"Wir sind ein Teil von Erdogans Spiel"

Von Andrea Pauly
Archivfoto: Ronald Wittek Foto: red

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich am Wochenende mit seinen Vorwürfen, die Deutschen würden sich "Nazi-Praktiken" bedienen, bei vielen Deutschen unbeliebt gemacht. Der Kurier hat darüber und über den Präsidenten und das Referendum mit Halil Tasdelen gesprochen.

 
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Herr Tasdelen, wie bewerten Sie als Deutscher mit türkischen Wurzeln die Aussagen des türkischen Präsidenten?

Halil Tasdelen: Herr Erdogan macht sich nicht erst seit dem Wochenende unbeliebt in Deutschland, sondern schon das ganze Jahr. Die Vorwürfe haben keine Grundlage: Es gibt keine andere Nation auf Gottes Erden,  die ihre Vergangenheit so aufgearbeitet hat wie die Deutschen, es gibt keine andere, die nach Verbrechen an anderen Völkern so klar sagt: "Wir haben das getan, wir stehen dazu, wir entschädigen die Opfer". Keine Nation geht demokratischer mit seiner Vergangenheit um als die Deutschen.

Hintergrund für den Vorwurf waren die Absagen an türkische Minister, die in Deutschland für das Referendum werben wollten, das im Falle einer Zustimmung Erdogan mehr Macht verleihen würde. Warum spielt dieses Thema eine so große Rolle in Deutschland?

Halil Tasdelen: Es geht um eine kleine Minderheit der türkischen Bevölkerung, die ihren Sitz hier hat, und die jetzt eine Rolle für die Abstimmung spielen kann. Erdogan und seine Regierung sollten sie in Ruhe lassen. Diese zwei Millionen Türken können nicht das Schicksal der 80 Millionen Türken bestimmen. Ihr Lebensmittelpunkt ist Deutschland. Ich bin gegen diesen Wahlkampf auf deutschem Boden. Wir können die Minister der Türkei gerne begrüßen, aber nicht zu Wahlkampfthemen, sondern zu Infoveranstaltungen. Sie sollten nicht die Minderheit in die Versuchung bringen, das entscheidende Glied in der Kette zu sein. Er sollte sich lieber das ganze Jahr um seine Landsleute kümmern, nicht nur wenn er sie für die Wahl braucht.

Wie erleben Sie die Debatte um das Referendum in Ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis mit türkischen Wurzeln?

Halil Tasdelen: In den sozialen Netzwerken erfährt man übelste Beschimpfungen, wenn man sich da für oder gegen das Referendum ausspricht. Erdogan ist ein begnadeter Redner, und dass er hochintelligent ist, wissen wir mittlerweile auch. Wir in Deutschland sind ein Teil von seinem Spiel. Wir haben ihn zu dem gemacht, wer er ist. Wir haben 60 Jahre lang die Tür immer einen Spalt aufgehalten und immer wenn er reinwollte, haben wir die Tür zugeschlagen. Das nutzt er jetzt für seine Argumente. Er sagt: Guckt, die EU will uns nicht aufnehmen, aber die Rumänen und Bulgaren, die im 17. Jahrhundert stehen geblieben sind, die dürfen rein. 

Warum ist Erdogan bei vielen Türken so beliebt?

Halil Tasdelen: Er entwickelt sich zum Fürsprecher der kleinen Leute, er kümmert sich um sie, sie sehen ihn als Vaterfigur. Die ganze islamische Welt liegt diesem Menschen zu Füßen. Die Araber sagen über ihn: „Der Erdogan ist ein Wahrer, der hat Eier in der Hose“.  Er geigt den Europäern und Israeli die Meinung. Er hat durch den Putschversuch noch mehr Zustimmung erhalten. Und man muss ehrlich sagen: Bis 2012 hat er viel erreicht. Er hat den Kurden eine Sprache gegeben, Radiosender, Zeitschriften, TV-Sender, was die anderen Regierungen vorher nicht gemacht haben. Aber danach lief die Entwicklung anders. Und ich stelle die Frage: Selbst wenn er perfekt wäre: Was machen wir, wenn er in fünf Jahren stirbt? Was wenn dann ein anderer hinterher kommt? Warum sollte man die Macht aus der Hand geben, warum das Parlament entmachten?

Es gab in der jüngeren Vergangenheit schon andere Probleme zwischen Erdogan und Deutschland: Erst die Debatte um das Schmähgedicht von Böhmermann, aktuell die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel.

Halil Tasdelen: Es geht nicht, dass ein Karikaturist in Deutschland Abschaum von sich gibt, das hat mit Kunst und Satire nichts zu tun. Die Würde des Menschen ist unantastbar, keiner hat das Recht, jemand anderen mit solchen Begriffen zu bezeichnen. Aber als Staatschef würde ich doch keinen Böhmermann nehmen und ihm ein solches Forum geben. Und Deniz Yücel war bei einer Veranstaltung mit HDP-Politikern, wo an der Front des Tisches das Bild des PKK-Anführers Öczalanin zu sehen war., Da wird mit zweierlei Maß gemessen.Wenn ich den Ministern einen Auftritt nicht erlaube, darf ich das auch nicht erlauben. Aber Erdogan macht eine Politik wie mit der Axt im Walde. Das geht so nicht. So kann man nicht regieren.

Welche Auswirkungen haben die aktuellen Entwicklungen auf das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei?

Halil Tasdelen: Wir sind immer noch Vorbild für Millionen von Türken. Sie sind auf uns angewiesen, aber wir aufgrund der geografischen Lage auch auf sie. Die Türkei ist ein Mosaik der Nationalitäten und Religionen. Gewalt geht immer vom Volk aus, nicht von ihrem Präsidenten. Wenn wir jetzt nicht mehr in die Türkei fliegen, bestrafen wir die, die sich nicht mit Erdogan identifizieren können. Dann nehmen wir die ausgestreckte Hand der Türken nicht mehr an.

Glauben Sie, dass das Referendum erfolgreich ist und Erdogan künftig mehr Macht hat?

Halil Tasdelen: Ich glaube nicht. Kein Mensch auf der Erde sollte mit so viel Macht ausgestattet werden. Man muss ja nur mal in die USA schauen, wo Trump ein Dekret nach dem anderen unterschreibt. Wir sind nicht im 11. Jahrhundert, sondern im 21. Jahrhundert.

Zur Person

Halil Tasdelen (43) kam im Alter von zehn Jahren nach Deutschland. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Der Bautechniker engagiert sich in verschiedenen Vereinen und Verbänden, war lange Vorsitzender der Türkisch-Islamischen Gemeinde und hält regelmäßig Vorträge zu den Themen Islam und Christentum. Halil Tasdelen ist als Kommunalpolitiker im Bayreuther Stadtrat aktiv, seit 2015 ist er Vorsitzender der Bayreuther SPD. Sein Bruder Arif ist Landtagsabgeordneter. Halil Tasdelen hat seit 1996 die deutsche Staatsbürgerschaft und darf somit bei dem Referendum nicht abstimmen. apa

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