Seit zehn Jahren kümmert sich die psychosoziale Notfallversorgung um traumatisierte Einsatzkräfte und hilft Hinterbliebenen Erste Hilfe für die Helfer

Von Susanne Will
Heiko Pöhnl (zweiter von rechts) mit seinen Kolegen von der Psychosozialen Notfallversorgung. Foto: BRK Foto: red

Vor zehn Jahren wusste Heiko Pöhnl, dass er etwas tun musste. Der Suizid auf der Autobahn haute den Mann vom THW Bayreuth nicht um. Schlimm, ja. Aber er als Zugführer hatte schon Schlimmeres gesehen. Nicht so sein junger Kollege. Der musste sich im Bezirkskrankenhaus helfen lassen, die schlimmen Bilder zu verarbeiten. Für Pöhnl war das der Auslöser, die Psychosoziale Notfallversorgung Bayreuth zu gründen. Nacht für Nacht kümmert sich sein Team um traumatisierte Kollegen, aber auch um Hinterbliebene - ohne Lohn.

 
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Mittlerweile ist Heiko Pöhnl auch Fachdienstleiter beim BRK. Der BRK-Kreisverband ist der Träger der verbandsübergreifenden PSNV, der neben dem BRK auch die Malteser, die Feuerwehr und das THW angehören. Krisenintervention ist das Schlagwort, wenn seine Sondertruppe gefordert wird. Sie stehen Feuerwehrleuten zur Seite, hören traurigen THWlern zu, stützen bestürzte Sanitäter nach Bränden, Unfällen, Tötungsdelikten.

"Wir haben keine Einweg-Helfer"

„Wir haben keine Einweg-Helfer“, erklärt er. Die Gesundheit der Helfer müsse erhalten bleiben. „Wir wollen verhindern, dass die Kollegen nach traumatischen Ereignissen weitere Einsätze vermeiden“, sagt er. Das ist alles schon vorgekommen:  THWler, die bestimmte Ecken nicht mehr anfahren können, weil sie den Ort mit etwas Schrecklichem verbinden. Oder Feuerwehrleute, die eine Straße umfahren, weil in einem Haus dort jemand verbrannte. „Jeder verarbeitet die Einsätze anders“, sagt Pöhl. Er erzählt von einem Einsatz, ein Bauarbeiter war verschüttet worden. „Es war für einen Kollegen kein Problem, mit der Leiche umzugehen. Als aber die Nichte des Toten am Einsatzort erschien und weinte und fragte – das hat den Kollegen nervlich fertiggemacht.“  Es ist ein junges Gewerbe, in dem Pöhnl arbeitet. Früher hieß es: "Männer weinen nicht." Oder: "Wer das nicht aushält, ist fehl am Platz." Diese Einstellung hat sich geändert.

"Wir zerstören mit einem Satz eine heile Welt"

Tagsüber können sich Traumatisierte auf die Notfallseelsorger verlassen, zwischen 18 und 6 Uhr rücken er und seine 33 Mitstreiter aus. Auch die Polizei greift auf die Hilfestellung der PSNV zurück, wenn sie Todesnachrichten überbringen muss. „Das ist immer schlimm“, sagt Pöhnl. „Wir klingeln, die Leute öffnen uns, lächeln uns an – und dann zerstören wir mit einem Satz eine heile Welt.“ Für die Polizisten sind diese unangenehmen Situationen schnell vorbei, sie gehen oftmals zügig. Wer bleibt, sind Pöhnl und seine Kollegen. „Wir strukturieren zunächst die nächsten Tage der Hinterbliebenen: Welche Behörden sie besuchen müssen, wie läuft das bei dem Bestatter – und wir hören zu. Das ist das Wichtigste.“ Daneben aktivieren sie das soziale Umfeld der Betroffenen.

"Abschiednehmen ist sehr wichtig"

Pöhnl wird auch gerufen, wenn zuhause ein Mensch gestorben ist. Und er plädiert dafür, dass die Angehörigen Abschied von dem Toten nehmen.  „Ich finde das sehr wichtig. Es ist oft das A und O, damit die Leute den Tod gut verarbeiten können.“ Es gebe Menschen, die das nicht wollen, aber „ich mache ihnen klar, dass es nur diese eine Möglichkeit für sie gibt – später können sie es nicht mehr nachholen“.

Auch er musste schon einen Einsatz abbrechen

Trotz Mitgefühls ist eine gewisse Distanz bei seinen Einsätzen unabdingbar. Manchmal gelingt das auch ihm nicht. Es war ein Verkehrsunfall, eine 19-Jährige starb. „Und dann kamen die Eltern an die Unfallstelle.“ Die Gefühle von Vater und Mutter konnte er nicht aushalten, „ich musste abbrechen“. Und genau diese Situationen versucht er jetzt professionell bei Einsätzen zu verhindern oder aufzulösen. „Wenn ich mitkriege, dass ein Kollege sich schwer tut, dann muss er raus aus der Gefahrenzone. Er muss beschäftigt werden, wir brauchen ihn ja. Aber es ist dann besser, er kümmert sich weiter hinten mit uns um die Situation.“

Blaue Flecke auf der Seele

Um solche Situationen zu erkennen, wurde er psychologisch geschult. „Die Ausbildung ist nicht ohne, sie dauert 120 Stunden, es ist viel Psychologie dabei.“ Dieses Wissen gibt er weiter an die, die im Einsatz zusammenbrechen. „Ich kann den Kollegen beispielsweise erklären, dass körperliche Reaktionen nach einem grausamen Einsatz vollkommen normal sind: die Schlaflosigkeit, die Flashbacks. Und ich kann die Angst vor diesen Reaktionen nehmen.Sie sind wie blaue Flecken auf der Seele – und sie werden vergehen.“

"Ich habe meine Grenze erreicht"

An seine blauen Flecken erinnert er sich natürlich auch. 2006 hatte der damals 36 Jahre alte Jochen S. eine Frau (39) morgens an einer Ampel in Bayreuth in ihrem Auto überfallen, sie gezwungen, Geld abzuheben. Dann hatte er sie vergewaltigt und  mit Messerstichen und Schlägen auf den Kopf umgebracht. „Wir von der PSNV kümmerten uns um die Kinder der Toten. Und müssen dennoch Abstand wahren. Das ist mir bei der einen Tochter nicht gelungen – und da habe ich meine eigene Grenze erreicht.“ Um damit umzugehen, hilft  ihm und seinen Kollegen die regelmäßige Supervision. Und auch die Tatsache, dass sie meist zu zweit im Einsatz sind. „Schon die Rückfahrt nutzen wir, um den Fall zu besprechen“, so erzählt er zuhause seiner Frau zwar im Groben, was passiert ist, aber er braucht nicht ins Detail zu gehen, um sich etwas von der Seele zu reden.

Menschen aufrichten

Der Einsatz, der ihn am meisten ängstigt, ist glücklicherweise noch nicht vorgekommen. „Schlimm wäre, wenn ich zu einem plötzlichen Kindstod gerufen werden würde“, sagt er. „Davor habe ich Angst.“ Dann weiß er nicht, ob es ihm gelingen würde, was ihn antreibt: „Menschen in Krisensituationen wirklich zu helfen. Es ist etwas anderes, ob du ein Pflaster aufklebst oder Menschen, deren Welt zusammengebrochen ist, wieder aufrichtest.“

Keinen Lohn, kaum Dank

Einen Lohn erhalten die Männer von der PSNV nicht. Auch keinen Sprit für die Fahrten mit dem Privat-Auto zu den Einsatzorten. Zu selten auch ein Dankeschön nach den Einsätzen. Das wäre toll,  das gibt er zu. „Aber immer, wenn wir gehen, haben die Menschen zu große Probleme, als dass sie uns danken könnten. Es ist ein wenig frustrierend." Jedoch: „ Wenn dann mal ein Dankesschreiben kommt, ist das wie Weihnachten oder Ostern zusammen“, und es ist fast genauso selten. „Das bekommen wir so gut wie nie.“

Info:

Am Donnerstag, 21. April, feiert das Team um 19 Uhr im Rot-Kreuz-Haus seine ersten zehn Jahre PSVN. Gerhard Eck, Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, wird als Ehrengast die Arbeit der Organisation würdigen. Wenn Sie die Organisation mit Spenden unterstützen möchten: IBAN: DE28 7735 0110 0009 0194 07, Verwendungszweck: PSNV

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