Prozess gegen einen Messerstecher: Junger Mann hatte synthetische Drogen im Blut "Schnell, ich will nicht, dass er stirbt"

Von Manfred Scherer
Wegen versuchten Totgschlags steht ein 24-Jähriger vor dem Bayreuther Schwurgericht. Foto: Britta Pedersen dpa/lbn (Zu dpa "Ehemaliger Stasi-Mitarbeiter zieht erneut vor Gericht" vom 10.09.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Foto: red

18 Messerstiche gegen einen guten Kumpel bringen einen 24-Jährigen vor das Bayreuther Schwurgericht. Der überlebt wie durch ein Wunder. Eine hohe Dosis synthetisches Cannabis im Blut des Täters und ein ungewöhnliches Telefonat mit der Rettungsleitstelle legen nahe, dass der wegen versuchten Totschlags angeklagte Mann vor Gericht mildernde Umstände bekommen könnte.

 
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Leute wie ihn nennen sie bei der Polizei „Giftler“. Leute wie er nehmen gerne bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich: Alkohol, Drogen. Der 24-jährige Daniel S. landete deshalb vorm Richter. Dort wurde er wegen räuberischen Diebstahls verknackt zu zehn Monaten. Doch aus den zehn Monaten wurden zwei Jahre: Das ist die übliche Zeit, die Fachleute Drogen- und Alkoholabhängigen für einen richterlich angeordneten Entzug im Bezirkskrankenhaus zugestehen. Im Frühjahr 2016 kam Daniel S. dort raus, auf Bewährung.

Wodka und Kräuter beim Freigang

Draußen kümmert der Verein Kontakt sich um ihn. Er kriegt einen Platz in einer Wohngemeinschaft in der Innenstadt, unweit des Geländes des Bezirkskrankenhauses. Am 21. Juli 2016 trifft sich Daniel S. mit seinen Kumpel Kevin, den er in der Therapie kennen gelernt hat. Der hat Freigang. Am Ende liegt Kevin blutüberströmt am Boden im Zimmer der Wohngemeinschaft.

Experten registrieren heftige psychische Ausfälle

Daniel S. berichtet in seinem Prozess, dass er und sein Kumpel Kevin sich per Smartphone verabredet hatten. Zwei Flaschen Bier, zwei Flaschen Wodka habe man sich besorgt. Und einen Joint geraucht. „Kräuter“ – das ist das Stichwort dieses Prozesses. In dem Joint war kein klassisches Marihuana oder Hasch, sondern ein synthetisches Cannabinoid. Zeug, von dem die Experten nach wie vor nicht genau wissen, wann es in welcher Dosis was genau bewirkt. Die Experten registrieren allerdings heftige psychische Ausfälle.

"Dir tu' ich doch nichts"

Im vorliegenden Fall wirkte die Kräutermischung auf beide Männer. Daniel S. sagt, sein Kumpel Kevin habe ihn ständig „herablassend“ behandelt, beleidigt, ihm zwei Messer an den Hals gehalten, ihm einen Schlag verpasst – um gleichzeitig zu sagen: „Dir tu ich doch nichts.“

Beim Anruf mit seiner Oma sieht er Rot

Daniel S. bekam einen Anruf von seiner Oma und sein Kumpel Kevin quatschte Beleidigungen dazwischen: „Es war irgendwie krass, finde ich. Dann ist es schlagartig passiert. Ich habe ihn mit der Bratpfanne eins übergebraten. Ich hab’ halt Rot gesehen.“ Dem am Boden liegenden Kumpel versetzte Daniel S. eine Reihe von Messerstichen – zum Glück hatte er nur ein kleines Tomatenmesserchen mit acht Zentimeter kurzer Klinge zu Hand. „Er hat geröchelt und gehustet. Ich wollte nicht, dass er stirbt, deshalb hab ich die Polizei gerufen. Aber die haben mir das nicht abgekauft.“

Zweifel in der Rettungsleitstelle

Tatsächlich traf der Anruf von Daniel S. in der Rettungsleitstelle zuerst auf Zweifel. Anhand des Gesprächsprotokoll ist feststellbar, dass Kevin S. mehrfach sagt: „Bitte kommen sie her, ich habe jemand abgestochen!“ In der Leitstelle wird mehrfach nachgefragt, wo der Tatort ist, wie der Name des Anrufers ist. Daniel S. droht zwischendrin damit, dass er den anderen „nochmal absticht“, wenn niemand kommt. Und als die Leitstelle ihm sagt: „Irgendwie glaube ich ihnen nicht“, wird er wütend: „Mir ist das scheißegal, ob der im Leichensack endet!“ Als die Leitstelle daraufhin ankündigt, jemanden vorbei zu schicken, sagt der Anrufer: „Nehmen sie einen Sanka mit, vielleicht überlebt er es ja. Kommen sie schnell, ich will nicht, dass der stirbt!“

Der Hilfe-Anruf wird noch wichtig werden

Dieses Gespräch, so deutet es der Gerichtsvorsitzende Michael Eckstein an, wird noch wichtig werden: Welche mildernden Umstände es darstellt, ist noch nicht klar – es könnte aber im besten Fall einen Rücktritt des Messerstechers vom Tötungsversuch bedeuten.

Zigarette mit flüssigem Cannabis getränkt

Dass Daniel S. synthetische Drogen im Blut hatte, bestätigte sein Kumpel Kevin: Der Joint, den Mitinsassen des Bezirkskrankenhauses vom Balkon herabgeworfen hatten, soll mit flüssigem Cannabis getränkt gewesen sein. Auch eine Untersuchung des Blutes von Daniel S. erbrachte hohe Werte entsprechender Stoffe. Auf den später Niedergestochenen wirkte das Gift schnell und durchschlagend: „Ich kann mich kaum an etwas erinnern.“ Die Entschuldigung des Angeklagten: „Es tut mir leid, was ich dir angetan habe“, akzeptierte er im Gerichtssaal.

Das Opfer erlitt mindestens zwei potenziell tödliche Stiche: Einen hinten in den Brustkorb, einen in den Hals. Er verfehlte jedoch die Schlagader.

Im weitern Prozessverlauf muss das Gericht klären, wie weit die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt eingeschränkt war.

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