Übermorgen: die Nachhaltigkeits-Kolumne Wie sinnvoll ist die Bruderhahn-Aufzucht?

Susan Jörges

Männliche Küken zu töten ist seit Jahresbeginn in Deutschland verboten. Die aus tierschutzperspektive notwendige Entscheidung hat jedoch Konsequenzen: Jährlich werden Millionen Hähnchen zum Schlachten nach Polen transportiert.

 
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Männliche Küken sind für die Legehennenindustrie nutzlos Foto: dpa/Jens Büttner

Bruderhähne, das sind die männlichen Pendants zu Legehennen. Sie zu töten, ist in Deutschland seit dem 1. Januar verboten. Bis dahin wurden jedes Jahr allein in Deutschland etwa 45 Millionen männliche Hühnerküken kurz nach dem Schlüpfen getötet, denn für die Eierindustrie sind sie nutzlos. Die weiblichen Küken hingegen dürfen weiterleben, zu Hennen heranwachsen und jährlich knapp 13 Milliarden Eier in der Bundesrepublik legen.

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Das Verbot des Kükentötens ist aus tierschutzrechtlicher Sicht zwar ein wichtiger Schritt, den Deutschland als erstes Land in der Europäischen Union gegangen ist. Blickt man genauer hin, hat die Entscheidung jedoch viele Schattenseiten und garantiert nicht, dass für deutsche Eier keine Küken mehr getötet werden.

Küken und Junghähne werden nun anderswo getötet 

Die Aufzucht von Hähnen bis zur Schlachtreife ist nämlich teuer und dauert länger, ihr Fleisch ist weniger zart und lässt sich schwieriger vermarkten. Auch an Ställen mangelt es, um die doppelte Anzahl an Tieren aufzuziehen. Zudem haben lediglich drei Schlachthöfe in Deutschland die passenden Maschinen, um die kleinen Tiere zu schlachten. Die Konsequenz: Jährlich werden Millionen männliche Küken oder Junghähne vorrangig nach Polen transportiert, dort teils gemästet oder sofort vergast.

Auch andersherum floriert der Kükenverkehr: Deutsche Landwirte beziehen meist aus den Niederlanden junge Legehennen; die Frage, was mit den männlichen Küken passiert, wird an der Grenze zurückgelassen. Wie die Tiere im Ausland aufgezogen oder geschlachtet werden, kriegen deutsche Landwirte in aller Regel nicht mit.

Eier ohne Kükentöten von den Fildern

Nicht nur die Legehennen-Industrie billigt dieses Vorgehen. Auch die Lebensmittelindustrie, in die etwa 35 Prozent der in Deutschland produzierten Eier fließen oder Konsumenten, die herkömmliche Eier kaufen, unterstützen damit den Export von deutschen Hähnen.

Für einige Landwirte ist der Kükentourismus jedoch keine Lösung. Sie schließen sich Projekten wie „Mein Buderhahn“ oder „Huhn und Hahn“, einer Initiative von Familienbetrieben aus Baden-Württemberg und Bayern, an. Durch einen Aufpreis von meist drei Cent pro Ei wird die Aufzucht der Hähne in Deutschland finanziert. Die Hähne werden in speziellen Aufzuchtbetrieben großgezogen und ihr Fleisch als Frikassee, Wurst oder Suppe in einer gekennzeichneten Produktlinie vermarktet.

Auch Landwirt Daniel Ehmann, der auf dem Hagenauer Hof in Neuhausen auf den Fildern 25.000 Legehennen hält, hat sich der Initiative „Huhn und Hahn“ angeschlossen. Seine Hähne leben auf einem Betrieb im Nordosten des Landes, geschlachtet werden sie im Oberschwäbischen. Sein größter Fleischabnehmer ist der Maultaschenhersteller Bürger, der eine Maultasche mit Fleisch von Bruderhähnen anbietet.

Wer kauft teure Eier in der Krise?

Die Aufzucht der Bruderhähne in Deutschland und die Vermarktung des Hahnenfleisches klingt zunächst nach einer guten Lösung. Umsetzbar für die gesamte Eierindustrie ist das jedoch nicht, sagt der Bundesverband Ei, der die Interessen der Legehennenhalter vertritt. Denn 50 Millionen Legehennen, die derzeit in Deutschland gehalten werden, würden etwa 50 Millionen Hähne bedeuten. Erstens gebe es derzeit hierfür weder Aufzucht- noch Schlachtkapazitäten. Zweitens müsste jedes der 13 Millionen Eier um einige Cent teurer werden, um das Leben der Hähne zu finanzieren. Doch teure Eier sind gerade in Inflationszeiten bei Konsumenten weniger beliebt. Auch der Absatz des Hahnenfleisches floriert nicht. Landwirt Ehmann muss derzeit seinen Hof mit einem Umsatzverlust von 30 Prozent durch die Krise steuern.

Ist der Kauf von Eiern aus Bruderhahn-Initiativen also sinnvoll? Wer weiter Eier essen möchte, trifft mit solchen vom Hagenauer Hof sicher eine gute Wahl und schließt den Export von Küken und Junghähnen nach Polen aus. Achten sollte man dabei auf ein Siegel, das auf Eierkartons gedruckt ist. Zahlreiche Bioverbände haben mittlerweile ihre eigenen Initiativen gegründet. Mit dem Kauf von Produkten aus Bruderhahnfleisch, die es teilweise in Supermärkten und Hofläden gibt, kann man zudem die Aufzucht von Hähnen mitfinanzieren.

Vorerst kein Ende des Kükentötens in Sicht

Fakt ist jedoch, dass solche Initiativen nur Zeugnis eines politischen Versuchs sind, der derzeit nicht den flächendeckenden Wandel in der Eierindustrie erbringt, der nötig wäre. Solange Verbraucher möglichst günstige Eier fordern, die Industrie weiter auf Eier mit Kükentöten setzt und solange Deutschland von Ländern umzingelt ist, die männliche Küken für uns vergasen, wird das Kükentöten kein Ende haben.

Die gute Nachricht: Ebenso wie Österreich will Frankreich Ende des Jahres mit einem Verbot nachziehen und sich gemeinsam mit Deutschland für ein EU-weites Verbot einsetzen.