"Mein Körper war mein Gefängnis"

Von Christina Knorz

Andrea Eibl (53) hat sich befreit. Die gebürtige Bayreutherin hat seit Oktober vergangenen Jahres 50 Kilogramm abgenommen. Jetzt traut sie sich an die Öffentlichkeit und will anderen Menschen mit Adipositas helfen. Sie wolle nicht die einzige bleiben, die diesen Weg schafft. Ihre Geschichte handelt von Scham, zu vielen Diäten und dem Mut, für sich zu kämpfen.

 
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Andrea Eibl sitzt da und strahlt. Ihre Augen funkeln, wenn sie davon erzählt, wie gerne sie jetzt mit ihrem Mann und den Freunden abends weggeht. Wie sie sich Zeit nimmt, um zu Walken oder sich etwas Leckeres zu kochen. Aber wenn man sie nach den Jahrzehnten davor fragt, sinken ihre Schultern nach vorne, sie spricht leiser. Dann ist sie auf einmal wieder die Frau in einem dicken Körper, die sich nicht traut, in der Öffentlichkeit ein Eis zu essen.

Zu dick, zu schwer

Zu dick, zu schwer: Wann es angefangen hat, sei schwer zu sagen. Irgendwann als Jugendliche, habe sie sich zu dick gefühlt. Ob das wirklich zutraf? "Wenn ich mich damals einfach akzeptiert hätte, wie ich bin und auf Sport und gesunde Ernährung geachtet hätte, wäre vieles anders gelaufen." Stattdessen macht sie Diäten. Immer wieder, immer mit kurzfristigem Erfolg. Aber nach kurzer Zeit hatte sie mehr drauf als vor der Diät. "Es war ein Teufelskreis, aus dem ich nicht herauskam."

Die Scham wächst

Zwischen den Diäten macht Andrea Eibl eine Ausbildung zur Masseurin, bekommt zwei Kinder, erledigt Hausarbeit, ihren Job und funktioniert in der "normalen Tretmühle des Alltags". Viele Pflichten, wenig Freiraum. Dass sie von Jahr zu Jahr mehr auf die Waage bringt, lässt ihre Scham wachsen. Sie schaut sich nicht mehr im Spiegel an, nur noch bis zum Hals. Wenn sie an Schaufenstern vorbeiläuft, hält sie den Blick starr geradeaus. Sie bekommt Rheuma, Bewegungen werden schmerzhaft. "Mein Körper war mein Gefängnis."

Auszeit nehmen

Wenn sie sich rückblickend einen Rat geben sollte? "Man muss sich persönliche Auszeiten nehmen, unnötige, nebensächliche Sachen ernst nehmen und seine Persönlichkeit pflegen. Und nicht nur Pflichten erfüllen."

Als sie bemerkt, dass ihre Beweglichkeit kontinuierlich abnimmt, löst das ein heftiges Gefühl in ihr aus. "Ich wollte raus, ich musste mich befreien aus diesem Gefängnis." Von diesem Moment bis zur glücklichen, 50 Kilo leichteren Andrea Eibel vergehen fünf Jahre. "Das war ein harter Weg."

Rheuma wird schlimmer

Sie fängt an zu lesen, informiert sich bei Ärzten, Krankenkassen, im Internet. Sie fährt einmal im Monat nach Neumarkt in der Oberpfalz zu einer Selbsthilfegruppe. Sie entscheidet sich, ihren Magen operativ verkleinern lassen zu wollen. Drei Jahre lang führt sie nach Anweisung der Krankenkasse Buch über ihr Essverhalten und darüberm wie viel sie sich bewegt. Ein Nachweis dafür, dass sie alles in ihrer Macht stehende für eine Gewichtsveränderung tut. "Es schlug nicht mehr an, stattdessen wurde das Rheuma schlimmer."

Mit der Krankenkasse vor das Sozialgericht

Im Oktober 2016 lässt sie sich in München operieren ohne vorher die Zusage der Krankenkasse zur Übernahme der Kosten haben. Schriftliche Auseinandersetzungen folgen, Anwälte werden eingeschaltet, der Fall geht vor Gericht. Andrea Eibl kämpft für das, was sie "ihren einzigen Ausweg" nennt. Bevor das Sozialgericht entscheiden kann, willigt die Kasse ein und zahlt.

Vom Marterpfahl befreit

An ihren ersten Schritt aus der Klinik erinnert sie sich. "Ich war befreit. Von meinem Marterpfahl losgebunden." Andrea Eibl macht seither dreimal in der Woche Sport. Aquagymnastik, Walken, Fahrradfahren. "Am Anfang war es eine Quälerei, dann wurde es leichter und dann machte es Spaß." Jetzt leuchten ihre Augen wieder. Jetzt hört sie auf ihr Bauchgefühl, wenn sie satt ist. Auch wenn ihr Kopf sagt, sie brauche mehr. "Essen war für mich Befriedigung, Bestätigung, Belohnung. Gleichbedeutend damit, mir etwas Gutes zu tun." Sie hat gelernt: Essen ist dafür da, den Körper zu erhalten. "Und für mehr nicht."

Ein Leben lang aufmerksam bleiben

Die Selbsthilfegruppe richtet sich an Menschen mit Adipositas. "Es geht um Austausch, Verständnis, gemeinsame Aktivitäten, darum, neuen Mut zu fassen und aus der Verzweiflung herauszukommen", sagt Andrea Eibl, die weiß: "Ich bin immer noch im Körper einer Dicken und werde mein Leben lang auf Ernährung und Sport besonders achten müssen."

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Information: Die Selbsthilfegruppe Adipositas trifft sich an jedem ersten Dienstag im Monat um 19 Uhr im Gemeindezentrum St. Benedikt in Aichig, Odenwaldstraße 6. Kontakt zur Gruppe gibt es über Facebook unter dem Namen Selbsthilfegruppen Adipositas Bayreuth, über WhatsApp unter der Nummer 0152/28733802, per Mail: SHG-Adipositas-bayreuth@online.de

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