Gralsburg zustreben. Wolfram Bieler war so verwegen, fünf kurze Stücke für das Steingraebersche Instrument zu schreiben, zur Aufführung im Haus des Platzhirschen. Und ehrfürchtig genug, um das Publikum am heiligen Ort nicht vor den Kopf zu stoßen. Mit großem Kontrastreichtum, mit Linien, die neue Räume – nun ja, zeigen, andeuten? Gar beschreiten? Hm, man müsste das nochmals hören. Was man nach dem ersten Mal sagen kann: Wie sich Flügel, Saxophon und Vier-Töne-Klavier verbinden, wie sich da Obertöne in ungewöhnlichem Reichtum kreuzen, bündeln, wie sie einander aufschaukeln und neue Resonanzräume öffnen – das war etwas für Musik-Sommeliers: Interessante Gestalt, ein Hauch von Weihrauch, reicher Körper, erdiger Abgang könnte man als Verkoster sagen.

Die Musiker: Wolfram Graf ist Komponist. Und, das darf man nicht vergessen, ein guter Pianist. Die Akzente setzte Johannes Neuner am Saxophon. Höchstschwierigkeiten, eine wirklich unterhaltsame Launenhaftigkeit im Klangreichtum – auch das war ein Grund dafür, dass das Konzert spannend war. Dass sich Neuner im – übrigens hervorragenden „Perpetuum“ von Wolfram Graf – mal kurz verirrte: geschenkt. Eher sogar ein Bonus. Konzerte sind handgearbeitet, flüchtige Kunstwerke nur für einen gewissen Anlass. Mit allem Risiko des Strauchelns. Der vom Pianisten eingeforderte Neubeginn steigerte also eher noch die Intimität des Abends. Man hört, man staunt, dann stutzt man, lächelt kurz – und schon machen alle zusammen weiter.

Die Dramaturgie: Da fiel die so genannte Neue Musik auf den ihr eigenen Ruf der Spröde herein. Wolfram Graf sah sich offenbar unter Erklärungszwang. Nun ist es aber gar nicht wichtig zu erfahren, dass zum Beispiel die Akkorde zum Beginn des „Lohengrin“-Vorspiels in einzelne Töne aufgefächert wurden, um anschließend noch variierend eingefärbt zu werden. Es funkt. Oder es funkt nicht. Mehr muss man nicht wissen oder fühlen. Dass düstere Passagen eher dem Klingsor zugeordnet werden müssten – kann man sich denken oder nicht, ist aber für ein Werk aus eigener Geltung gar nicht mal so wichtig.

Klingsor, das ist im „Parsifal“ der gefallene Gralsritter, der sich aus Furcht vor der Sinnenfreude selbst entmannt hat. Von dergleichen ist die Neue Musik weit entfernt, natürlich. Etwas mehr Zutrauen in die eigene Sinnlichkeit aber darf sie schon zeigen.

INFO: Die nächsten Konzerte bei „Zeit für Neue Musik“: Freitag, 18. März 2016, 19.30 Uhr, Richard-Wagner-Saal Musikschule, Gedanken-Bilder, Ensemble Musica Viva; Samstag, 19. März, Klaviernacht bei Steingraeber. es spielen Moritz Ernst (u.a. Werke von Eötvös und Walter Boudreau), Michael Kuhn und Christoph Wünsch.

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