Nagelsmann kann auf regionale Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen. Er muss die Bedingungen für eine sportlich perfekte Vorbereitung im Blick haben. Und die sind in der Thüringer Abgeschiedenheit mit kurzen Wegen zwischen Hotel und einem frisch errichteten Trainingsplatz mit Wembley-Rasen-Qualität bestens. Das Land Thüringen hat in die Infrastruktur investiert. Laut Wirtschaftsministerium fließen rund 1,5 Millionen Euro unter anderem in die Sanierung des städtischen Sportplatzes, die Umgestaltung des Schlossvorplatzes und das Medienzentrum.
Real- und BVB-Stars noch mit Königsklassen-Date
Nach der DFB-Elf kommen die Engländer mit Harry Kane. Der Bayern-Stürmerstar soll nur nach Ansicht der Bilder aus Blankenhain und der dortigen Golfbahnen sofort den Daumen für das EM-Quartier der "Three Lions" gehoben haben. Hausherr Matthias Grafe, ein positiver Machertyp, der 1990 nach Thüringen kam und später dann den alten Gutshof sanierte, pocht spaßeshalber darauf, den künftigen Europameister bei sich beherbergen zu wollen. Deutschland gegen England im Finale, das fände sicher auch Nagelsmann schick.
Zum Auftakt muss der Bundestrainer gleich eine gute Mischung finden. Von seinen 27 vorläufig nominierten Spielern sind zum Auftakt nur zwei Drittel dabei. Das Bayer-Trio Tah, Andrich, Wrtz kommt wie Kapitän Ilkay Gündogan und Torwart Marc-André ter Stegen wegen deren letztem Ligaspiel für den FC Barcelona mit Verspätung. Die vier Champions-League-Finalisten von Real Madrid (Toni Kroos, Antonio Rüdiger) und Borussia Dortmund (Niclas Füllkrug, Nico Schlotterbeck) stoßen wegen ihres London-Dates am 1. Juni sogar erst nach dem ersten Testspiel gegen die Ukraine (3. Juni/Nürnberg) zur DFB-Auswahl.
Magen-Darm-Infekt verhindert Neuers Anreise
Da soll Manuel Neuer nach anderthalb Jahren sein Comeback im DFB-Tor feiern. Der 38 Jahre alte Bayern-Profi, von Nagelsmann bereits zum Turniertorwart ernannt, konnte aber am Sonntag vorerst nicht nach Blankenhain anreisen. Grund: Ein Magen-Darm-Infekt.
Bei zuletzt angeschlagenen Spielern wie dem Bayern-Duo Jamal Musiala und Leroy Sané wird Nagelsmann die Belastung dosieren müssen. Um ordentlich üben zu können, hat er die U21-Nationalspieler Brajan Gruda (Mainz 05) und Rocco Reitz (Gladbach) als Trainingsgäste eingeladen. Die beiden Nachwuchsspieler werden sich einordnen in das von Nagelsmann entworfene, penible Personalkonzept mit klaren Rollenverteilungen.
"Wir haben einen guten Mix gefunden, zwischen sehr starken Persönlichkeiten, zwischen Persönlichkeiten, die sich unterordnen können und die anderen pushen", sagte der 36-Jährige. "Es sind schon zwei Busse voll mit Menschen, und das muss zusammenpassen."
Viel Zeit bleibt in Blankenhain nicht, bevor am Freitag der Umzug ins EM-Quartier in Herzogenaurach folgt. Und dem Wunsch der Fans nach Nähe zu ihren Helden soll vor dem Heimturnier auch Rechnung getragen werden. Los geht es am Montagnachmittag mit einem öffentlichen Training vor 15.000 Fans im Stadion des Regionalligisten Carl Zeiss Jena.
Jede Schraube muss sitzen
Danach bittet Nagelsmann in seiner typisch lockeren Art um Verständnis, dass es EM-Stars zum Anfassen nicht mehr geben wird. "Wir wollen uns nicht verstecken oder einsperren. Am Ende ist es aber normal, wenn man an etwas konzentriert arbeiten möchte. Wenn 6000 Leute am Fließband stehen, dann weiß ich nicht, wie der Tuareg über die Straße fährt, ob die Schraube so hält wie vorher", zog er einen Vergleich zur Fabrikarbeit beim DFB-Generalsponsor.
Nagelsmann weiß, dass der März-Aufschwung mit dem Testrausch gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) schnell verflogen ist, wenn es in der Vorbereitung oder dann gegen Schottland im EM-Eröffnungsspiel am 14. Juni in München nicht läuft. "Ich glaube, dass Stabilität gewachsen ist, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es wieder bröckelt. Jetzt geht es darum, das über sechs Wochen stabil auf den Platz zu bringen", sagte er. Und am besten gleich in Blankenhain.