Umzug in Awo-Wohnanlage Landkreis Kulmbach betreut rund 80 minderjährige Flüchtlinge

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Über 8200 minderjährige Flüchtlinge sind in diesem Jahr bereits in Bayern angekommen. Die Jugendämter in Südostbayern können den Zulauf nicht mehr bewältigen. Deshalb leisten andere Landkreise Amtshilfe. So auch der Landkreis Kulmbach, in dem derzeit rund 80 Kinder und Jugendliche als Flüchtlinge leben. Ein Großteil von ihnen fand jetzt in der Awo-Wohnanlage in der Schützenstraße eine neue Bleibe.

 
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Mehr als doppelt so viele unbegleitete, junge Flüchtlinge als im Vorjahr (3400) sind in diesem Jahr nach Bayern gekommen. Das sagte Landrat Klaus Peter Söllner am Montag in einem Gespräch zur Situation der minderjährigen Flüchtlinge.

Jugendämter in Südbayern überlastet

Weil die Kommunen im Süden an den Haupteinreiserouten "die massiven Zugänge" nicht mehr bewältigen könnten, seien bereits im Juli im BRK-Schülerwohnheim in der Flessastraße junge Flüchtlinge ohne Eltern aufgenommen worden. Seit kurzem dienen die Räume des früheren Betreuten Wohnens der Awo als Wohnheim. Doch es gehe nicht nur um die Unterbringung, so Söllner, sondern auch um sozialpädagogische Hilfe.

Nach dem "Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher" ist für sie die gesetzliche Kinder- und Jugendhilfe zuständig. Erst ab 2016 sollen sie bundesweit verteilt werden.

Wie alt sind sie wirklich?

"Bislang ist es uns gut gelungen, die Herausforderung zu meistern", sagt der Kulmbacher Jugendamtsleiter Klaus Schröder und dankt den Wohlfahrtsverbänden für ihre Unterstützung. In der Praxis sind er und seine Mitarbeiter mit vielerlei Aufgaben konfrontiert. Als Erstes schätzen sie das Alter der Ankömmlinge. Manche wissen das Geburtsdatum, andere nicht. Die Sozialpädagogen erhalten Hilfe von Übersetzern und versuchen, die Biografie der Flüchtlinge zu rekonstruieren. Wo sind die Eltern? Gibt es noch Verwandte? Welcher Fluchtweg wurde genommen? "Es gibt junge Menschen, die sind traumatisiert, weil sie extrem Schlimmes auf der Flucht erlebt haben", sagt Schröder.

"Die Erfahrungen sind so individuell wie die Gesichter"

Das Jugendamt übernimmt die Vormundschaft, begleitet die Minderjährigen zum Arzt, hilft bei Behördengängen. Im Herbst soll es zwei Berufsschulklassen für die Flüchtlinge geben. "Wir wollen auch Deutschkurse anbieten und freizeitpädagogische Angebote machen." Die Vorkenntnisse seien sehr unterschiedlich. Mancher spreche perfekt Englisch, andere könnten weder lesen noch schreiben. "Die Erfahrungen sind so individuell wie die Gesichter der jungen Menschen", sagt Schröder.

Neuland für die Arbeiterwohlfahrt 

59 männliche Heranwachsende wohnen seit einer Woche in der ehemaligen Awo-Wohnanlage für Betreutes Wohnen. "Ein Objekt, wie es idealer für diesen Zweck nicht sein kann", schwärmt Landrat Söllner. Landtagsvizepräsidentin und Awo-Kreisvorsitzende Inge Aures gibt zu, damit Neuland zu betreten. "Wir sind ins kalte Wasser gesprungen. Aber wir sehen uns auch in der Pflicht, für die Allgemeinheit etwas zu tun." Seit März sei die Wohnanlage geschlossen gewesen, die Verhandlungen mit einem Kaufinteressenten verliefen im Sande. Mittlerweile arbeiten dort sechs Awo-Mitarbeiter. Die Jugendlichen haben Zimmer mit eigenen Duschen und Toiletten. Es gibt einen Gemeinschaftsraum mit Kicker und Fernseher. Drei Mal am Tag erhalten sie Essen in der Kantine. "Das sind unkomplizierte junge Leute", sagt Aures über die jungen Afghanen, Syrer, Eritreer, Athiopiäer und Bangladeschi.

"Der Druck ist gigantisch"

Die Rummelsberger Heime betreuen an ihrem Standort in Fassoldshof rund 20 minderjährige Flüchtlinge. In ganz Oberfranken kümmern sie sich inzwischen um 100 Kinder und Jugendliche auf der Flucht, sagt Heilpädagoge Fritz Glock. Die Situation sei überall angespannt, deshalb sollten die Träger alle zusammenarbeiten. "Der Druck ist gigantisch", sagt Glock. Zu viele bürokratische Standards erschwerten jedoch die alltägliche Arbeit. Zum Beispiel die Stichtagsregelung für die Klassenbildung. Im Landkreis funktioniere vieles "auf dem kurzen Dienstweg", weil man sich gegenseitig vertraue. "Das ist ein Glücksfall." Zum Vergleich: Die Stadt Bayreuth hat derzeit 36, der Landkreis 20 Flüchtlinge aufgenommen.

Schramm sieht Versagen der Europapolitik

Kulmbachs Oberbürgermeister Henry Schramm hat großes Verständnis für die in Not geratenen Flüchtlinge. "Wer um sein Leben fürchten muss, für den muss Platz im reichen Deutschland sein." Die Stadt habe mit den Wohnungen am Hundsanger schon signalisiert, dass sie bereit sei, zu helfen. Schramm ist überzeugt, dass sich viele beruflich integrieren wollen. "Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft, wer anderes sagt, redet an der Realität vorbei." Außerdem konnte sich Schramm einen Seitenhieb auf die EU-Politik nicht verkneifen. Die regele jede Bananen-Krümmung, aber für die Flüchtlingskrise habe sie kein Rezept. "Das ist eine Kapitulation der europäischen Politik!", schimpft der Oberbürgermeister.

Notlager wird zum Schulstart geräumt

Das Notlager in der Dreifachsporthalle der Realschule sei bisher noch nicht benötigt worden, sagte Söllner. Obwohl schon mehrfach Transporte angekündigt worden seien. Innerhalb von zwei Stunden wäre die Halle aber bezugsbereit, betont BRK-Kreisgeschäftsführer Jürgen Dippold. Laut Söllner soll das Notlager auf alle Fälle zum Schulbeginn aufgelöst werden, um etwaigen Problemen vorzubeugen. Der Landkreis habe im September andere Optionen.

477 erwachsene Asylbewerber

Im Landkreis Kulmbach lebten zum Stichtag 24. August in 15 Gemeinden an 39 Standorten Asylbewerber. Neu hinzugekommen ist die Gemeinde Ködnitz, in der zehn serbische Flüchtlinge dezentral untergebracht werden. Insgesamt wohnen 477 Asylbewerber im Landkreis: 194 in Gemeinschaftsunterkünften, 215 in dezentralen Unterkünften, 17 in privaten Wohnungen und 51 sind Kontingentflüchtlinge aus Syrien und Afghanistan.

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