Die am dritten Verhandlungstag am Montag vorgespielte Videosequenz ist nur ein kleiner Teil der Aufnahmen, die bei den Befragungen des Beschuldigten gemacht wurden, aber wohl der wichtigste. Aufgezeichnet ist hier eine Erzählung über das Kerngeschehen der Bluttat. Das Wissen über das Kerngeschehen hat nur einer: Boujeema L., der Mann, der nach seiner Einlassung die Tat beging. Die zweite Person, die zugegen war, ist tot.

Fünf Tage nach der Bluttat war er verhaftet worden, bis zum 8. Februar bestritt der Verdächtige in der U-Haft, die 28-jährige Sophia Lösche getötet zu haben. Am 8. Februar morgens präsentierte er seine Version dessen, was am späten Abend des 14. Juni 2018 in dem Führerhaus seines auf dem Autobahnparkplatz Sperbes im Gemeindegebiet von Plech stehenden Lastwagens geschehen sein soll.

Eine Tat in zwei Phasen

Schon am 8. Februar gliederte der Fernfahrer die Bluttat in zwei Abschnitte. Die erste Phase begann demnach, nachdem er während einer Kontrolle seiner Reifen von außen sah, dass die Frau seine Sachen durchwühlte, er sie zur Rede stellte und in der Fahrerkabine ein Streit begann. Er empfand ihr Verhalten als Eingriff in seine Privatsphäre. Er wollte, dass sie seinen Laster verlässt, sie ließ sich nicht beirren – auf der angeblichen Suche nach einem angeblich von ihm gestohlenen Haschkrümel: „Wäre sie gegangen, hätte ich sie nicht geschlagen.“ Er will eine Ohrfeige bekommen und zweimal das Schimpfwort „Arschloch“ gehört haben. Auf dem Fahrerplatz sitzend, will er den zuvor daneben abgelegten Radmutterschlüssel genommen und damit zugeschlagen haben. Nach dem ersten Schlag soll Sophia Lösche im Hinabfallen nach dem Bein des Angeklagten gegriffen und er deshalb erneut zugeschlagen haben.

Die Frau kam am Boden des Führerhauses zum Liegen, den Kopf in Richtung Fahrertüre. Boujeema L. will das Tatwerkzeug auf den Fahrersitz gelegt und die Kabine verlassen haben. In der Vernehmung am 8. Februar ging es darum, was er nach der ersten Tatphase gedacht habe. Ja, dass die Frau verletzt war. Nein, einen Rettungswagen wollte er nicht holen, denn: „Ich spreche ja kein Deutsch.“ Vielmehr habe er sie raus haben wollen aus seinem Laster, dachte, dann würde sie gefunden werden, jemand ihr helfen.

Boujeema L. gibt zu, ein drittes Mal zugeschlagen zu haben

Um den Motor des Lasters abzustellen und um seine Zigaretten zu holen, ging Boujeema L. zurück, nach seiner Geschichte folgt nun die zweite Tatphase: Beim Öffnen der Fahrertüre soll die am Boden liegende Verletzte den Arm und den Kopf gehoben haben. Er will „erschrocken“ sein. Auf der ersten oder zweiten Einstiegsstufe stehend, will er den nach dem Ende der ersten Tatphase auf den Fahrersitz gelegten Radmutterschlüssel gegriffen und erneut zugeschlagen haben. Erst danach will er die große Blutlache gesehen haben. Erst danach will er gemerkt haben, dass er einem Menschen das Leben genommen hatte.

Die Tonspur des Videos gibt die Stimme des Beschuldigten in einem klagenden, weinerlichen Ton wieder. Mit einem weißen Taschentuch wischt er sich hin und wieder die Augen. Mit Hilfe eines Kriminalbeamten demonstriert er, wie Sophia Lösche saß, wie sie hinabgebeugt war, wie sie hinfiel, wie er ihr nach der zweiten Tatphase mit Kabelbindern die Hände auf den Rücken fesselte, angeblich, um den Körper besser in die obere Koje an der Rückwand der Fahrerkabine hieven zu können – in das Leichenversteck.

Sophia hatte Haschisch-Wirkstoff im Blut

Der Prozess soll klären, ob die äußere Tatversion des Angeklagten zum Tatort im Führerhaus passt. Wichtiger wird die Frage sein, ob das, was er gedacht und gefühlt haben will, lebensnah ist. Ob er wirklich „aus Erschrecken“ den letzten Schlag versetzte? Und wenn ja, ob es vielleicht ein „Erschrecken“ darüber war, dass sein Opfer sich noch regte? Brachte Boujeema L. mit der zweiten Tatphase nur etwas zu Ende, was er angefangen hatte?

Eine Behauptung könnte stimmen: Die Obduktion der Toten in Spanien erbrachte: Das Opfer hatte Haschischwirkstoff im Blut, bezeugte ein Kriminalbeamter.

Am heutigen Dienstag werden Freunde und Angehörige davon berichten, welche Ängste sie durchlebten, als sie herausfanden, dass die vermisste Sophia in einem ganz bestimmten Laster war und wie sie die Polizei erst auf die Spur setzen mussten. Am Mittwoch soll das Opfer selbst sprechen – durch den Mund zweier spanischer Obduzentinnen, deren Aussagen via Videoleitung live übertragen werden.