Tennet testet das virtuelle Kraftwerk

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Fast eine Milliarde Euro hat Tennet im vergangenen Jahr für stabilisierende Eingriffe in sein Stromnetz ausgeben müssen. Geld, das letztlich jeder über die Stromrechnung mitbezahlt. Ein europaweit einmaliges Pilotprojekt, das der Netzbetreiber mit Deutschlandsitz in Bayreuth gerade zusammen mit dem Batteriehersteller Sonnen durchzieht, soll zeigen, ob es auch anders geht. Im Mittelpunkt: kleine Stromspeicher hauptsächlich in den Kellern von Einfamilienhäusern und die sogenannte Blockchain-Technologie. Ziel: ein virtuelles Kraftwerk.

 
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Es ist so etwas wie ein Wetterbericht für Strom. Netzbetreiber wie Tennet verlassen sich auf ausgeklügelte Prognosen, wenn es darum geht, vorherzusehen, wie viel Strom aus erneuerbaren Energien wie Windrädern oder Photovoltaikanlagen zu welchem Zeitpunkt in ihr Netz drängen wird. Prognosen, die umso genauer werden, je näher der entsprechende Tag kommt. Das haben sie mit dem normalen Wetterbericht gemeinsam, auch wenn noch viele andere Unbekannte zu berücksichtigen sind, wie Tennet-Pressesprecherin Ulrike Hörchens betont. Das Ziel: schon dann in das Netz eingreifen, bevor es zu Problemen kommen kann.

Windkraftabregelung vermeiden oder zumindest hinauszögern

"2017 gab es kaum einen Tag, an dem wir nicht eingreifen mussten", sagt Hörchens. Eingreifen heißt, dass herkömmliche Kraftwerke, die Kohle oder Gas zur Stromerzeugung nutzen, je nach Bedarf gedrosselt oder hochgefahren werden müssen, um das Netz stabil zu halten. Die Prognosen müssen schon gut sein, denn es dauert, herkömmliche Energie zu regeln. Droht dennoch eine Überlastung, bleibt meist nur noch die Möglichkeit, Windkraftanlagen kurzfristig vom Netz zu nehmen. Eine teure Methode, weil der nicht erzeugte Strom trotzdem bezahlt werden muss. Und genau hier setzt das Pilotprojekt an. "Batteriespeicher können sehr schnell reagieren, momentan überflüssigen Strom aus dem Netz aufnehmen und so die Windkraftabregelung vermeiden oder zumindest hinauszögern", sagt Hörchens.

Speicher im Normalbetrieb

Womit die Firma Sonnen ins Spiel kommt, die erst 2010 in Wilpoldsried gegründet wurde. Der Ort im Allgäu wurde auch als Energiedorf bekannt, weil in seinen Grenzen mittels regenerativer Energie rund fünf Mal so viel Strom produziert wie verbraucht wird. Ein guter Platz also für den nach eigenen Angaben europaweit führenden Hersteller von Stromspeichern. Rund 20.000 Stück habe man mittlerweile in Deutschland installiert, sagt Pressesprecher Mathias Bloch, am Pilotprojekt nehme aber nur eine dreistellige Zahl teil. Und Hörchens ergänzt: "Für den Test braucht es nicht mehr. Außerdem laufen die Speicher ja im Normalbetrieb mit und dürfen das Netz nicht gefährden."

Blockchain-Technologie

Die Blockchain-Technologie wird dabei genutzt, um die vielen kleinen dezentralen Speicher zu einem virtuellen Kraftwerk zu vernetzen. Man verspricht sich schnellere Reaktionszeiten und einen guten Überblick über die Abläufe und den jeweils aktuellen Systemzustand. "Man kommt nahe an die Echtzeit ran", sagt Hörchens, die im Laufe des Jahres mit Ergebnissen des Pilotprojekts rechnet. Ergebnisse, die dann auch auf andere variable und dezentrale Stromspeicher übertragbar sein sollen. Zum Beispiel Wärmepumpen, Nachtspeicherheizungen, elektrische Brauchwasserboiler oder auch Elektroautos.

Riesiges Potenzial

Bloch sieht das genauso, weist aber auch darauf hin, dass es allein schon beim Tandem Photovoltaik (PV) plus Stromspeicher ein riesiges Potenzial gebe. Insgesamt 75.000 solcher Speicher, die im Schnitt acht bis zehn Kilowatt Strom speichern können, seien derzeit in Deutschland installiert. "Aber es gibt mehr als 1,5 Millionen Photovoltaikanlagen." Ob da viele nachrüsten? Bloch ist davon überzeugt - und zwar spätestens ab 2020, wenn nach und nach für immer mehr PV-Anlagen die garantierte Einspeisevergütung ausläuft: "Denn dann müsste der tagsüber auf dem Dach produzierte, aber meist nicht gleich verbrauchte Strom für wenige Cent ins Netz abgegeben werden, um abends und nachts deutlich teureren Strom zurückzukaufen, weil man dann eben daheim ist und ihn braucht."

Eigenverbrauchsquote steigt von 30 auf 75 Prozent

Außer man nutzt seinen eigenen Stromspeicher im Keller. Der Bayreuther Michael Wild, der mit seinem Unternehmen Exklusivpartner von Sonnen in Oberfranken und damit an der Basis aktiv ist, sieht eine zunehmende Dynamik im Markt. Es gebe vermehrt Anfragen wegen Nachrüstlösungen, und: "Heute kauft eigentlich niemand mehr eine Photovoltaikanlage ohne einen Speicher im Keller." Das steigere die Eigenverbrauchsquote von knapp 30 auf bis zu 75 Prozent, sagt Bloch. Der Rest fließt bei Sonnen in die eigene Stromsharing-Plattform und steht so anderen Kunden zur Verfügung - oder eben zur Stabilisierung des Stromnetzes. Die Amortisation liege weiter bei zehn bis zwölf Jahren.

Regelbetrieb schon in wenigen Jahren

Sollte das Pilotprojekt erfolgreich sein, rechnet Tennet-Sprecherin Hörchens mit einem Regelbetrieb schon in wenigen Jahren: "Gerade deshalb muss man das jetzt ausprobieren." Und könnte als Ergänzung zum Netzausbau künftig wohl auf eine stark zunehmende Zahl dezentraler Stromspeicher zugreifen. Sonnen jedenfalls will laut Bloch seine Produktion von 11.000 Stück im vergangenen Jahr in 2018 glatt verdoppeln. Und außerdem tummeln sich ja noch namhafte Konkurrenten wie Varta und LG, aber auch Daimler oder Tesla auf dem Markt.

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