Personal fehlt Die Zukunft der Pflegeausbildung in Bayreuth

Es gibt weniger Bewerbungen für die Pflegeberufe. Gründe sind unter anderem Corona und die geburtenschwachen Jahrgänge. Das Klinikum versucht, Jugendliche mit Qualität für den Beruf zu gewinnen. Foto: red

Der Personalnotstand in der Pflege ist längst Realität. In wenigen Tagen starten die neuen Kurse an den Berufsfachschulen für Pflege, Physiotherapie und Medizinisch-Technische Assistenz. Das Klinikum Bayreuth informiert über die Ausbildungsstrategie der Schulen.

 
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Der Rückgang ist deutlich. Zum Jahresende 2022 befanden sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes insgesamt 146.500 Personen in der Ausbildung zum Beruf der Pflegefachfrau beziehungsweise des Pflegefachmanns. Gegenüber dem Vorjahr waren das sieben Prozent oder 4000 weniger neu abgeschlossene Ausbildungsverträge.

Über einen längeren Zeitraum ist der Trend noch klarer: Innerhalb von nur drei Jahren hat sich die Zahl der Bewerbungen junger Leute an der Berufsfachschule für Pflege der Klinikum Bayreuth GmbH mehr als halbiert, teilt das Klinikum mit. Die Verantwortlichen wollen dieser Entwicklung begegnen, indem sie vor allem auf Qualität setzen.

Warum vergleichsweise wenige Bewerbungen kommen? Gesamtschulleiter Jens Jungwirth und sein Stellvertreter Jens Groß wollen es nicht allein auf Corona schieben. Sicher habe die Pandemie auch hier Spuren hinterlassen – „aber die Gründe sind vielschichtiger“. Die geburtenschwachen Jahrgänge sind jetzt dran, da gibt es per se schon mal weniger Bewerberinnen und Bewerber. Die haben eine Vielzahl an Ausbildungsoptionen und lassen sich mit der Entscheidung mehr Zeit. „Noch jetzt führen wir Bewerbungsgespräche für die Ausbildungskurse, die am 1. September beginnen“, sagt Groß.

Für jeden Pflegebereich qualifiziert

Dazu komme: Es sei nicht vollends gelungen, den großen Vorteil, der generalistischen Pflegeausbildung, die seit Anfang 2020 gilt, deutlich zu machen. Wer seither eine Ausbildung in der Pflege absolviert, ist im Anschluss für jeden Pflegebereich qualifiziert. Ob ambulant oder stationär, ob somatisch oder psychisch, ob Geriatrie, Pädiatrie oder ein anderes Fach. Was erst einmal gut klinge, überzeuge beileibe nicht jede Interessentin und jeden Interessenten. „Wir sehen das im Bereich der Pädiatrie besonders deutlich“, sagt Schulleiter Jungwirth. „Wer mit Kindern arbeiten möchte, hat eben dieses besondere Interesse. Und dann ist eine dreijährige, generalistische Ausbildung mit Anteilen in anderen Bereichen der Pflege nicht mehr besonders attraktiv.“

Zur Wahrheit gehöre auch, dass der Wettbewerb um Fachkräfte von morgen längst in vollem Gange sei. Betriebe überbieten sich gegenseitig bei dem, was sie Auszubildenden schon am ersten Tag spendieren. „Materielle Dinge sollten bei einer Berufsentscheidung nicht die wichtigste Rolle spielen“, sagen die beiden Schulleiter. „Die Aufgabe und die Qualität der Ausbildung sind die zentralen Kriterien.“ Wichtiger sei also eine Ausbildung, die es in sich hat. Im Einzelnen:

Die Lehrkräfte: Mit der Generalistik sind die Anforderungen an das Personal in den Schulen gestiegen. Bis 2029 haben Pflegeschulen in Deutschland Zeit, ihr Lehrerkollegium zu akademisieren. Die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer muss dann mindestens einen Bachelor-Abschluss in Pädagogik haben, die andere Hälfte einen Master. „Wir erfüllen diese Vorgabe jetzt schon“, sagt Jungwirth. Der Großteil der 23 Lehrkräfte der Bayreuther Pflegeschule war einst selbst Pflegekraft in der Akutpflege oder der Pädiatrie. Ein Teil von ihnen hat eine zweijährige Fachweiterbildung draufgesattelt und danach noch Pflege-, Medizin und/oder Berufspädagogik studiert. Die Abbrecherquote an der Bayreuther Pflegeschule liege daher deutlich unter dem Durchschnitt. Die Begleitung während der drei Jahre und die Vorbereitung auf das staatliche Examen gelten als vorbildlich.

Das Skills Lab: Neben dem theoretischen Unterricht und der praktischen Ausbildung am Patientenbett ist das Skills Lab der dritte Lernort für angehende Pflegefachkräfte, der vor allem das psychomotorische Lernen unterstützt. Einfach gesagt: Lernen durch selbst erarbeitete Problemlösungen – und Fehler. Laut Wissenschaft ist es einer der effektivsten Wege, um sich Wissen dauerhaft anzueignen. Aber gerade das ist etwas, was in der Pflege nur selten möglich ist, sagt Jens Groß: „Die praktische Ausbildung unserer Schülerinnen und Schüler findet direkt am Menschen statt. Hier ist es schwer, Fehler zuzulassen, in den meisten Fällen sogar unmöglich.“ Das Skills Lab ist da anders. Es bietet einen geschützten Raum. Hier sind Fehler sogar erwünscht.

Es besteht aus zwei separaten Räumen. Raum eins simuliert ein Pflegezimmer, das rundum mit Videokameras und Mikrofonen ausgestattet ist. Im Bett liegt mit Anne eine programmierbare Puppe, zu der es übrigens speziell für die pädiatrische Ausbildung analog auch eine Säuglingspuppe gibt. Die Vitalzeichen werden auf einem Tablet digital angezeigt. Was Anne fehlt, entscheidet im Vorfeld eine Lehrkraft. Sie kann die Puppe individuell programmieren und damit eine entsprechende Pflegesituation inszenieren. Auf Wunsch reagiert Anne auch: Das ermöglicht ein kleines Touchpad, das die Lehrkraft bedient. Diese sitzt in Raum zwei. Hier sorgen zwei große Monitore dafür, dass den Lehrenden nichts entgeht. Über Mikrofon könnten sie jederzeit Anweisungen an die Schülerinnen und Schüler weitergeben. Gewollt ist das eher nicht, sagt Groß: „Im Skills Lab dürfen Schülerinnen und Schüler Fehler machen und sollen es sogar. Sie sollen eigene Wege finden, sich ihr Wissen selbst erarbeiten.“ Die Situationen werden aufgezeichnet und im Nachhinein besprochen und reflektiert.

Lerncoaching: Lernen zu lernen, ist manchmal nicht ganz einfach. Zwei Lehrkräfte der Pflegefachschule sind ausgebildete Lerncoaches. Sie arbeiten individuell mit Schülerinnen und Schülern. Was liegt Dir? Wo brauchst Du Hilfe? Drei Jahre lang sind sie an der Seite ihrer Auszubildenden.

Die Praxisanleiter: Nichts Besonderes, steht doch im Gesetz, werden die Kenner jetzt wohl sagen. Die Generalistik sieht vor, dass Schülerinnen und Schülern in der Praxis, im Kontakt mit Patientinnen und Patienten, von Fachkräften unterstützt werden. Wie das allerdings gelebt wird, das steht nicht im Gesetz: An den beiden Betriebsstätten der Klinikum Bayreuth GmbH sind 26 freigestellte Praxisanleiterinnen und Praxisanleiter im Einsatz. Mit Betonung auf „freigestellt“. Ihr zentraler Auftrag: Schülerinnen und Schülern beim Umsetzen des theoretischen Wissens in die Praxis zu helfen. Konkret heißt das: sieben Stunden Frühschicht mit sieben Stunden Praxisanleitung an der Seite.

Schüler leiten eine Station: An der Klinikum Bayreuth GmbH hat das schon eine gewisse Tradition, allgemeiner Standard ist es deshalb allerdings noch längst nicht. Für zwei Wochen übernehmen Schülerteams die Pflege der Patientinnen und Patienten und die Organisation einer Station. Stationsteams und Praxisanleiter sind Co-Piloten und sorgen für Sicherheit. Was das bringt: Schülerinnen und Schüler spüren ihre Verantwortlichkeit, arbeiten an ihrer Problemlösungskompetenz, wachsen als Team zusammen. „Und diese Zeit ist für viele ein absoluter Motivationsschub, weil sie sehen, dass ihre Berufsentscheidung richtig war“, sagt Jens Groß.

Was man sonst zum Leben und Arbeiten braucht: Gesundheitsförderung ist an der Pflegefachschule definierter Bestandteil des Lehrplans. Yoga ist im Angebot oder Ernährungsberatung und auch das Zurechtkommen mit Schichtdiensten. „Wir wollen ein Bewusstsein für gesunde Lebensführung schaffen“, sagt Jungwirth. Dazu gehöre auch das Kinästhetik-Angebot, das die Schule ihren Schülerinnen und Schülern macht. Drei Tage dauert der Grundkurs, in dem es darum geht, wie man sich als Pflegekraft selbst, aber auch den Pflegeempfänger schonend bewegt. Wie wichtig das ist, zeigt der Blick auf die Krankenstatistik in der Pflege: Rückenschmerzen sind ganz vorn dabei. Und auch wenn die Seele schmerzt, werden Schülerinnen und Schüler nicht allein gelassen. Ihnen steht eine psychologische Anlaufstelle zur Verfügung, die anonym berät. Und dabei ist es egal, ob die Probleme beruflich oder privat sind.

Nicht die Zukunft, die Gegenwart ist digital: Fachbücher sind teuer, Schüler der Bayreuther Pflegeschule müssen sie sich nicht kaufen. Ganz einfach, weil sie in einer digitalen Bibliothek zur Verfügung stehen. Und: Mit dem Lernportal Mebis sind Schüler frei, wann immer und wo immer zu lernen. Für die Schule ist gerade dieses Portal ein wichtiges Kommunikationsinstrument. Manchmal sind die jungen Leute ein paar Wochen nicht an der Schule und auch in keiner der beiden Klinikum-Betriebsstätten. Weil sie gerade einen Praxisaufenthalt in einer anderen Einrichtung absolvieren. In Zukunft bekommen Schüler Tablets, um noch einfacher auf die Lerninhalte zugreifen zu können. Und sie dürfen es zum Surfen und Chatten verwenden. Eine andere Idee, die gerade konkret wird: Die jungen Leute brauchen neben einer guten Ausbildung vor allem ein Dach über dem Kopf. Eine WG in Oberpreuschwitz entsteht gerade, ein noch viel größeres Projekt ist in Vorbereitung.

Das Lernen kann weitergehen: Um noch besser auf die Aufgaben als ausgebildete Pflegekraft in einem speziellen Bereich vorbereitet zu sein, bietet die Klinikum Bayreuth GmbH ein sechsmonatiges Trainee-Programm an. Die Teilnahme ist freiwillig. Ziel ist es, Fachkenntnisse weiter auszubauen und zu vertiefen – und das bei vollem Gehalt. Fort- und Weiterbildungen bietet das Krankenhaus der maximalen Versorgungsstufe in den Bereichen Notfallpflege, Intensiv- und Anästhesiepflege und nicht-medikamentöse Schmerztherapie an.

Für Jens Jungwirth hängt viel davon ab, dass wieder mehr junge Menschen in die Pflege gehen: „Medizin geht nicht ohne Pflege.“

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