"Tschick": Vom Bestseller zum Bühnenstück

Von Michael Weiser
Eine Halfpipe, vier Schauspieler und eine Hand voll Requisiten - mehr braucht die Inszenierung nicht, um das Kopfkino der Besucher in Gang zu setzen. Foto: Roland Knopf Foto: red

Dieses Sommermärchen funktioniert: Die Bayreuther Studiobühne hat Wolfgang Herrndorfs Jugendroman "Tschick" auf die Bühne gebracht. Mit Erfolg.

 
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Natürlich ist Wolfgang Herrndorfs Bestseller „Tschick“ ein Jugendroman. Und natürlich ist er weit mehr, wie alle guten Jugendromane: die Erzählung von vielem, die so leicht daherkommt, als gebe es kein morgen, die Erzählung eines wunderbaren Sommers vor allem, in dem alles enthalten ist, was einen gerade so ausmacht und fürderhin ausmachen wird.

Es ist ein bisschen wie bei Mark Twain, nur dass Huckleberry Finn heutzutage Lada fährt und gar nicht an den Mississipi muss; es genügt der Osten Deutschlands.

Starke Dialoge

Dass die Studiobühne sich des Romans und seiner Bühnenfassung angenommen hat, ist daher nicht überraschend – eher schon, dass sie das nicht früher unternommen hat. Denn der Stoff ist wie gemacht für ein kleines Theater mit kleiner Besetzung. Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ ist ein Roadmovie. Aber die besten Pointen liegen in den Dialogen, nicht in der Action. Und „Tschick“ ist so klar erzählt, dass man ihn mit minimalen Mitteln nacherzählen kann.

Die Reise von Tschick und seinem ziemlich besten Freund Maik auch nur in einzelnen Szenen eins zu eins umzusetzen: eh undenkbar. Weswegen man auch das Theater Theater sein lassen kann. Es muss nicht mehr so tun als ob, es muss nur Spielplatz bieten für eine Erzählung. Eine Befreiung.

Raffiniertes Bühnenbild

Regisseur Georgios Kapoglou nutzt die Chance routiniert. Michel Bövers hat als Bühne eine Halfpipe ins Studio gestellt. Die Halfpipe ist Swimmingpool und Bergkuppe, See und Straße, nebenbei ein gutes Bild für das Auf und Ab im Leben. Zudem teilt die Holzmulde den Zuschauerraum so, dass die Zuschauerreihen einander fast ins Gesicht schauen.

Minimal sind die Requisiten eingestreut, einmal genügen Bälle, die man einander zuwirft, um ein Tennisspiel vors innere Auge zu rufen. Das Theater verabschiedet sich von seiner Rolle als Illusionsmaschine und überlässt die Vorstellung ganz dem Zuschauer. Eine Einladung ans Kopfkino. Und das klappt gut.

Schauspielerisch ist noch mehr drin

Drei Hauptdarsteller und ein Libero wuppen den wüsten Ausflug in die Walachei. Michael Pöhlmann ist in der Premiere der Maik (andere Vorstellungen übernimmt Sascha Retzlaff), Lukas Stühle gibt den Tschick und den Vater, Bettina Wagner ist als Isa und Mutter und in zwei weiteren Rollen zu erleben, Katharina Leschinsky spielt nicht nur Musik, sondern auch Nebenrollen.

Wie's eben Premieren so mit sich bringen, war da noch Luft nach oben zu wittern: Zu sehr betont, verlieren Herrndorfs wunderbare Sätze ihre Leichtigkeit. Vor allem aber Lukas Stühle als Tschick und Bettina Wagner als Isa schwimmen sich da im Verlauf des Spiels schön frei. Pöhlmann ist in seinen besten Szenen ein schön verträumter Maik, darf sich künftig aber ein wenig zurücknehmen.

Leschinsky sagt in einer Nebenrolle einen Satz, der Rätsel aufgibt. Widerständler in der kommunistischen Gruppe „Ernst Röhm“ sei er während der NS-Zeit gewesen, sagt sie als Fricke. Da bleibt Kapoglou eng bei der Vorlage. Welcher Ernst nun? Kommunist Thälmann oder wirklich Nationalsozialist Röhm? Da wollte Herrndorf vermutlich zeigen, wie das ist mit der Erinnerung, der fehlerhaft rekonstruierten. Oder wie nah einander linke und rechte Sozialisten kommen können. Gut, dass Kapoglou diesen Stachel dringelassen hat.

Stimmiges Ende

Das Finale nach dem Ende des Romans? Der viel zu früh verstorbene Herrndorf konnte es nicht mehr vollenden. Der „Tschick“-Nachfolger „Bilder deiner großen Liebe“ blieb ein Fragment. So erzählt Kapoglou die Geschichte auf seine Art aus. Isa kommt noch mal zu Wort, sie und Maik können einander doch noch begegnen, auch Tschick ist dabei: Ja, das passt. Als Denkmal einer Freundschaft.

Ein guter Abend schon beim ersten Mal, und die volle Leichtigkeit wird sicherlich noch kommen. Dieses Sommermärchen hat ja erst begonnen. Schön, dass man's in diesem Herbst noch einige Male anschauen kann.

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