Plastisches Panorama der Luther-Zeit

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Die Landesausstellung in Coburg ist der zentrale Beitrag Bayerns zum Reformationsjubiläum. In der Veste und in der Sankt-Moriz-Kirche bietet sie 181 Tage lang ein plastisches Panorama der Luther-Zeit und zeigt Hintergründe und Folgen der Reformation.

 
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Hähne krähen, Hufe klappern, Händler feilschen, Herren flanieren: Hochbetrieb herrscht auf dem spätmittelalterlichen Markt. Doch die Idylle trügt: Brot und Fleisch sind teuer, die Armut der Bauern wächst, die Zahnbrecher pfuschen neuerdings schon den Ärzten ins Handwerk und allerorten diskutiert man hitzig die kühnen Thesen dieses Doktor Luther.

Es gärt im Lande, die Gesellschaft ist im Umbruch – und wir sind mittendrin, zwischen Frömmigkeit und Aufbegehren, Traditionalisten und Revolutionären. Wir lauschen vor dem bunten Augsburger Markt-Diorama dem neuesten Tratsch von 1531, geraten zwischen zwei lanzenschwingende Ritter zu Pferde, bestaunen Götz von Berlichingens Eisenhand und Sankt Elisabeths sagenumwobenen „Hedwigsbecher“, befühlen die Reißnägel am Wittenberger Tor, spüren mit ein bisschen Fantasie die Beklemmung, die Luther im Coburger „Reich der Dohlen“ befallen haben mag, und stärken uns nach der eindrucksvollen Historientour mit süffigem Luther-Trunk.

Spannende Zeitreise

Alle Sinne der Besucher mobilisiert die Bayerische Landesausstellung „Ritter, Bauern, Lutheraner“, die am Montag in Coburg feierlich eröffnet wird und ab Dienstag 181 Tage lang zu einer spannenden Zeitreise einlädt. Den wichtigsten bayerischen Beitrag zum Reformationsjubiläum präsentiert das Haus der Bayerischen Geschichte an authentischen Stätten: Von der Veste Coburg aus verfolgte der in Reichsacht stehende Reformator 1530 die Geschehnisse des Augsburger Reichstags; sieben Mal predigte er während seines halbjährigen Aufenthalts in der Stadtkirche Sankt Moriz.

Martin Luther ist allgegenwärtig, er ist die Schlüsselfigur und doch nicht das Thema dieser Ausstellung, die das Team um Projektleiter Dr. Peter Wolf und den Gestalter Friedrich Pürstinger mit allen Finessen moderner Ausstellungstechnik „ganz nah am Menschen“ arrangiert hat: Ein lebendiges, plastisch inszeniertes, mit Kostbarkeiten und Kuriositäten reich bestücktes Zeitpanorama lädt dazu ein, in das gesellschaftliche Klima vor 500 Jahren regelrecht einzutauchen und nachzuempfinden, wie kühne Ideen und neue Techniken und Medien das Leben, das Denken und den Glauben der Bürger und Bauern, des Adels und der Geistlichkeit nachhaltig erschütterten. Und das florierende Geschäft mit der Frömmigkeit der einfachen Leute vermasselten.

100 Jahre Fegefeuererlass

Immerhin 100 Jahre Fegefeuererlass versprach jedes der sieben Kardinalssiegel eines Ablassbriefes aus dem 15. Jahrhundert, der zu den „Stars“ der Schau zählt – neben Original-Grafiken und Gemälden von Dürer und Cranach, raren Reliquien wie dem Hedwigsbecher und der ersten großen Reisekarte von Deutschland und Mitteleuropa, die der Nürnberger Kartograf Erhard Etzlaub 1501 veröffentlichte.

Rund 250 Exponate von internationalen Leihgebern und aus den Beständen der Veste-Kunstsammlungen illustrieren Alltag und Zeitgeist der Epoche und säumen den rund 800 Meter langen Rundgang von der Lutherkapelle über die Große Hofstube zu den Lutherzimmern, der durch Dörfer, Städte, Klöster und Ritterburgen führt. Vom digitalen Zufallsgenerator erhält jeder Besucher am Start einen virtuellen Begleiter und mit ihm einen ganz individuellen Blickwinkel als Bauer, Handwerker, Künstler oder Aristokrat auf die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Umwälzungen. Nicht nur ans junge Publikum richtet sich der Appell „Schau hin“, der an den Medienstationen dazu ermuntert, spielerisch und interaktiv ein Gespür für die Geschichte zu entwickeln: Am Medientisch „Was isst der Bauer?“ lässt sich der karge Speiseplan des armen Landvolks zusammenstellen, das Apostel-Glücksrad verlost Schutzheilige und Dürers berühmter Stich „Ritter, Tod und Teufel“ wird visuell entschlüsselt.

Magischer Spiegel

Im Luther-Zimmer, dem „emotionalen Zentrum“ der Schau, verblüfft ein riesiger „magischer Spiegel“ die Betrachter: Wie von Zauberhand geschrieben erscheinen flüchtige Luther-Zitate und künden von den produktiven Gedanken und profanen Nöten, die den Veste-Gast während seines sechsmonatigen Aufenthalts umtrieben: „Was Dolmetschen für Kunst und Arbeit sei, das hab ich wohl erfahren“, notierte er ebenso wie Klagen über Ohrensausen und quälende Verstopfung.

Als er in Coburg weilte, lag die Initialzündung seiner Kirchenkritik bereits 13 Jahre zurück. Die Ausstellung führt sie ganz konkret vor Augen: Am Holzportal der Wittenberger Schlosskirche verweisen nurmehr Fetzen an den symbolträchtigen Akt des Thesenanschlags, der womöglich niemals stattgefunden hat. Doch Luthers Gedanken fanden ihren Weg zum Volk: Sein revolutionärer „Sermon von ablaß und gnade“ wurde zum Bestseller und darf in dieser Schau so wenig fehlen wie weitere Dokumente der medialen Revolution, die den aufrührerischen Ideen zu Popularität verhalfen: Flugschriften, Kampflieder, Karikaturen.

Freiheit als sensibles Gut

Die konkreten Auswirkungen der Kirchenspaltung – vom friedlichen Zusammenleben bis zum dauerhaften Streit – beleuchtet die Ausstellung anhand von Beispielen aus Thüringen, Franken, Altbayern und Schwaben. Bis in die jüngere Geschichte wird der Rezeption Luthers nachgegangen – und seiner Instrumentalisierung im Sinne der jeweiligen Machthaber, die nicht immer dem Geist der Freiheit verpflichtet war.

Ihr ist darum die letzte Station der Ausstellung gewidmet, eine begehbare Installation, die sich als gestaltbarer Freiheitsraum entpuppt: Mit jeder Bewegung verändert der Besucher die Projektion von Zitaten von Cicero bis Schiller, von Luther bis Luxemburg, und erlebt die Freiheit als sensibles Gut. Immer in Bewegung und immer bedroht.

Informationen im Internet gibt es hier und hier

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