Matrosengasse Seeschlachten im großen Stil

Von Heike Thissen
Ernst-Rüdiger Kettel muss immer noch über die Geschichte schmunzeln, die hinter der Matrosengasse steckt. Foto: Peter Gisder

BAYREUTH. Eine Inselstraße? Eine Seestraße und eine Weiherstraße? Und eine Matrosengasse? Im Bayreuther Stadtteil St. Georgen gibt es Straßennamen, die auf den ersten Blick völlig aus dem Zusammenhang gerissen scheinen. Denn einen See – geschweige denn die See – und eine Insel sucht man hier vergebens. Und auch die Matrosen glänzen durch Abwesenheit – heute jedenfalls. Es ist nämlich erst 300 Jahre her, dass in St. Georgen echte holländische Seeleute lebten und arbeiteten. Und zwar auf echten Schiffen in einem riesigen See mit einer idyllischen Insel!

 
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Dahinter steckt etwas, das man durchaus als Schnapsidee bezeichnen darf. Welchen anderen Begriff könnte man sonst dafür verwenden, dass der Gründer von St. Georgen, Markgraf Georg Wilhelm (1678-1726), auf dem künstlich angelegten Brandenburger Weiher regelrechte Seeschlachten inszenieren ließ?

„Wo heute das Industriegebiet von St. Georgen liegt, spielte der Fürst vor rund 300 Jahren regelmäßig ‚Schiffe versenken‘, und zwar im wörtlichen Sinn“, erklärt Ernst-Rüdiger Kettel, der sich gut mit der Geschichte von St. Georgen im Allgemeinen und vom Brandenburger Weiher im Besonderen auskennt.

Alles klar zum Entern

Den Weiher von rund 86 Hektar hatten bereits die Vorfahren von Georg Wilhelm angelegt, um dort Fische zu züchten. Mit Erfolg: Rund 300 Zentner, also 15.000 Kilogramm, konnten sie alle zwei Jahre aus dem Wasser holen. Georg Wilhelm interessierte sich allerdings nicht für Fische, sondern für Schiffe. Seine Begeisterung für alles Maritime war auf Reisen durch England und Holland entstanden.

Also ließ er erst ein Schloss errichten und dann den Brandenburger Weiher zu einem See ausheben, der diesem Namen auch gerecht wurde. „Außerdem ließ er eine Insel im See als Hafen bauen und heuerte die Matrosen in Holland an“, sagt Ernst-Rüdiger Kettel sichtlich amüsiert. Und dann galt: „Alles klar zum Entern!“

Zwischen 1695 und 1722 gab Georg Wilhelm sechs Kriegsschiffe in Auftrag und ließ drei von ihnen mit Kanonen bestücken. Das größte und letzte hatte Ausmaße von mehr als 30 Metern Länge und sechs Metern Breite und besaß einen Mast von sechs Metern Höhe. Es nahm als „Ritter St. Georgen“ den Kampf manchmal mit und manchmal gegen „Neptun“, „Löwe“, „Bacchus“, „Seehund“ und eine türkischen Brigantine auf.

Türken gegen Christen

Besonders gern wurde „Türken gegen Christen“ gespielt, wofür der Fürst keine Kosten und Mühen scheute. Christoph Rabenstein und Ronald Werner zitieren in ihrem Buch „St. Georgen – Bilder und Geschichten“ aus den Inventarlisten des Schlosses: Neben türkischen Fahnen und Wimpeln hätten sich dort auch 17 Janitscharen-Kleider und -Kappen, 17 Sklavenketten und -schuhe befunden. „Janitscharen, das waren zum Islam übergetretene Kriegsgefangene, die im 14. Jahrhundert von den Sultanen zu türkischen Soldaten ausgebildet wurden“, erklärt das Autorenduo.

Es ist wahrscheinlich, dass die Türken den Christen in den inszenierten Seeschlachten stets unterlagen, vor allem, wenn Georg Wilhelm höchstpersönlich in wechselnden Rollen an den Seeschlachten teilnahm. Der Fürst schien seine helle Freude zu haben. Das hätte vielleicht auch für die Matrosen gegolten, hätten sie nicht bei jeder Aufführung Kopf und Kragen riskiert. Drei von ihnen sollen beim markgräflichen Freizeitspaß sogar ums Leben gekommen sein.

Für die Seeleute wurden am südwestlichen Ufer des Sees sechs einstöckige Häuser errichtet und ein zweistöckiges Kapitänshaus in einer Straße, die heute noch Matrosengasse heißt. Und auch die anderen eigenartigen Straßennamen ergeben plötzlich für den einen Sinn, der die Geschichte von Markgraf Georg Wilhelm und seinen Seeschlachten kennt.

Obwohl 1775 der Brandenburger Weiher abgelassen wurde, künden die Straßen noch heute von den fürstlichen Vergnügungen, die einst auf dem Gelände stattfanden, das heute als Industriegebiet dient.