Opfer häuslicher Gewalt (Nicht) gut genug

Von Christina Holzinger
Maria L. wurde Opfer häuslicher Gewalt. Foto: Christina Holzinger Quelle: Unbekannt

BAYREUTH. „Du kannst nichts, du bist nichts wert“, diese Sätze musste sich Maria L. (Name von der Redaktion geändert) häufig in ihrem Leben anhören. Zunächst von ihrem Vater, später von ihrem Partner. Sie wurde depressiv, entwickelte Angststörungen. Bis sie sich vor einigen Monaten Hilfe suchte und ins Frauenhaus kam.

 
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Maria L. sitzt in einem Café in der Bayreuther Innenstadt, immer wieder rührt sie mit einem Löffel durch den dicken Milchschaum ihres Cappuccinos. Ihre langen Haare fallen ihr ins Gesicht, während sie mit leiser Stimme von ihrem Leben erzählt. Ihren Gründen, warum sie ihren Partner verlassen und ins Frauenhaus gezogen ist. Bei ihrer Geschichte fängt sie ganz von Anfang an, ihrer Kindheit in Bayreuth. Für sie, die sie ursprünglich Psychologie studieren wollte, ist klar: Die Kindheit beeinflusst das Erwachsenenleben. Und erst heute merkt sie, wie sehr. 

Maria L.s Kindheit war von zwei Personen geprägt: Ihrer Mutter, die sehr viel Zeit mit ihr verbrachte und sie mit viel Liebe großzog. Und ihren Vater, der sie anschrie und häufig maßregelte.  „Er hat nur Fehler in mir gesehen – mein größter Fehler war vielleicht, dass ich existiere“, sagt sie. Nichts konnte sie ihm recht machen. Selbst nach der Scheidung der Eltern kritisierte er sie für ihr Aussehen, ihre schulischen Leistungen, ihren Lebensstil. Nach ihrem Hauptschulabschluss machte sie eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin – dann boxte sie sich durch, wechselte immer wieder die Jobs. „Ich habe nie wirklich Fußfassen können.“ Gerade als sie beschloss, Realschulabschluss und Abitur nachzuholen, um dann Psychologie studieren zu können, bekam sie ihre beiden Kinder. Den Vater der beiden hatte sie im Alter von 25 Jahren in der Diskothek kennengelernt.

Nach mehreren unglücklichen Partnerschaften lernte sie im Jahr 2016 einen Mann aus dem Nachbarlandkreis kennen. Er war charmant, zuvorkommend, aufmerksam, einfühlsam. Das änderte sich schlagartig, als sie nach wenigen Monaten zusammenzog. Er kontrollierte Maria L. und deren Sohn, machte ihnen Vorschriften, drohte immer wieder die beiden aus der Wohnung zu werfen. „Er hat mich nur gedemütigt, um sich selbst besser zu fühlen“, sagt sie. Immer wieder schlug er Maria L.s Spitzmischling Ben, auf den die Frau wegen ihrer Angststörungen angewiesen ist.

Er verbot ihr sich zu schminken, kontrollierte, was sie einkaufen durfte, zerstörte ihre Sachen. Dann, als sie es nicht mehr aushielt, ging sie mit einer Freundin zur Polizei um sich über das Thema häusliche Gewalt zu informieren.  Sie zitterte, war aufgeregt. „Ich hatte nichts verbrochen, aber irgendwie fühlte es sich so an als ich das Revier betrat“, sagt sie. Die Beamtin erklärte ihr, welche Möglichkeiten sie hat. Dann ging Maria L. wieder nach Hause, zurück zu ihrem Partner. Vier Wochen lagen zwischen dem Gespräch im Juli diesen Jahres und der Entscheidung ins Frauenhaus zu gehen. Vier Wochen, in denen Maria L. häufig mit der Interventionsstelle in Coburg sprach.

Vier Wochen, in denen sie von ihrem Partner gedemütigt und kontrolliert wurde. So lange haderte sie, weil sie wusste, dass sie ihren Hund Ben nicht mit ins Frauenhaus nehmen durfte. Der Rüde hatte sie während der vergangenen Monate auf Schritt und Tritt verfolgt, sie vor ihrem Partner beschützt. Und dafür Schläge und Tritte kassiert. „Nach vier Wochen hat es gereicht, ich konnte Ben zu meinem Sohn geben und bin ins Frauenhaus.“ Sie vereinbarte mit den Mitarbeiterinnen des Frauenhauses einen Treffpunkt, an dem sie abgeholt wurde. Mit dabei hatte sie das Nötigste an Kleidung, den Rest lagerte sie bei Freunden und Bekannten. „Für mich war klar, dass das ein Abschied für immer ist.“

Die ersten Nächte im Frauenhaus waren hart für sie. Sie schlief schlecht, hatte große Angst, dass ihr früherer Partner sie finden würde. „Zum Glück hatte ich immer Ansprechpartner vor Ort, die mich stützten und auffingen“, sagt sie. Noch immer versucht sie sich an die Wohnsituation zu gewöhnen: Bis zu zehn Frauen leben gleichzeitig in dem Haus, jede hat ihr eigenes Schicksal zu bewältigen. Sie teilen sich Bad, Wohnzimmer, Küche. Nehmen am Leben der anderen Teil. „Ich muss mich da abkapseln, denn die Geschichten der anderen zu hören würde mich noch mehr runterziehen“, sagt Maria L. Dafür spricht sie oft mit ihrer Betreuerin Christine Ponnath. Diese weiß: „Jede Frau geht mit der Situation anders um.“

Mehrmals täglich besucht Maria L. ihren Hund, redet viel mit ihrem Sohn und geht mit der Tochter in der Innenstadt einkaufen. Zwischendurch liest sie viel und genießt es, selbstständig Entscheidungen treffen zu dürfen. „Das erste, was ich mir nach der Trennung erlaubt habe, war shoppen zu gehen“, sagt sie. Noch immer kann sie es kaum glauben, dass sie künftig das tun darf, was sie möchte. Dass sie einkaufen darf, was sie will. Und sie sich schminken und kleiden kann, wie es ihr gefällt. 

Auch heute verletzt sie das Verhalten ihres früheren Partners noch – „ich habe alles getan und er hat das nie gewürdigt.“ Wie ihr Vater – „mein Partner war genau wie er“. Ihr derzeit größter Traum ist eine eigene Wohnung, wo sie mit Hund Ben leben kann. Doch das wird schwierig, denn die Frauen aus dem Frauenhaus warten bis zu einem Jahr auf eine für sie bezahlbare Unterkunft. Bis dahin möchte sie die Zeit nutzen und ihre traumatische Vergangenheit aufarbeiten. Um dann gestärkt in die Zukunft zu starten.

Info:

Betroffene von häuslicher Gewalt und deren Angehörige können sich Informationen zu Hilfsangeboten bei der zuständigen Polizei einholen. Das Frauenhaus Bayreuth ist unter der 0921/21116 erreichbar.

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