US-Wahl und Umfragen Die "blaue Welle" ist ausgeblieben

Von Bernhard Walker
Der blaue Esel, das Wappentier der US-Demokraten. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

BERLIN/WASHINGTON. Der Wahltag ist vorbei. Und auch wenn das Ergebnis noch lange nicht feststehen wird, haben weder die Demokraten noch die Republikaner den jeweils erhofften klaren Sieg erzielt. Bitter ist die Enttäuschung vor allem für Joe Bidens Demokraten. Viele von ihnen hatten sich eine „blaue Welle“ gewünscht (blau ist ihre Parteifarbe) - also ein Erdrutschsieg, der Biden schon am Wahlabend ins Weiße Haus tragen, die Macht im Repräsentantenhaus sichern und im Senat zurückerobern sollte. Doch diese Welle ist ausgeblieben.

 
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So zeigte sich am Mittwoch, dass Biden in manchen Staaten längst nicht so stark abschnitt, wie es in Umfragen erwartet worden war. Die Demoskopen hatten in vielen Erhebungen für Trump und Biden in Ohio und Texas Kopf-an-Kopf-Rennen vorhergesagt. Beide Staaten konnte Trump gewinnen. Auch in Florida hatte Biden in vielen Umfragen vorne gelegen - musste sich dort aber dem Amtsinhaber geschlagen geben. Schockiert zeigten sich am Mittwoch Anhänger der Demokraten auf Twitter über die Ergebnisse im Großraum Miami, in dem vielen Exilkubaner wohnen. Dort bekam Biden weitaus weniger Stimmen als Hillary Clinton, im Jahr 2016 die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. Landesweit reichte es in Florida somit nicht für einen Sieg Bidens.

Es ist also eingetreten, was Nate Silver vom Politikblog „Fivethirtyeight“ kurz vor dem Wahltag auf Basis aller Umfragen und eigener Analysen so formuliert hatte: Biden sei der Favorit - es gebe aber einen schmalen Grat zwischen einem Erdrutsch und einer Zitterpartie. Just diese Zitterpartie ist eingetreten - und das trotz Trumps‘ miserablem Krisenmanagement in der Pandemie und schlechten Wirtschaftsdaten. Beides hat Trump weit weniger geschadet, als viele Demoskopen erwartet und viele Demokraten erhofft hatten.

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In Arizona allerdings sah es am Mittwochnachmittag deutscher Zeit so aus, als könne Biden den zuvor prognostizierten Vorsprung in Stimmen ummünzen und den Staat gewinnen - einen Staat, der zuvor lange fest im „roten Lager“ der Republikaner war.

Im Rennen um den extrem wichtigen Bundesstaat Michigan zeichnet sich bei den US-Präsidentenwahlen am Nachmittag (MEZ) eine leichte Tendenz zugunsten des Trump-Herausforderers Joe Biden ab. Ob aber Pennsylvania und Wisconsin am Ende der Stimmauszählung blau oder rot eingefärbt werden, ist völlig offen.

Anders als in Arizona, Florida oder North Carolina werden dort die Briefwahl wie auch die Stimmen aus den Wahllokalen, die schon vor dem 3. November geöffnet waren, erst jetzt gezählt. Und weil es sich dabei um Millionen Wahlzettel handelt, kann es dauern, bis feststeht, wer die 46 Stimmen gewinnt, die Michigan, Pennsylvania und Wisconsin im Wahlleutegremium haben.

Die Demokraten sind zuversichtlich, dass sie am Ende dort die Nase vorn haben. Der Grund: Bisher habe sich bei Wahlen gezeigt, dass ihre Anhänger weit öfter als die Wähler der Republikaner per Brief oder vorab im Wahllokal abstimmen. Dieses Phänomen nennt sich „Blue Shift“, also eine Verschiebung zugunsten der Demokraten nach dem eigentlichen Wahltag. Wenn es am Dienstag also schon keine „blaue Welle“ gab, so der Hinweis aus dem Lager der Demokraten, könne es im Verlauf der jetzt beginnenden Stimmenauszählung sehr wohl zu der „blauen Verschiebung“ kommen, die Biden zum Sieger mache. Das ist keineswegs bloßer Zweck-Optimismus. Sonst würde nicht Trump versuchen zu verhindern, dass genau diese Stimmen ausgezählt werden.

Dieser Streitpunkt wird womöglich in unzähligen Gerichtsverfahren bis hin zum Verfassungsgericht, dem Supreme Court, geklärt. In Tagen oder Wochen könnte also eintreten, was die Demokraten inständig herbeisehnen: Trump verliert, Biden wird Präsident. Stand gestern allerdings verfehlte Biden in Pennsylvania und Wisconsin klar den Vorsprung, den er laut Demoskopen dort eigentlich haben sollte. Für Wisconsin war der Vorsprung zuletzt mit sogar satten acht Prozentpunkten geschätzt worden. Tatsächlich lag Trump am Mittwochnachmittag deutscher Zeit in Pennsylvania deutlich vor Biden, in den beiden anderen Staaten trennten sie jeweils nur wenige tausend Stimmen.

Noch allerdings kann es sein, dass Biden Staatschef wird. Mit einer Mehrheit im Senat sah es für die Demokraten am Mittwoch aber düster aus. Bleibt er in republikanischer Hand, würde es für einen Präsidenten Biden schwer, Gesetze durch den Kongress zu bringen und wichtige Posten oder Richterstellen zu besetzen. Da tröstet die Demokraten wohl nur, dass sie im Repräsentantenhaus voraussichtlich auch künftig mehr Sitze haben werden als die Republikaner.