"Parsifal"-Premiere: Heiliger Bimbam

Von Florian Zinnecker
so brutal einfach kann „Parsifal“ sein: Amfortas (Ryan Mc Kinny) muss wieder bluten. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele Foto: red

Herausragendes Orchester, starke Sänger, mäßige Inszenierung, ja, manchmal - gar keine Inszenierung: Auch im zweiten Jahr seines "Parsifal" bringt Uwe Eric Laufenberg seine Ideen nicht über die Rampe.

 
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Das Problem entlarvt sich diesmal ganz von selbst, am Ende des ersten Aufzugs, in der Abendmahlszene. Die Gralsritter und der alte Gralskönig Titurel haben Amfortas zum Schröpfen auf den Opfertisch zitiert, einer der Ritter öffnet eine Ader in Amfortas’ nackter Brust und füllt sein Blut in den Abendmahlskelch. Einer muss sich opfern für die Gemeinschaft, immer der gleiche.

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Die Herren des Chors haben sich, damit sich auf der Bühne wenigstens irgendwas bewegt, auf offener Szene während Amfortas’ Klagegesang gerade noch ein paar Stühle von der Seitenbühne geholt; dabei wäre während der Verwandlungsmusik wirklich genug Zeit dafür gewesen. Nun kauert Amfortas blutend auf dem Altar; die mystische Wunde, die sich niemals schließt, schließt sich deshalb nicht, weil sie immer wieder aufgeschnitten wird, so brutal einfach kann „Parsifal“ sein, jedenfalls, wenn man Uwe Eric Laufenberg glaubt.

Die Stimmen aus der Höhe, man hört sie kaum

Aus dem Graben tönt im Pianissimo das Tremolo der Streicher, gleich wird hier ein Wunder geschehen. Das wäre nun der Moment, in dem aus verschiedenen Positionen im Schnürboden die Stimmen aus der Höhe ertönen. Ein Effekt, der nur in Bayreuth in dieser Form funktioniert, bis heute. Nur leider: Man hört die Stimmen kaum. Das liegt zum einen am Streichertremolo, das vielleicht doch kein echtes Pianissimo ist, vor allem aber schließt die Kirchenkuppel, die Bühnenbildner Gisbert Jäkel auf die Festspielhausbühne gezimmert hat, den Bühnenraum offenbar so gut nach oben hin ab; die Stimmen sind da, aber kommen nicht durch, und da geht es den Sängern wie der Inszenierung.

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„Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen funktioniert nur, wenn es mehrere Ebenen gibt, die perfekt zusammenspielen. Und es wäre sicher falsch zu glauben, es gebe in Uwe Eric Laufenbergs Konzeption keinen inhaltlichen Überbau. Es gibt ihn sicher. Nur kommt im Zuschauerraum des Festspielhauses beinahe nichts davon an.

Ein allgemeines Misstrauensvotum

„Parsifal“ ist bei Laufenberg ein Misstrauensvotum gegen jede Art von Religion. Die Gralsrittergemeinde pflegt - siehe oben - eine pervertierte Art von Gottesdienst, Klingsor scheitert erst beim Beten nach Mekka, dann übertreibt er’s durch Selbstgeißelung und Kruzifix-Leidenschaft mit dem Christentum, am Ende des dritten Aufzugs legt der Herrenchor allerhand Religionssymbole in Titurels Sarg, ohne dass ein plausibler Grund dafür ersichtlich wäre.

Dann und wann entstehen aus diesen Ideen auch recht hübsche Bilder. Nur mit „Parsifal“ hat das alles eher zufällig und am Rande zu tun, es bleibt bei der einen Idee, und die bleibt bei sich selbst stehen. Die im Libretto und in der Partitur behauptete Handlung spult sich parallel dazu ab, teils gar nicht, teils lustlos und überwiegend widersprüchlich bebildert.

Die leere Bühne als Kapitulation

Mit der Symbolik um den heiligen Speer, den Gral, den Karfreitagszauber, Amfortas’ Erlösung hat das wenig zu tun, eine kritisch-reflektierte Hinterfragung des Stoffs, die - am Rande bemerkt - bei „Parsifal“ nicht weniger geboten ist als etwa bei den „Meistersingern“, ist das aber auch nicht. Sondern eher ein gleichgültiges Schulterzucken. Die Frage, warum nun ausgerechnet ein unwidersprochen heiliger Speer, zerbrochen und zum Kreuz gebunden, hier die Lösung eines Problems sein soll, und welches Problems genau, bleibt auch im zweiten Jahr unbeantwortet. Und so wirkt die leere Bühne am Ende nicht wie ein Statement, sondern in seiner Ausgefranstheit eher wie eine Kapitulation: Schaut her, das alles ist mir dazu eingefallen, jetzt weiß ich auch nicht.

Haenchen setzt das Werk neu zusammen

Und so ist es erneut allein Hartmut Haenchen, der am Pult das tut, was eigentlich auch Aufgabe der Regie gewesen wäre: Das Werk komplett auseinanderzunehmen, zu analysieren und dann wieder wie neu zusammenzusetzen. Und das ist es, was den Reiz dieser musikalischen Interpretation ausmacht: Haenchen folgt keinem Drehbuch, er versucht kein musikalisches Bilderbuch zu kreieren, keinen Actionfilm, keinen Gottesdienst. Er dirigiert, was in den Noten steht, einfach geradeaus, und zwar - wenn sich sein Tun überhaupt in Worte fassen lässt, dann so - ohne zu übertreiben. Sehenswert ist die Produktion vor allem, weil alle Rollen herausragend besetzt sind. Ryan McKinny als körperlich wie stimmlich schlanker, wenn auch nicht allzu breitschultrig klingender Amfortas. Georg Zeppenfeld als Idealbesetzung des Gurnemanz, Günther Groissböck, künftiger Bayreuther Wotan, sprang für Karl-Heinz Lehner als Titurel ein.

Parsifal mit Kraft und Wucht

Andreas Schager als neuer Parsifal, der die körperlose Leichtigkeit seines Vorgängers mit Kraft und Wucht ersetzt, was der Partie alles anders als schadet, ein paar Schlampereien in der Intonation zum Trotz. Derek Welton gibt ein zu recht gefeiertes Bayreuth-Debüt als Klingsor, Elena Pankratova hat als Kundry einen ihrer besten Abende. Und auch der Festspielchor, geleitet von Eberhard Friedrich, macht erneut klar, auf welch hohem Niveau hier musiziert wird, ganz gleich, was auf der Bühne passiert (oder nicht passiert).

Radikalität? Ach bitte!

Und auch die von Laufenberg im vergangenen Jahr wortmächtig behauptete Radikalität seiner Gedanken bleibt reine Behauptung: ein Kreuz mit anmontiertem Phallus wird von Klingsor und Kundry groß durch die Luft geschwenkt, dabei bleibt’s. Beim Karfreitagszauber – als es plötzlich aus dem Bühnenhimmel herunterregnet wie aus dem Gartenschlauch, als wäre die Bühnentechnik des Festspielhauses nicht zu einer filigraneren Umsetzung von Regie-Einfällen in der Lage – tanzen nackte Frauen unter dem Blätterdach herum wie in der Fantasie eines Viertklässlers, (sind wir da noch im Nordirak, und wenn nein, seit wann nicht mehr?), als sie gleich darauf nach vorn treten, lässt ihnen die Regie verschämt einen blauen Schurz reichen.

Und auch das Blut aus der Brust Amfortas’ rinnt (im Übrigen: anders als vergangenes Jahr) nicht sichtbar, reicht dann aber doch, um die Gralsritterschaft zu verköstigen. Damit hat sich das Regieteam selbst um eins ihrer stärksten Bilder gebracht.

Was souverän wäre

Die letzten Takte des Abends gehen uninszeniert über die leerer Bühne, beinahe konzertant. Und beim Verlassen des Saals ist es dann - mangels anderer Gedanken - diese Idee, die bleibt. Vielleicht läge darin ja noch eine Chance für die Produktion: als konzertante Aufführung, als erste ausdrücklich als gescheitert geltende Inszenierung, mit deren Scheitern nach dem zweiten Jahr konsequent umgegangen würde. Das wäre souverän. Und, sollte es immer noch darum gehen, sogar ein kleines bisschen radikal.