Stadtgeschichte Wo sich die alte Stadtmauer verbirgt

Kaum jemand weiß, dass hinter dieser Fassade der dritte erhaltene Marktredwitzer Stadtturm steckt. Foto: Matthias Bäumler

Marktredwitz begeht an zwei Tagen den Tag des offenen Denkmals. Dabei geht es auch um einen verschwundenen Turm, den die Stadt endlich wiederfinden will.

 
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Gäbe es doch nur noch die alte Stadtmauer. Vielleicht hätte Marktredwitz heute das Ansehen einer Stadt wie Nördlingen. Dieses Glück war dem einstigen Markt Redwitz nicht beschert. Zumindest ein paar kleine Reste der Stadtmauer mit ihren Wehrtürmen, die einst die gesamte historische Altstadt umspannte, sind erhalten. Manchen Teilen ist der einstige Zweck nicht mehr anzusehen. Am Tag des offenen Denkmals am Wochenende wird die Wehranlage unter dem Motto „KulturSpur“ allerdings teilweise wieder sichtbar. Wer weiß zum Beispiel, dass die Mauer quer über den derzeitigen Parkplatz neben dem Winkelmarkt verlief?

Das letzte Stück Stadtmauer

„Die Besucher werden viel Neues erfahren“, verspricht Stadtarchivarin Edith Kalbskopf bei einem Termin mit unserer Zeitung. Zusammen mit Martina Purucker und Dagmar Troglauer vom Bauamt, die zugleich für die untere Denkmalschutzbehörde tätig sind, und den Hobby-Heimathistoriker Horst Weigel hat sie eine Tour auf den Spuren der einstigen Stadtmauer konzipiert.

Wer das letzte sichtbare Stück Stadtmauer finden will, der muss über eine gute Spürnase verfügen. Oder Edith Kalbskopf fragen. Und auf einmal ist sie tatsächlich da, leicht versetzt neben der viel befahrenen Martin-Luther-Straße in Richtung Markt. „Wir befinden uns auf Privatgrund, sagt die Stadtarchivarin, die der Familie Scherer dankt, dass sie zum Tag des offenen Denkmals die Besucher zur historischen Mauer lässt. Etwa zehn Meter lang, um die zweieinhalb Meter hoch steht sie da. Die Natursteine sind verputzt, aber dennoch deutlich zu erkennen.

„Bis zum Jahr 1808 war die Stadtmauer ziemlich vollständig erhalten“, erläutert Edith Kalbskopf. Zumindest stammt aus diesem Jahr ein Beleg dafür. Als in den Jahren 1822 und 1836 zwei Stadtbrände wüteten, war es um das Bauwerk geschehen, das zu dieser Zeit für die Bürger schon mehr hinderlich als nützlich war. Unter anderen verbrannten die hölzernen Stadttore, von denen es vier gab, und auch die Mauer wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. „Sie musste und konnte seinerzeit sowieso niemanden mehr schützen.“

Stadtbrände machen der Mauer den Garaus

Das 19 Jahrhundert mit der langsam beginnenden Industrialisierung brachte für Marktredwitz – seinerzeit Markt Redwitz – große Umbrüche. Die Stadt wuchs über die Mauer hinaus. „Ich vermute, hier war es nicht anders als in anderen Orten: Viele Menschen, die Steine benötigten, bedienten sich eben aus der brüchigen Stadtmauer“, so die Archivarin.

Marode war die Stadtmauer schon lange vorher gewesen. In mehreren erhaltenen Briefen beschweren sich Bürger, dass das Bauwerk dringend repariert werden müsse. Doch Marktredwitz hatte kein Geld. Die Reichsstadt Eger, zu der die Stadt von 1341 bis 1816 gehörte, antwortete, sie sei nicht zuständig. Irgendwann machte dann das Kreisamt in Elbogen (heute Loket) ein paar Gulden locker und flickte die Mauer notdürftig. „Insgesamt muss es ein richtiges Trauerspiel gewesen sein“, sagt Edith Kalbskopf.

Zur langen Einkaufsnacht am Samstag und am offiziellen Tag des offenen Denkmals am Sonntag wird Marktredwitz die Reste der Stadtmauer in Szene setzen und zeigen, wo sich die Stadttore befanden. „Wir werden das letzte erhaltene Mauerstück beleuchten und die Standorte der alten Stadttore mit Lichtbögen inszenieren“, sagt Martina Purucker.

Dritter Turm ist gut verborgen

Dass noch drei der einstigen Mauertürme existieren, dürfte ebenfalls wenig bekannt sein. Klar, vom Mauerturm bei Lederwaren Schätzthauer wissen viele. Auch der Turm in der Martin-Luther-Straße auf Höhe der Grundschule ist im Stadtbild deutlich sichtbar. Nicht jedoch der dritte Turm. Dieser steht neben dem letzten Stück Stadtmauer ebenfalls in der Martin-Luther-Straße. Eine moderne Fassade überdeckt die alte Bruchsteinmauer, und an den Turm ist ein lang gestrecktes Haus angebaut.

Schließlich gibt es noch irgendwo gut versteckt den verschwundenen Turm, der dem Bau des inzwischen ebenfalls abgerissenen städtischen Parkhauses im Winkel Anfang der 80er-Jahre weichen musste. „Er sollte wieder aufgebaut werden, doch dann waren auf einmal die Steine weg“, sagt Edith Kalbskopf. Lediglich ein kleines Rondell erinnerte viele Jahre an den einstigen Turm. „Das stand aber nicht an der Originalstelle. Wir werden am Samstag und Sonntag den historischen Standort zeigen.“ Im Laufe der Jahre teilten immer wieder Bürger der Stadtarchivarin mit, dass die eigens für den Wiederaufbau nummerierten Steine hier oder da gelagert seien. „Wenn ich genauer nachfragte oder sagte, gut, ich komme vorbei, antworteten die Informanten, dass sie das nur vom Hörensagen wüssten.“ Jetzt will die Stadt der Angelegenheit auf den Grund gehen. „Wir werden am Wochenende im Winkel eine Box aufstellen und um sachdienliche Hinweise auf den Verbleib der Steine bitten. Sollten sie auftauchen, bauen wir den Turm wieder auf“, verspricht Oberbürgermeister Oliver Weigel. Auch ein Finderlohn sei denkbar. Gut möglich also, dass demnächst eines der großen Geheimnisse der Stadtgeschichte gelüftet wird.

Die letzten Türmer

Zum Tag es offenen Denkmals leistet auch die Kantorei ihren Beitrag . „Wir werden an die letzten Türmer von Rawetz erinnern“, sagt Kantor Michael Grünwald. Die Türmer lebten in der Turmwohnung der Bartholomäuskirche und hatten den wohl besten Blick über die Stadt. Die letzten Türmer waren Ida und Ludwig Ponader. Michael Grünwald bewahrt das „Liederbuch der Türmer“ wie einen Schatz auf. „Die enthaltenen Texte sind zum Teil in einer Sprache geschrieben, die heute nicht mehr gebräuchlich ist“, sagt er. Einige der Lieder darauf wird er mit seinem Vokalensemble Gloria Patri vortragen.

Zum Tag des offenen Denkmals gibt es zwei Stadtführungen mit Edith Kalbskopf und Stadtmauerexperten Horst Weigel: am Samstag von 19 bis 21 und am Sonntag von 10 bis 11 Uhr. Treffpunkt ist jeweils an der Tourist-Info am Historischen Rathaus. Außerdem bietet vor den Führungen im Markt ein Stand eingehendere Informationen über die Stadtmauer. Zu den letzten Türmern von Marktredwitz referiert am Sonntag um 14 und 14.45 Uhr Kantor Michael Grünwald im Saal des Gemeindehauses. Um 14 und 14.45 Uhr gibt es Turmführungen mit Besichtigung der Türmerwohnung, an denen jeweils maximal 15 Personen teilnehmen können. Um 14.30 und 15.15 Uhr gibt es Türmer-Musik aus mehreren Jahrhunderten mit Beiträgen des Flötenensembles. Geistliche Abendmusik steht um 16 Uhr mit den Glocken von Sankt Bartholomäus und Titeln aus dem Liederbuch der Familie Ponader auf dem Programm. Mit dabei sein werden auch die Enkelinnen des Ehepaars Ponader Tabea und Ulrike Göckelmann.

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