Palliativpflege: Den Tod ins Leben lassen

Von Peter Rauscher
Ein Streicheln für die Kranke: Palliativpflegerin Regina Krasser ist für den Umgang mit sterbenden oder dementen Bewohnern ausgebildet. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Sachte streicht Regina Krasser mit dem Rücken ihres Zeigefingers über die Hand von Gerlinde F. Die alte Dame im Mühlhofer Stift  in Bayreuth leidet an schwerer Demenz, liegt im Bett und reagiert nicht. Altenpflegerin Regina Krasser spricht ruhig mit ihr und schaltet eine Duftlampe am Nachttisch ein. Sie hat gelernt, wie sie Demenzkranke oder sterbende Patienten am besten erreichen kann.

 
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Die 58-Jährige ist eine von vier ausgebildeten Palliativpflegerinnen am Mühlhofer Stift der Rummelsberger Diakonie. Zweimal vier Wochen hat sie an der Hospizakademie in Bamberg gelernt, wie sie mit Schwerkranken mit begrenzter Lebenszeit und Sterbenden umgehen kann.  Den Lehrgang zahlte ihr Arbeitgeber, mehr Gehalt bekommt sie trotz der Zusatzausbildung nicht.  „Man braucht den fachlichen Hintergrund, pflegende Mitarbeiter und Angehörige der Bewohner sind oft sehr unsicher und haben Angst vor dem Sterben“, sagt Krasser, die seit 38 Jahren im Mühlhofer Stift als Pflegerin arbeitet.

Sterbenden geben, was sie brauchen

„Wir wollen den Sterbenden geben, was sie brauchen“, erläutert Heimleiter Elmar Gehringer den Entschluss, Mitarbeiter für die Palliativpflege weiterzubilden. Seine Einrichtung hat für den Umgang mit Sterbenden einen besonderen Leitfaden erarbeitet, der Abschiedskultur und Palliativpflege im Haus verankert und beschreibt. Der Tod gehört zum Alltag in diesem wie in allen Pflegeheimen. 41 der 168 Bewohner des Mühlhofer Stifts starben heuer. Jedes Jahr wird der Gestorbenen am Freitag vor dem Totensonntag gedacht.

Lebenqualität verbessern

Es geht bei der Palliativpflege darum, die Lebensqualität von Bewohnern und Angehörigen zu verbessern und auf ihre besonderen Bedürfnisse einzugehen. Auf jeder Station im Mühlhofer Stift gibt es eine so genannte Trauerbox mit Musik-CDs, einer Mappe mit Texten für die Angehörigen, einer Karte mit den Namen der Pflegekräfte und einer LED-Kerze, die am Nachttisch der kranken Bewohner aufgestellt werden kann. „Blumen, Kerzen und Duftlampen wirken beruhigend. Die Bewohner reagieren am ehesten auf Berührungen, Massagen und  Gerüche“, sagt Krasser. Wobei es auch darum gehen kann, Gerüche von Ausscheidungen zu überdecken.  Bei Sterbenden trete oft das Bedürfnis nach Essen und Trinken in den Hintergrund. Mit Säften, Zitrone oder Wasser auf Tupfern werde etwas Flüssigkeit zugeführt und der trockene Mund gepflegt.

Sterbende soll man gehen lassen

Es wird nicht mit aller Macht versucht, Sterbenden mehr Nahrung zu verabreichen als sie verlangen. „Ich habe gelernt, dass man das Sterben ins Leben lassen muss, es akzeptieren muss. Für den Sterbenden und die Angehörigen ist es wichtig, dass man ihn gehen lässt. Man muss zulassen, dass nicht alle medizinischen Möglichkeiten um jeden Preis ausgeschöpft werden müssen“, sagt Krasser.  Sie und Gehringer empfehlen dringend eine Patientenverfügung, damit die  Wünsche der Bewohner für Ärzte dokumentiert sind.

Es fehlt an Pflegekräften

Besondere Zuwendung an Sterbende braucht Zeit, die Pflegepersonal immer weniger hat. „Wir haben die Pflegekräfte, die uns die Pflegekasse zugesteht, aber für eine bessere Versorgung bräuchten wir mehr“, sagt Elmar Gehringer. So versucht man sich selber kleine Spielräume zu schaffen. Während der halben bis dreiviertel Stunde, die Krasser für die Grundpflege eines Palliativpatienten braucht, wird sie bei Ruftönen möglichst nicht  zu anderen Bewohnern geholt, das sollen Kollegen übernehmen. Einfach ist das nicht, wenn nur zwei oder drei Fachkräfte für 29 Bewohner einer Etage zuständig sind. Wenn keine Zeit ist, hilft der Hospizverein, mit dem das Mühlhofer Stift eine Kooperationsvereinbarung hat. Liegt  eine ärztliche Verordnung vor, kann außerdem die Ambulante Palliativversorgung des Klinikums eingesetzt werden.

Wie wichtig die gute Betreuung Sterbender ist, kann man nicht in Zahlen messen oder in Akten dokumentieren. „Man spürt, dass sich die Bewohner geborgen fühlen“, sagt Regina Krasser. „Es entsteht ein tiefes Vertrauensverhältnis.“ Manchmal seien Bewohner aus unerfindlichen Gründen unruhig bis die vertraute Pflegeperson komme. Eine Bewohnerin sagte Regina Krasser einmal, sie habe bis heute nicht vergessen, wie Krasser sie bei hrer ersten Ankunft im Mühlhofer Stift angelacht habe. „Das war so schön.“

Info: Palliativ-Pflege

Palliativ-Pfleger wie Regina Krasser gibt es in vielen Altenheimen.  Allein die Hospizakademie in Bamberg hat seit ihrem Bestehen im Jahr 2002 rund 700 Pflegefachkräfte zu Palliativpflegern weitergebildet. In diesem Jahr gab es drei Grundkurse zu je 160 Unterrichtsstunden, dazu Aufbaukurse. Die Teilnehmer kommen aus ganz Deutschland, überwiegend aber aus Bayern, sagt stellvertretende Akademieleiterin Ulrike Maag. Auch Ärzte können sich hier zu Palliativmedizinern weiterbilden. Gesellschafter der Hospizakademie sind der Hospizverein Bamberg, die Krankenhausgesellschaft, die Sozialstiftung Bamberg und der Bezirk Oberfranken. (www.hospiz-akademie) raus

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