Wagner, ein Flüchtlingsschicksal

Von Michael Weiser
Wagner in Paris, zusammen mit Hund Robber - der sich bald erneut dünne machen wird. Flüchtete der Hund vor Wagners Geldproblemen? Karikatur: Matthias Ose Foto: red

Mit der Geschichte von Wagners Fluchten könnte man mindestens einen abendfüllenden Film bestreiten. Oder eben eine sehr unterhaltsame Ausstellung: Wagner, dem Flüchtling, widmet der Bayreuther Karikaturist Matthias Ose eine sehenswerte kleine Ausstellung, die sogar den Bogen zu Charly Chaplin und zur Avantgarde schlägt.  

 
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Im Dresdener Revolutionsjahr 1849 droht die Staatsgewalt mit dem Äußersten. Er entkommt mit falschem Pass. Wendet sich hierhin und dorthin. Und muss sich stets irgendwann wieder eiligst auf den Weg machen. Auch in Wien. Immerhin, der Tod droht ihm im Falle der Ertapptwerdens dort nicht mehr. Dafür unsägliche Peinlichkeit: In Frauenkleidern ergreift Richard Wagner 1864 die Flucht, vor dem Zugriff seiner Gläubiger. Über 50000 Euro Schulden hat er dort aufgehäuft. Nach München entkommen, bezieht er Logis im Bayerischen Hof. Wo er, bedrückt durch seine fast schon aussichtslose finanzielle Lage, schon mal seinen Grabspruch schmiedet: „Hier liegt Wagner, der nichts geworden, nicht einmal Ritter vom lumpigsten Orden, nicht einen Hund hinterm Ofen entlockt er, und Universitäten nicht mal nen Dokter.“

"Ein Riese in Fluchtangelegenheiten"

Eine Episode, die Matthias Ose prompt aufgegriffen hat. Er hat Richard Wagner gezeichnet, der sich bangen Blicks hinter einer Grabplatte versteckt, in die er seinen Reim gemeißelt hat Da naht von rechts ein Engel, der verkündet: „Fürchte dich nicht“. Der Engel trägt die Züge des Märchenkönigs – tatsächlich war es Ludwig II., der Wagner aus seiner Verlegenheit retten sollte.

Richard Wagner, der Flüchtling: So lautet das Thema einer Ausstellung mit Zeichnungen Matthias Oses, die aktuell in der Commerzbank in Bayreuth zu bewundern ist. Ein Thema von brennender Aktualität, könnte man sagen, der Anschein aber täuscht: Die Ausstellung war konzipiert und vereinbart, noch bevor Deutschland mit dem Elend von Flüchtlingen in großer, sehr großer Zahl konfrontiert wurde. Es schadet aber natürlich auch nicht, wenn man vor Augen geführt bekommt, dass auch dieser deutscheste aller als deutsch verstandenen Künstler immer wieder auf Asyl, Hilfe und Gnade angewiesen war. Immer wieder, das heißt: wirklich oft. „Bekanntlich war der kleine Herr Wagner (amtlicher Passeintrag: 1 Meter 65 stehende Länge) ein Riese auch in Fluchtangelegenheiten“, sagte Frank Piontek in seiner Einführung bei der Eröffnung. Man kann es auch so sagen: Wagners Fluchten aus Gründen von Liebeshändeln, Finanznöten, politischen Verwicklungen, winterlichen Verhältnissen oder Karrieretiefs sind fast ebenso legendär wie seine Werke.

Flucht vor dem Winter

Ose erzählt Wagners Leben als Kunst der Flucht, angefangen von seinen ersten Lebensmonaten bis hin zum Tod in Venedig. Ja, auch die finale Station Venedig, wo sich der Komponist des „Parsifal“ eigentlich auf fünf Jahre (!) einen Palazzo gemietet hatte, um in der ungemütlichen Jahreszeit Bayreuth fern und der südlichen Wärme nahe zu sein.

Ose strichelt seinen Wagner in verschiedensten wirklichen, erträumten oder denkbaren Situationen. Als Magier auf fliegendem Teppich in „Kleinasien“, als Freiheitsstatue in den Vereinigten Staaten – tatsächlich hatte sich Wagner ernsthaft mit dem Gedanken an eine Auswanderung in die USA getragen. In Paris, so sehen wir es auf einem anderen Blatt, begegnet der klamme Komponist nochmals seinem flüchtigen Hund Robber, der allerdings gleich nochmals stiften geht: Robber war offenbar das Dasein an der Seite eines Herrchens Richard Wagner zu viel des Hundeelends.

Ose strichelt fein, ein Verwandter Sempés, spielt gekonnt mit dem „Was wäre gewesen, wenn“ und reist quer durch die Kulturgeschichte. Souvenirs finden sich in vielen Aquarellen. Der „Tramp“ des Charly Chaplin etwa, der ernsthafte Wagnerianer Thomas Mann, „Die große Welle vor Kanagawa des Japaners Katsushika Hokusai, die Feininger-Kirche von Gelmeroda. Ja, der gebürtige Meininger Ose kennt seine Meister wie den Bayreuther Meister.

Alternative Biografie

Die Karikaturen erzählen eine alternative Biografie Wagners, zuverlässig in der Chronologie (fast durchgehend), fabulierend in der Ausschmückung. Oses Wagner ist ein sympathischer Wagner. Sympathisch deswegen, weil die in einem höheren Sinne wahrhaftigen Zeichnungen uns dem Großdramatiker näher kommen lassen. Ja, es muss so gewesen sein: im Leben dieses clownesken Genies muss es manchmal grotesk, mitunter fröhlich, manchmal einsam zugegangen sind. Im spielerischen Gestrichel Oses zeigt sich Wagner ganz frei nach Goethe: Hier ist er Mensch, hier darf er sein.

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