Unfälle passieren beim Tandemsprung so gut wie nie
Ein Tandemsprung in Speichersdorf kostet rund 200 Euro. Aus Bamberg, Hof, Schwandorf, München, Speichersdorf – von überall her kommen die Fallschirmsportler auf den Rosenthal Airfield der Fliegerschule Strößenreuther, sagt Uwe Franke aus dem Vereinsvorstand. Knapp 30 Sprünge müssen Anfänger bis zur Fallschirmspringerprüfung trainieren. Franke selbst hat bereits 420 Sprünge hinter sich. „Es ist einfach immer wieder schön, die frische Luft, den freien Fall zu spüren“, sagt er über die Gründe, warum er sich diesen Sport ausgesucht hat. Und die Nervosität vor dem Absprung? „Die lässt nie ganz nach.“ Je näher mein Abflugtermin rückt, desto flauer wird mir im Magen. Kann ich mich wirklich darauf verlassen, dass der Fallschirm und im Notfall der Reserveschirm aufgehen? Die Fallschirmspringerprofis sagen, das Verletzungsrisiko liege bei 0,02 Prozent. Unfälle passierten so gut wie nie, weil der Schirm versagt, sondern der Mensch. Und zwar bei der Landung, weil er nicht genug auf seine Füße aufpasst. Oder nicht rechtzeitig abbremst. Wie viel Überwindung wird mich der Sprung aus der Cessna kosten? Wie wird mein Körper auf die Höhe reagieren? Warum er springe, frage ich einen durchtrainierten Mann aus dem Verein. „Weil es für mich die totale Freiheit ist“, sagt er. „Wenn du wiederkommst, dann weißt du, warum die Vögel singen.“
Mein Tandempilot ist Georg Eichfelder, der grauhaarige Senior unter den Springern. Er trägt ein blaues Shirt und eine Sonnenbrille mit großen, braunen Gläsern. Georg erläutert uns den Ablauf des Tandemsprungs. „Beim Absprung kreuzt du die Arme vor der Brust“, sagt er. „Wenn ich dir auf die Schulter tippe, kannst du die Arme ausbreiten.“ Im Fliegeranzug üben wir das später gemeinsam an der Cessna. Dass ich eingewiesen wurde und mir des Risikos bewusst bin, bestätige ich mit meiner Unterschrift.
Mit mir wird Nina zum Tandemsprung aufbrechen: Sie hat ihn sich selbst zum 30. Geburtstag zum Geschenk gemacht. „Ich bin noch nie geflogen“, sagt die dunkelblonde Bayreutherin. Mit ihren 54 Kilogramm ist sie ein Leichtgewicht. „Du musst ja nicht mehr mit unserem Piloten landen“, sagt Georg und lacht ihr aufmunternd zu.
Der 65-Jährige hat schon viel erlebt: Über Achtzigjährige, die sich nichts mehr wünschten, als einmal im Leben noch einen Tandemsprung zu machen. Oder eine Operndiva, die sich in der spielfreien Zeit bei einem Fallschirmsprung erholen will.
Als sich die Cessna immer höher schraubt, um auf die knapp 4000 Meter Absprunghöhe zu kommen, wird Georg immer redseliger. Er erzählt von den Sportarten, die er ausübt. Fragt nach meinen sportlichen Hobbys und dem Beruf. In Afrika oder Südamerika, höre ich, hätten die Tandembegleiter oftmals keine Lizenz. „Hier werden Fallschirme nach zirka 1000 Sprüngen aussortiert.“ Dort würden sie weiterverwendet. Er überbrückt die Stille im Inneren der Cessna und die Zeit bis zum entscheidenden Moment mit seinen Geschichten.
Als Georg den Höhenmesser an seinem Armgelenk kontrolliert, sind wir auf 1500 Metern Höhe. Ab hier wird die Luft dünner. Der Tandemmaster geht noch einmal mit mir durch, wie ich mich zu verhalten habe, sobald sich die Luke öffnet. Wie ich die Füße bei der Landung anzuziehen habe, wie ich die Knie umfassen und so hoch wie möglich ziehen soll. „Tief durchatmen, immer wieder tief Luft holen“, rät er mir. „Du musst keine Angst haben, Respekt genügt.“
Ute fliegt
Und plötzlich geht alles ganz schnell: Der langhaarige Bastian rollt die Plane hoch. 3800 Meter über dem Flugplatz, gibt der Pilot an, Außentemperatur ein Grad. Bastian wartet einen Augenblick – und lässt sich dann fallen. Noch drei Springer, dann sind wir dran: Lederkappe auf, Gurte festziehen. Ich ruckle mit Georg zur Öffnung, halte mich an der Seite des Ausstiegs fest. Ich schaue nach unten, was ich eigentlich nicht soll: Felder, winzige Häuser, Wolken. „Alles klar?“ Ich nicke und gleite durch die Luft. Wie zwei übereinander fliegende Vögel breiten wir die Arme aus. Die Bewegungen sollen möglichst symmetrisch sein. Ich denke nicht mit dem Kopf, sondern aus dem Bauch heraus. Mein Körper fühlt sich leicht an, ich spüre den Luftdruck. Dann ein sanfter Ruck, ich werde nach oben gezogen.
Der Fallschirm bremst unsere Fallgeschwindigkeit von 200 Stundenkilometern. Nur zirka 60 Sekunden dauerte der freie Fall, kommt mir aber unendlich lang vor. „Hammer! Wie cool!“, schreie ich in den Wind. Georg und ich können uns jetzt wieder hören.
Ich darf die Lenkseile halten, eine Drehung nach links, nach rechts, wieder nach links machen. Mir ist ein wenig schlecht. Wie weich werden sich meine Beine anfühlen, wenn sie wieder auf der Erde stehen? Noch einmal schärft mir Georg ein, was ich bei der Landung zu tun habe. Wir segeln auf den Landekreis am Flugplatz zu – und landen nicht auf den Füßen, sondern auf dem Hintern.
Ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfasst mich und ich muss lachen. Es fühlt sich an wie ein Rausch. Jetzt verstehe ich, warum Fallschirmspringen süchtig machen kann. Meine gute Laune hält bis in den Abend hinein an. Längst habe ich da meine Urkunde entgegengenommen, den Tag abgestreift. Sobald ich aber die Augen schließe, sitze ich wieder im Flugzeug, auf der Kante des Ausstiegs. Und ich kann nicht anders: ich will noch mal!