Ehren ja - aber wen?
Joachim H. aus der Nähe von Forchheim war einer der rund 30 Mann, die am frühen Morgen des 18. Oktober die Boeing stürmten, drei der vier Geiselnehmer erschossen und die rund 90 Geiseln fast unversehrt befreiten. Er fragt sich nun: „Was und wen will man würdigen, wenn man die ganze Maschine ausstellt? Wie will man das machen, angemessen für alle Betroffene? Für mich stehen eigentlich die Opfer im Mittelpunkt, das Leid der Überlebenden dauert ja bis heute an.“
Die Berliner Mauer stehe auch nicht mehr im Ganzen. Und die in Brasilien gestrandete Maschine sei nicht mehr im Originalzustand, sagt H. „Gedenken ist schon angebracht, aber nicht nur in eine Richtung“: Der Erfolg von Mogadischu sei ein Erfolg nicht nur der GSG 9, sondern vieler anderer Beteiligter gewesen: der Politik, derjenigen, die Ausbildung und Taktiken entwarfen und vieler anderer.
H. und seine Kameraden sind seither oft als Helden gefeiert worden: „Wir haben unser Leben riskiert, keine Frage. Aber wir waren gut vorbereitete ’Helden’. Es gibt auch Helden im Alltag, die Leben retten und ihr eigenes riskieren. Die nicht vorbereitet sind.“
Im Belagerungszustand
Warum ist die ehemalige Lufthansa-Maschine „Landshut“ ein Stück deutscher Geschichte? Im Herbst 1977 war Deutschland praktisch im Belagerungszustand. Die Linksterroristen der RAF entführten und ermordeten reihenweise Repräsentanten von Staat und Wirtschaft, die Regierung schien machtlos. Am 13. Oktober entführten vier Palästinenser eine Lufthansa-Maschine voller Spanienurlauber, um in Haft sitzende RAF-Terroristen freizupressen, erschossen den Piloten. Ein fünftägiger Nervenkrieg begann. Beim Irrflug der „Landshut“ um die halbe Welt bis ins somalische Mogadischu folgte ihr unauffällig ein zweites Flugzeug. An Bord: Angehörige der „Grenzschutzgruppe 9“, die fünf Jahre zuvor als Antiterrorspezialeinheit gegründet worden war. Sie warteten auf eine geeignete Gelegenheit und das grüne Licht der Politik, die Geiselnahme zu beenden. Um 2 Uhr am 18. Oktober drangen sechs Trupps zu je fünf Mann gleichzeitig über drei Türen in die Maschine ein, erschossen drei der vier Geiselgangster und befreiten die rund 90 Geiseln. Die gelungene Aktion - Codename „Feuerzauber“ - war wie ein Befreiuungschlag im sogenannten „Deutschen Herbst“. Der linke Terror in Deutschland ging danach zwar weiter, aber der Bann war gebrochen, der Staat hatte sich erfolgreich gewehrt. Und die belagerte Republik hatte neue Helden: die Männer der bis dahin weitgehend unbekannten GSG 9.
Jubelnde Menschen
Einer von ihnen war Joachim H., der heute in der Nähe von Forchheim lebt. Er war zwei Jahre zuvor zur GSG 9 gestoßen, nach einem „furchtbar harten“ einwöchigen Ausleseprozess. In den Monaten vor Mogadischu war die GSG 9 dauernd im Einsatz, H. gehörte zu denen, die nach dem enführten Hanns Martin Schleyer suchten. Am 18. Oktober war er in Mogadischu bei einem der sechs Teams in vorderster Reihe dabei. „Ich war äußerst überrascht über die Stimmung danach im Land. Für uns war es ein Einsatz wie viele andere. Wir haben unseren Job gemacht, präzise gearbeitet. Wir waren baff und überrascht, was für einen Empfang wir danach bekamen. Auf dem Weg vom Flughafen zu unserer Unterkunft waren die Straßen von jubelnden Menschen gesäumt.“
Gründungskommandeur Ulrich K. Wegener, damals immerhin schon 48 Jahre alt, leitete den Einsatz persönlich. Hat er „von vorne“ geführt? „Natürlich!“, antwortete Wegener vor anderthalb Jahren am Rande der Feier 40 Jahre Patenschaft mit Bischofsgrün. An einem Erfolg habe er nie gezweifelt, so Wegener damals, wenngleich man eigene Verluste einkalkuliert habe. Tatsächlich gab es am Ende nur zwei Leichtverletzte.
Der Test nach dem Test
Und Joachim H. erinnert sich an ein Detail des Ausleseprozesses, das tief blicken lässt. Er und zwei weitere Bewerber, die von anderen Bundesgrenzschutz-Einheiten kamen, steckten dort mitten in Lehrgängen. Alle drei wurden zur GSG 9 zugelassen. H. entschloss sich trotz der verlorenen Zeit, seinen Lehrgang bei seiner alten Einheit erfolgreich abzuschließen. Die anderen beiden ließen im Vertrauen auf die Zusage der GSG 9 die Zügel schleifen und fielen durch. Sie bekamen mitgeteilt: Bleibt bei Eurer alten Einheit, ihr braucht gar nicht mehr zu kommen. Sie hatten den ultimativen Test, den Test nach dem Test nicht bestanden: Die Bereitschaft, 150 Prozent zu geben; weiterzugehen, wenn das Ziel scheinbar schon erreicht ist.