Schon im fünften Jahr erreicht das Flüchtlingselend im Spätsommer mit der Macht schrecklicher Bilder die europäische Öffentlichkeit. Menschen opfern aus Not und Perspektivlosigkeit ihr Erspartes und riskieren ihr Leben, indem sie sich skrupellosen Schleppern und Menschenhändlern für die Überfahrt in die EU ausliefern. Es ist erbärmlich, dass die Europäer in dieser Zeit politisch so gut wie keinen Schritt vorangekommen sind. Bis heute sehen sich die 28 Staats- und Regierungschefs der EU nicht in der Lage, sich bei einer Frage mit überschaubarer Komplexität zu einigen: Wie will Europa die Lasten der irregulären Zuwanderung gemeinsam schultern? Darauf gibt es keine Antwort. Das ist die seit Jahren schwärende Wunde der EU: Vor allem osteuropäische Mitgliedstaaten wie Ungarn, Polen und Tschechien machen sich einen schlanken Fuß. Sie erklären sich für nicht zuständig, wenn es darum geht, Flüchtlinge aufzunehmen und in die Gesellschaften zu integrieren. Sie ignorieren gültige Beschlüsse über eine Lastenteilung und fühlen sich nicht an Urteile des höchsten europäischen Gerichts gebunden. Wenn sich dieses Verhalten Einzelner auf anderen Politikfeldern wiederholt, kann die EU einpacken.