Saurer Regen: Fichtelgebirge leidet weiter

Von Sarah Bernhard

Für Gewässer und Pflanzen hat sich Andreas Schweiger schon immer

 
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Endlich ist das Waldsterben vorbei, dachten die Menschen Anfang der 1990er Jahre. Die meisten Zementfabriken und Braunkohlekraftwerke in der ehemaligen DDR, die Unmengen an Schwefeldioxid in die Luft geblasen hatten, waren abgeschaltet, Technik half, Abgase zu filtern. Der deutsche Wald starb nicht mehr, sondern begann im Gegenteil, sich vom sauren Regen der 80er Jahre zu erholen. Dachten die Menschen.

Bis Andreas Schweiger kam. Und in seiner Doktorarbeit zeigte: Der saure Regen wirkt bis heute nach – und hat das Ökosystem im Fichtelgebirge und im Frankenwald dauerhaft verändert. Drei Jahre lang hat der Geowissenschaftler für diese Erkenntnis gearbeitet, nahm jeden Monat Proben von über 100 Quellen, bestimmte ihren pH-Wert und verglich ihn mit Daten, die der Lehrstuhl für Biogeografie seit 25 Jahren gesammelt hat.

Andreas Schweiger hat eine Mission

Schweiger liebt, was er tut. Seit er sich mit 17 Jahren ein Buch zur Bestimmung von Pflanzen kaufte, hat er eine Mission: „Ich will unsere Ökosysteme verstehen“, sagt der 32-Jährige. Dank seiner Forschung ist er nun einen Schritt weiter. Wie das Ökosystem im Fichtelgebirge zu dem wurde, was es ist, weiß er nun ziemlich genau.

Mit dem sauren Regen kam damals die Schwefelsäure in den Boden. Schwefelsäure-Teilchen binden sich stärker an Bodenpartikel als andere Teilchen. Sie machten den Boden sauer. Und sie verdrängten die Nährstoffe, die vorher im Boden gebunden waren. Noch schlimmer: Auch angelagerte Schwermetalle wie Aluminium wurden frei. Pflanzen nahmen die Aluminiumteilchen auf – und mussten plötzlich ums Überleben kämpfen. Denn Aluminium ist ein starkes Zellgift.

Das Fichtelgebirge vergisst nicht

Das „ökologische Gedächtnis“ des Fichtelgebirges und des Frankenwaldes habe diese Katastrohe nie vergessen, sagt Schweiger. Im Gegenteil: Heute verstärke sie die Auswirkungen des Klimawandels. „Das ist wie bei einem kranken Patienten. Wenn er geschwächt ist, ist er anfälliger für andere Erreger.“ Erreger wie Trockenperioden im Sommer oder Streusalz im Winter.

Denn Trockenperioden verstärken die Übersäuerung der Böden. Und bei zu viel Streusalz im Wasser gehen noch mehr Nährstoffe buchstäblich den Bach runter. „Das hat dazu geführt, dass sich die Artenzusammensetzung in den Quellgebieten signifikant geändert hat“, sagt Schweiger. Statt der empfindlichen Milzkräuter wächst dort nun zum Beispiel vermehrt robustes Torfmoos, dessen Stoffwechsel die Böden noch stärker versauern lässt. „Wenn wir beurteilen wollen, wie der Klimawandel Ökosysteme verändert, müssen wir also immer ihre Geschichte mitdenken“, sagt Schweiger.  

"Wie ein fliegendes Flugzeug, aus dem man Schrauben rausdreht"

Dass solche Veränderungen Folgen haben werden, hätten Forscherkollegen in den vergangenen Jahren bereits bewiesen. Welche Folgen das seien, wisse man aber noch nicht genau. Dazu seien die Zusammenhänge viel zu komplex. „Aber ein amerikanischer Ökologe hat mal gesagt: Das ist, wie wenn man aus einem Flugzeug nach und nach Schrauben rausdreht. Man fliegt zwar weiter, aber man weiß nicht, wie viele Schrauben man noch rausdrehen kann, bis alles auseinanderfällt.“  

Für seine Doktorarbeit wurde Andreas Schweiger vor kurzem mit dem Bernd-Rendel-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Sie wird an Wissenschaftler verliehen, deren Arbeiten besonders gut und originell sind.

Schweigers Mission, unsere Ökosysteme zu verstehen, ist damit aber noch lange nicht beendet. Nach dem Fichtelgebirge wendet sich der Nachwuchswissenschaftler nun der afrikanischen Savanne zu: Künftig will er untersuchen, wie sich dort die Nährstoffverteilung verändert – weil Säugetiere sie mit auf ihre langen Wanderungen nehmen.

So forschte Schweiger

Zwei Jahre lang fuhren Andreas Schweiger und seine Helfer jeden Monat mehr als 100 Quellen in Fichtelgebirge und Frankenwald ab und nahmen Wasserproben. 12 bis 14 Stunden am Tag. „Im Winter mussten wir ständig Schneeketten an und wieder abziehen, weil die Waldwege nicht geräumt werden“, sagt Schweiger.

Es musste schnell gehen. Denn wenn die Proben zu lange lagern, verändert sich ihre Zusammensetzung. Viele der untersuchten Quellen liegen rund um Warmensteinach, am Ochsenkopf, am Schneeberg oder an der Kösseine.

Waren alle Proben entnommen, untersuchte Schweiger sie auf Nährstoffe, Schwermetalle, den pH-Wert. Zusätzlich zählte und bestimmte er einmal im Jahr die Pflanzen, die in die Quellgebieten wachsen. Mit seiner Arbeit führte er ein Projekt fort, das vor 25 Jahren von seinem Doktorvater Carl Beierkuhnlein gestartet wurde. Nur so war es möglich, die langfristigen Folgen des sauren Regens zu erforschen.

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