Türme Mensch und Tier in luftigen Höhen

Von Eva-Maria Bast
Hier oben wohnten die Türmer. Im Nordturm (rechts) befand sich die Wohnung, am Südturm stand ein Lastenaufzug. Foto: Peter Gisder

BAYREUTH. Der Blick von unten nach oben ist überwältigend: Prachtvoll erheben sich die beiden mit einer Brücke verbundenen Türme der Stadtkirche vor dem Bayreuther Himmel. Und der Blick von oben nach unten ist regelrecht atemberaubend. Die Türmer der Stadtkirche, die hier oben mindestens seit 1448 und bis ins Jahr 1932 hinein ihren Dienst taten, hatten diesen Blick tagtäglich. Man kann die Fenster, durch die der Türmer aus seiner Wohnung im Nordturm blickte, von unten aus erkennen.

 
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Der letzte Türmer war Johann Münch, der nach seinem Dienstende im Dezember 1932 noch bis zu seinem Tod am 4. März 1934 auf dem Turm leben durfte – mit seiner Frau, seinen zwei Söhnen und zahlreichen Tieren. „Aufgabe des Türmers war es, nach Feuer Ausschau zu halten und entsprechend zu warnen“, erzählt Stadtpfarrer Hans-Helmut Bayer. Mit seinem Fernglas saß Johann Münch also auf dem Turm und spähte in alle Richtungen – tags wie nachts. „Damit auch sichergestellt war, dass er wirklich seinen Dienst tat und nicht etwa schlief, musste er alle Viertelstunde die Glocke anschlagen“, berichtet Bayer.

Alarm, wenn's brennt

Aber irgendwann muss ein Mensch doch mal schlafen? „Er war ja nicht allein auf dem Turm“, erklärt der Stadtpfarrer. „Seine Familie – die Gattin nebst zwei Söhnen, für die der Türmer in der kleinen Wohnstube auf den Nordturm sogar eine Schaukel angebracht hatte – unterstützte ihn und er hatte auch Gehilfen.“

Wenn es tatsächlich einmal brannte, musste der Türmer Alarm schlagen: Es gab eine Feuerlaterne, die er nachts in der Richtung des Brandes aus dem Fenster hielt. Tags konnte er eine Feuerfahne in der entsprechenden Himmelsrichtung an den Vorrichtungen am Turm befestigen. „Und er hatte auch den ersten Telefonanschluss von Bayreuth hier oben, das Telefon hängt noch immer“, erzählt der Stadtpfarrer.

Um die möglicherweise schlafenden Anwohner aufzuwecken und vor dem Feuer zu warnen, stand dem Turmwächter eine Feuerglocke zur Verfügung. Bernd Schwemmlein, der sich intensiv mit dem Leben der letzten Türmerfamilie auseinandergesetzt hat, schreibt: „Neben seinem Arbeitsplatz befand sich ein Eisengriff, an dem ein Zuggurt befestigt war. Wenn er daran zog, schlug der Glockenhammer die Glocke an.“

Johann Münch muss ein fleißiger Mann gewesen sein: Zwischen seinen Spährunden baute er entzückende Puppenmöbel und er verdingte sich als Schuster.

Kran mit Drehkurbel

Nein, seine Kunden mussten nicht die über 150 Stufen nach oben steigen, um das Schuhwerk zur Reparatur zu bringen und wieder abzuholen: Auf dem Südturm stand ein Kran mit Drehkurbel, über den Lasten nach oben und unten transportiert werden konnten.

Nachdem die Ära der Türmer geendet hatte – eine tüchtige Feuerwehr und ein „modernes“ Kommunikationssystem mit Telefonen hatte seine Arbeit überflüssig gemacht – musste noch eine Weile lang die Kirchturmuhr per Hand aufgezogen werden.

Das tat nach dem Krieg der Enkel von Johann Münch, Helmut Münch. „Dieser Dienst wurde eingestellt, als die Gemeinde am 27. Juni 1948 die unversehrte Heimkehr der im Krieg auf den Hamburger Glockenfriedhof ausgelagerten Glocken feiern konnte“, schreibt Bernd Schwemmlein.

Das war das Ende der Ära Münch – und das Ende der Türmer überhaupt – auf der Stadtkirche Bayreuth. Nur noch die Fenster künden von Zeiten, als per Fernglas nach Bränden Ausschau gehalten wurde.

Und droben auf dem Turm ist vieles noch so, wie es einst war: Ein Bett steht noch und ein gedeckter Tisch. Speisen wird an der Tafel allerdings niemand mehr.