BIDEN GIBT NICHT AUF
Biden will die Schmach Clintons von damals wettmachen. Auch wenn der Wahlabend für ihn nicht ideal gelaufen ist, ist er weit davon entfernt, klein beizugeben. "Wir glauben, dass wir auf dem Weg sind, diese Wahl zu gewinnen", sagt er in seinem Heimatort Wilmington. Und, als hätte er eine Ahnung, fügt er noch vor dem Auftritt des Kontrahenten im Weißen Haus hinzu: "Ich oder Donald Trump können nicht verkünden, wer die Wahl gewonnen hat. Das ist die Entscheidung der Bürger Amerikas." Während Trump eine Entscheidung erzwingen will, appelliert Biden an die Geduld seiner Anhänger. "Es ist nicht vorbei, bevor nicht jede Stimme gezählt wurde."
KEIN DURCHMARSCH FÜR BIDEN
Dass Trump sich selber zum Sieger ausruft, kommt nicht wirklich überraschend. Zwei Tage vor der Wahl berichtete die Nachrichtenseite Axios von entsprechenden Plänen. Der Präsident dementierte zwar, aber so kam es dann doch. Die Demokraten hatten deshalb auf einen Erdrutschsieg Bidens gehofft: Trump hätte sich kaum glaubwürdig zum Sieger erklären können, hätte er abgeschlagen hinten gelegen. Ein solcher Durchmarsch aber bleibt Biden verwehrt. Kurz nach 23.00 Uhr ist Fox News der erste Sender, der Florida dem Amtsinhaber zuschlägt - im "Sunshine State" lag Biden in Umfragen vorn, wenn auch knapp. Danach kann Biden zwar Arizona aus dem Trump-Lager herausbrechen, doch das reicht nicht. In einigen "Swing States", die weder Demokraten noch Republikanern zuzuordnen sind, kann sich Biden nicht durchsetzen. Andere sind noch offen. In dem am Ende womöglich entscheidenden Bundesstaat Pennsylvania könnte es Tage dauern, bis ein Ergebnis feststeht.
HAT BIDEN FEHLER IM WAHLKAMPF GEMACHT?
Angesichts des vermutlich knappen Ausgangs dürfte sich nun auch die Frage stellen, ob Biden (77) im Wahlkampf genug gegeben hat. Während Trump wie ein Wirbelwind durch die "Swing States" tourte, ging es Biden viel ruhiger an. Trump - mit 74 Jahren auch kein Jungspund mehr - trat an manchen Tagen fünf Mal in verschiedenen Bundesstaaten auf. Biden hatte Wahlkampftage ohne einen einzigen Auftritt. Trump trommelte trotz der Pandemie Tausende Anhänger zusammen, oft an Flughäfen, an denen die Präsidentenmaschine "Air Force One" als eindrucksvolle Kulisse diente. Biden versammelte viel weniger Publikum, er begründete seinen zurückhaltenden Wahlkampf mit Corona-Schutzmaßnahmen. Aber auch die Pandemie sorgte nicht dafür, dass Biden einen Erdrutschsieg einfahren konnte. Dabei stellt eine Mehrheit der Amerikaner Trump seit Monaten ein schlechtes Zeugnis für sein Krisenmanagement aus. Eine Mehrheit sagt auch immer wieder, dass sie Biden eher zutrauen würde, die Krise zu lösen.
CORONA-PANDEMIE UND DIE WIRTSCHAFT
Nach einer Umfrage der amerikanischen Nachrichtenagentur AP war Corona für die meisten Wähler das wichtigste Thema bei der Stimmabgabe. Immerhin vier von zehn Wählern beschäftigte demnach die Pandemie am meisten, die in den USA mehr als 230 000 Menschen das Leben gekostet hat. Das ist ein Indiz dafür, dass Trumps Bemühungen, das Thema kleinzureden, nicht gefruchtet haben. Allerdings nannten die Wähler an zweiter Stelle die Wirtschaft - und da trauen mehr Amerikaner auf Trump.
Wichtig dürfte aber auch eine andere Umfrage sein, die kurz vor der Wahl veröffentlicht wurde und die Trump in den letzten Wahlkampftagen immer wieder zitierte: 56 Prozent der Amerikaner sagten in einer Befragung des Instituts Gallup, ihnen und ihren Familien gehe es besser als vor vier Jahren - und das mitten in der Pandemie.
LAGEN DIE UMFRAGEN FALSCH?
Der republikanische Senator Lindsey Graham sagte schon vor Trumps nächtlichem Auftritt voraus, der Präsident werde gewinnen. Graham selber - ein enger Trump-Vertrauter - konnte seinen Senatssitz verteidigen, und zwar mit einem viel größeren Vorsprung, als Umfragen erwarten ließen. Er sagte: "An alle Meinungsforscher dort draußen: Ihr habt keine Ahnung davon, was ihr tut." Das stimmt so allerdings nicht. Die Statistiker der renommierten Webseite FiveThirtyEight hatten Trump vor der Wahl zwar nur eine Chance von zehn Prozent auf einen Sieg ausgerechnet. Sie hatten aber zugleich gemahnt: "Denken Sie daran, dass eine zehnprozentige Gewinnchance keine nullprozentige Chance ist. Sie ist ungefähr so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Innenstadt von Los Angeles regnet. Und ja, es regnet dort tatsächlich."