An Castorf liegt das nicht. Er, dem stets Verweigerung vorgeworfen wurde, hat auch im fünften Jahr noch sichtbar an der Personenregie gefeilt. Zum ersten Mal ist die Rheintöchter-Szene kein halbgares, sondern ein endlich durcherhitztes Geplänkel, und auch die Off-Szenen mit den Wotans Chauffeur (Martin Scholti) und Patric Seibert als Barkeeper wirken verschlankt und runderneuert.
Aber nicht alle Sänger haben Lust auf die ihnen zugedachten Rollen in dem Action-Western, der dieses „Rheingold“ ist.
Janowski war schon mal souveräner
Und Marek Janowski kämpft am Pult auch in seiner zweiten Saison noch sehr mit den Tücken der Akustik und mit den Naturgesetzen, die im Bayreuther Orchestergraben außer Kraft sind. Er reiht sich damit ein in die große Riege größter Namen, die anderswo brillierten – Janowski lieferte etwa zuletzt mit dem NDR-Orchester unter anderem in der akustisch ebenfalls heiklen Elbphilharmonie ein „Rheingold“ nahe an der Perfektion ab – und in Bayreuth ins Schwimmen geraten. Eben weil in Wagners Festspielhaus ein paar Naturgesetze außer Kraft sind. Nur in den Verwandlungsstellen, wenn im Orchester aus einem Kontrabass-Ton der Rhein entspringt, die Wagner-Tuben aus dem Geigennebel Walhall aufsteigen lassen oder am Ende in behaupteter Pracht der Untergang fühlbar wird, zeigt Janowski die ihm eigentlich eigene vollkommene Souveränität.
Die in sich perfekt harmonierenden Rheintöchter (Alexandra Steiner, Stephanie Houtzeel, Wiebke Lehmkuhl) entkommen ihm nicht nur bei den heiklen Ensemble-Stellen. Albert Dohmen als Alberich klingt kurzatmig und angestrengt, Iain Paterson als Wotan bleibt einfarbig, lustlos und seltsam zweidimensional, auch die übrigen Götter bleiben verhuscht und farblos: Fricka (Tanja Ariane Baumgartner) und Freia (Caroline Wenborne), Donner (Markus Eiche) und Froh (Daniel Behle). Und Roberto Saccà irrlichtert als Loge hilflos und überfordert durch die Partie.
Angestrengtes Irrlichtern
Auch das passt auf merkwürdige Art zur Produktion. Aber noch ist auf dem Grünen Hügel die Unantastbarkeit der Partitur nicht aufgehoben, das würde in Bayreuth zurzeit wohl nicht nur das Publikum überfordern, und mindestens nach einem Abend, der so knirschte und knarzte wie dieser, kann man sagen: Es ist bis auf Weiteres auch besser so.
Und so sind es Nadine Weissmann und Günter Groissböck, Erda und Fasolt, die mit großen, vielfarbigen Stimmen, die Worten auch singend einen Sinn und emotionale Tiefe verleihen, was hier heute sonst leider niemandem gelingt. Ein Abend auf den Schultern eines muskelbepackten Proleten, der sich herzensweich übers Ohr hauen lässt, und einer lebensklugen Edelhure mit goldener Stimme und im weißen Pelz, die allein weiß, dass sie am Ende mit allem recht behalten wird – keine schlechte Bilanz für einen Castorf-Abend. Für den nächsten „Ring“ 2020 ist Groissböck als Wotan engagiert, er hat schon diesmal auf jeden Fall bewiesen, dass er den Abend alleine tragen kann.
Irgendwas pfeift aus dem letzten Loch
Dazu muss er gegen eine ganz eigene Geräuschkulisse ankämpfen: Die Drehbühne ächzt, die Nebelmaschine röchelt unüberhörbar, zu Beginn der vierten Szene pfeift irgendwas minutenlang ziemlich penetrant aus dem letzten Loch.
Und natürlich ist es richtig, dass Theater, so alt und vergangenheitsbezogen es auch sein mag, ausschließlich aus Gegenwart besteht, aus dem Hier und Jetzt auf der Bühne. Aber dennoch darf man es als Zuschauer wenigstens kurz bedauern, dass „Das Rheingold“ 2017 szenisch und vor allem musikalisch mit dem „Rheingold“ von 2013 kaum mehr etwas zu tun hat. Die Werkstatt Bayreuth funktioniert, wenn man nicht aufpasst, auch andersherum.
Für den Status Quo war am Ende der Jubel groß und beinahe einhellig. Es wird in guter Erinnerung bleiben, dieses „Rheingold“. Und hoffentlich nicht allzu schmerzlich vermisst werden.