"Rheingold": Schöne Schlamperei

Von Florian Zinnecker

Der Ring rundet sich: Schon in der ersten Spielzeit haftete Frank Castorfs „Rheingold“ der Charme des Halbfertigen an. Wie kann es sein, dass es von Jahr zu Jahr wackeliger wirkt? Premierenkritik einer Produktion, die wir noch vermissen werden.

 
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Da sind wir wieder, zum letzten Mal: Golden Motel, Tankstelle, Pool. Während im Graben unberührt der Rhein wogt, hängt Wellgunde auf der Bühne Spitzenhöschen auf den Ständer; während unten Walhall aus dem Nebel aufsteigt, dreht sich oben ächzend die Tankstelle; während die Musik die Handlung linear erzählt und jede Wirkung eine Ursache hat, ist auf der Bühne der Karren schon an die Wand gefahren, der Irrtum längst eingesehen und, auch schon egal, resignativ ein Drink hinter die Binde gegossen.

Das ist die Spannung, die das „Rheingold“ auch im fünften und letzten Jahr aushalten muss – und die zugleich der Motor der Produktion ist.

Die Spannung zwischen Musik und Szene

Vor allem Bayreuth-Stammgäste haben Frank Castorf ja genau das als Verweigerung ausgelegt und gleich zweifach zum Vorwurf gemacht: dass das Bühnengeschehen erstens nichts mit der durch die Musik und den Text erzählten Handlung zu tun habe. Und dass zweitens das, was auf der Bühne passiert, weder spannend noch schlüssig sei und zur Musik nicht nur nicht passe, sondern geradezu davon ablenke.

Dabei ist die Spannung nur verlagert: Weil Castorf es mit Recht für relativ erwartbar hält, dass Alberich auch diesmal das Rheingold raubt und später Fafner Fasolt erschlägt, und weil die Musik diese Handlung ohnehin erzählt, nimmt er sich die Bühne als Leinwand für Assoziationen, in ständiger Reibung zur Musik, die man als Zuhörer erst einmal vertragen muss – zumal als ein Bayreuth-erfahrener, der auf dem Grünen Hügel bislang nur linear erzählte „Ringe“ gesehen hat und auch sonst nicht viel anderes. Eine Bühnenhandlung zu konstruieren, die nicht die Musik illustriert noch schlüssig und nachfühlbar macht, sondern hinterfragt und konterkariert und dadurch Spannung erzeugt, mit der man erstmal zurecht kommen muss. Zumindest im „Rheingold“ ist das gelungen. Und es ist schlau genug, dass es für einen Teil der Bayreuth-Stammgäste als besonders dumm missverstehbar war.

Jedes Jahr ein bisschen unfertiger

Inzwischen aber scheint es so, dass sich ein paar der Kräfte und Naturgesetze, die Castorf als Schöpfer seines eigenen Universums für diesen „Ring“ erschaffen hat, gegen die Produktion richten. Zum Beispiel passt es auf merkwürdige Art gut zum ironischen Ton der Produktion, dass ihr schon im ersten Jahr der zweifelhafte Charme anhaftete, improvisiert und nur halbfertig zu sein, seither aber bei jeder Wiederaufnahme ein bisschen unfertiger und improvisierter zu wirken als im Vorjahr.

An Castorf liegt das nicht. Er, dem stets Verweigerung vorgeworfen wurde, hat auch im fünften Jahr noch sichtbar an der Personenregie gefeilt. Zum ersten Mal ist die Rheintöchter-Szene kein halbgares, sondern ein endlich durcherhitztes Geplänkel, und auch die Off-Szenen mit den Wotans Chauffeur (Martin Scholti) und Patric Seibert als Barkeeper wirken verschlankt und runderneuert.

Aber nicht alle Sänger haben Lust auf die ihnen zugedachten Rollen in dem Action-Western, der dieses „Rheingold“ ist.

Janowski war schon mal souveräner

Und Marek Janowski kämpft am Pult auch in seiner zweiten Saison noch sehr mit den Tücken der Akustik und mit den Naturgesetzen, die im Bayreuther Orchestergraben außer Kraft sind. Er reiht sich damit ein in die große Riege größter Namen, die anderswo brillierten – Janowski lieferte etwa zuletzt mit dem NDR-Orchester unter anderem in der akustisch ebenfalls heiklen Elbphilharmonie ein „Rheingold“ nahe an der Perfektion ab – und in Bayreuth ins Schwimmen geraten. Eben weil in Wagners Festspielhaus ein paar Naturgesetze außer Kraft sind. Nur in den Verwandlungsstellen, wenn im Orchester aus einem Kontrabass-Ton der Rhein entspringt, die Wagner-Tuben aus dem Geigennebel Walhall aufsteigen lassen oder am Ende in behaupteter Pracht der Untergang fühlbar wird, zeigt Janowski die ihm eigentlich eigene vollkommene Souveränität.

Die in sich perfekt harmonierenden Rheintöchter (Alexandra Steiner, Stephanie Houtzeel, Wiebke Lehmkuhl) entkommen ihm nicht nur bei den heiklen Ensemble-Stellen. Albert Dohmen als Alberich klingt kurzatmig und angestrengt, Iain Paterson als Wotan bleibt einfarbig, lustlos und seltsam zweidimensional, auch die übrigen Götter bleiben verhuscht und farblos: Fricka (Tanja Ariane Baumgartner) und Freia (Caroline Wenborne), Donner (Markus Eiche) und Froh (Daniel Behle). Und Roberto Saccà irrlichtert als Loge hilflos und überfordert durch die Partie.

Angestrengtes Irrlichtern

Auch das passt auf merkwürdige Art zur Produktion. Aber noch ist auf dem Grünen Hügel die Unantastbarkeit der Partitur nicht aufgehoben, das würde in Bayreuth zurzeit wohl nicht nur das Publikum überfordern, und mindestens nach einem Abend, der so knirschte und knarzte wie dieser, kann man sagen: Es ist bis auf Weiteres auch besser so.

Und so sind es Nadine Weissmann und Günter Groissböck, Erda und Fasolt, die mit großen, vielfarbigen Stimmen, die Worten auch singend einen Sinn und emotionale Tiefe verleihen, was hier heute sonst leider niemandem gelingt. Ein Abend auf den Schultern eines muskelbepackten Proleten, der sich herzensweich übers Ohr hauen lässt, und einer lebensklugen Edelhure mit goldener Stimme und im weißen Pelz, die allein weiß, dass sie am Ende mit allem recht behalten wird – keine schlechte Bilanz für einen Castorf-Abend. Für den nächsten „Ring“ 2020 ist Groissböck als Wotan engagiert, er hat schon diesmal auf jeden Fall bewiesen, dass er den Abend alleine tragen kann.

Irgendwas pfeift aus dem letzten Loch

Dazu muss er gegen eine ganz eigene Geräuschkulisse ankämpfen: Die Drehbühne ächzt, die Nebelmaschine röchelt unüberhörbar, zu Beginn der vierten Szene pfeift irgendwas minutenlang ziemlich penetrant aus dem letzten Loch.

Und natürlich ist es richtig, dass Theater, so alt und vergangenheitsbezogen es auch sein mag, ausschließlich aus Gegenwart besteht, aus dem Hier und Jetzt auf der Bühne. Aber dennoch darf man es als Zuschauer wenigstens kurz bedauern, dass „Das Rheingold“ 2017 szenisch und vor allem musikalisch mit dem „Rheingold“ von 2013 kaum mehr etwas zu tun hat. Die Werkstatt Bayreuth funktioniert, wenn man nicht aufpasst, auch andersherum.

Für den Status Quo war am Ende der Jubel groß und beinahe einhellig. Es wird in guter Erinnerung bleiben, dieses „Rheingold“. Und hoffentlich nicht allzu schmerzlich vermisst werden.