Medienwandel Journalismus ohne Redaktionsschluss

Joachim Braun
 Foto: red

Das Internet hat das Verbreiten und das Konsumieren von Nachrichten verändert. Die Tageszeitung ist nicht mehr die erste Instanz, die Neuigkeiten verbreitet. Im Medienwandel gewinnt die Hintergrundberichterstattung an Bedeutung, auch beim Kurier. Chefredakteur Joachim Braun gibt dazu eine Einschätzung.

 
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Wenn es die Tageszeitung nicht schon längst gäbe, dann müsste sie erfunden werden.“ Das habe ich neulich so gelesen, ein kluger Satz, aus einem dieser unzähligen Artikel, die sich in diesen Wochen mit der „Zeitungskrise“ – gerne auch „Zeitungssterben“ genannt – befassen. Denn auch die Printausgabe des Kuriers ist nach Branchenmeinung eigentlich schon so gut wie tot. Stimmt irgendwie auch: Aus einem Baum wird, nachdem er gefällt, also tot ist, Papier. Aber sonst?

Zeitungen sind total praktisch, findet jedenfalls der Autor des eingangs zitierten Satzes. Sie sind ohne Gebrauchsanweisung benutzbar, sie brauchen keinen Strom und wenig Platz, man kann sie am Frühstückstisch aufteilen, sie bedienen extrem viele Interessen, sie halten geistig und emotional (wenn man sich wieder mal ärgern muss) fit. Sie bleiben (bei entsprechender Lagerung) jahrzehntelang benutzbar, sind aber auch schnell umweltfreundlich entsorgt: Zum Trocknen der regennassen Schuhe, zum Einwickeln des Fisches, zum Einschüren oder – ganz korrekt – als Altpapier.

Kurier bald nicht mehr in gedruckter Form?

Und trotzdem glaube auch ich, als verantwortlicher Redakteur dieser Zeitung, nicht daran, dass der „Nordbayerische Kurier“ in gedruckter Form noch die nächste Generation Oberfranken mit Nachrichten aus ihrer Heimat versorgen wird. Die Betonung liegt natürlich auf dem Halbsatz „in gedruckter Form“. [In eigener Sache: Ich verwende in diesem Text das journalistisch verpönte „Ich“, weil es hier um meine persönliche Einschätzung geht.]

Schauen Sie sich einfach mal um in Ihrem Lebensumfeld: Alle sind irgendwie digital! Im Internet-Laden wird eingekauft, Wikipedia hat das Lexikon längst ersetzt so wie die E-Mail den Brief, Musik besorgen wir uns (jedenfalls die Jüngeren) über Apples iTunes-Programm, und mit den alten Schulfreunden verkehren wir über Facebook. Alles hat sich verändert in den vergangenen 15 Jahren – und da soll die vor gut 400 Jahren gegründete Zeitung so bleiben wie sie ist? Sie müssen zugeben, diese Vorstellung ist naiv.

Wenn wir wissen möchten, was in der Welt passiert, dann warten wir nicht mehr darauf, was uns am nächsten Morgen unsere Zeitung zu sagen hat. Sogar Fernsehen und Radio haben in Zeiten von Facebook und Twitter das Nachsehen. Denn auch hier setzt Berichterstattung voraus, dass ein Reporter vor Ort ist. In den sozialen Netzwerken aber sind wir alle, Sie und ich, gleichberechtigt als Produzenten und als Konsumenten von Neuigkeiten. Kaum ein Großereignis in den vergangenen Jahren, über das nicht zuerst auf einem Twitter-Kanal zu lesen war. Diese Art der Kommunikation verändert einfach alles – natürlich auch die Arbeit der Journalisten.

Der Journalist und seine (neuen) Aufgaben

Wir sind nämlich nicht mehr – wie in den Jahrzehnten zuvor – allein deshalb wichtig, weil wir darüber entscheiden dürfen, was wichtig ist (und damit in die Zeitung kommt) und was nicht. Durch die digitalen Kanäle kann nun jeder zu jeder Zeit veröffentlichen, was er oder sie für wichtig hält. Der professionelle Journalist indes bekommt eine neue Aufgabe: Aus diesem schier undurchdringlichen Durcheinander von Wichtigem und Unwichtigem muss er nun herausfiltern, was für seine Kunden eine Bedeutung haben könnte. Das ist im Unterschied zu den Zeiten, als der Journalist den Finger am Knopf hatte, ein ganz neuer Anspruch: Denn er buhlt nun um das Vertrauen seiner Leser. Und das muss er sich immer wieder aufs Neue erarbeiten.

Das ist der eine Teil des Medienwandels. Er verändert die Rolle der Journalisten, die sich gerade im Lokalen stärker als bisher davon lösen müssen, Einzel- oder Parteiinteressen zu vertreten. Journalisten müssen eine Haltung haben, sie dürfen nicht mitklüngeln, nicht Teil des Machtapparats sein, denn: Nur Unabhängigkeit erzeugt Vertrauen bei den Lesern. Und ohne Vertrauen hat meine Zunft sowieso keine Perspektive.

Digitale Kanäle

Aber wir Journalisten müssen auch lernen, mehr als bisher die Geschichte hinter der Nachricht zu erzählen. Denn die Nachricht hält sich nicht an die tägliche Erscheinungsweise. Sie ist längst bekannt, wenn die Zeitung im Briefkasten steckt. Weil uns die Hintergrundberichterstattung immer besser gelingt – das ist jedenfalls meine ganz persönliche Meinung –, hat der „Nordbayerische Kurier“ deutlich an Akzeptanz bei den Lesern dazugewonnen.

Der andere Teil des Medienwandels hat indes nichts mit den Inhalten zu tun. Da geht es einfach um die Attraktivität des weltumspannenden Internets, das durch neue Geräte wie Tablet-PC und Smartphone Informationen für jedermann leicht zugänglich macht: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, der Nachrichtenstrom endet nie, und so etwas wie einen Redaktionsschluss gibt es überhaupt nicht mehr. Die Welt kennt keine Pause.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich kritisiere das nicht, ich bin längst Rädchen in diesem System. Auch ich, gelernter Zeitungsmann, nutze alle möglichen digitalen Kanäle. Und ich fordere dies auch von meinen Kollegen in der Kurier-Redaktion: Die Online-Seite, Facebook, Twitter, Digital Signage, Web-TV, wir bedienen alles, streuen unsere Nachrichten weit. Und doch – und damit sind wir wieder am Anfang – haben wir eine Zeitungskrise. Die „Frankfurter Rundschau“ insolvent, die „Financial Times Deutschland“ eingestellt und wenigstens wöchentlich ist zu lesen, dass dieses und jenes Zeitungshaus eine neue Entlassungswelle plant.

Daran sind wir Zeitungsleute zu einem guten Teil selbst schuld. Denn wir haben lange Zeit geglaubt, wir könnten mit weltweiten Giganten wie Google mithalten und uns wie diese im Internet allein aus Werbung finanzieren. Das funktioniert indes gar nicht, und so brechen den Zeitungshäusern weltweit die Einnahmen weg. Unsere einst wichtigsten Kunden, die Handelskonzerne, probieren sich mit ihrer Werbung längst in digitalen Kanälen, und wer eine Stelle, ein Auto oder eine Wohnung sucht, geht erst mal ins Netz, bevor er in die Zeitung schaut. Jedenfalls tun dies die meisten Leute.

Kurier-Geschichten im Internet bald kostenpflichtig

Also müssen wir endlich aufhören, unser eigentliches Produkt, den Journalismus, zu verschenken. Den „Nordbayerischen Kurier“ gedruckt gibt es nicht umsonst, warum soll es dann die von den gleichen Journalisten verfassten Artikel im Internet gratis geben? Dass die Umsonst-Mentalität ein Irrweg ist, setzt sich inzwischen landauf, landab in den Verlagen durch. Und ob nun das „Hamburger Abendblatt“, die „Welt“, das „Darmstädter Echo“ oder der „Fränkische Tag“, in immer mehr deutschen Tageszeitungen kosten auch Internet-Artikel inzwischen Geld. Sogar die „Bild“-Zeitung entwickelt inzwischen ein Konzept für eine Bezahlschranke. Und auch die Kurier-Homepage wird demnächst kostenpflichtig, jedenfalls zum Teil. Natürlich verlangen wir nichts für die Polizeimeldung oder die Pressemitteilung der Stadt, aber unsere Recherchen gibt’s bald nicht mehr gratis. Wem das nicht gefällt, dem empfehlen wir ein Abonnement des Kurier. Denn eine Zeitung ist ja tatsächlich so wahnsinnig praktisch.

Info: Die verkaufte Auflage der deutschen Tageszeitungen beträgt derzeit 18,4 Millionen Exemplare. Im Jahr 1991 waren es noch 27,3 Millionen. Der „Nord- bayerische Kurier“ hat eine verkaufte Auflage von gut 36 000 Stück (drittes Quartal 2012). Der Rückgang der Abonnentenzahl betrug im Jahresvergleich 1,55 Prozent – das ist etwa die Hälfte des Minus’ der oberfränkischen Mitbewerber.

Fotos: Wittek

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