Man kann nicht immer nur loben, wirklich nicht. Manchmal geht es einfach nicht anders. Ein Anlass, festzustellen, dass der Abend denn doch „nicht so doll war“, dieser Anlass bot sich nun im Haus Wahnfried.Antrat die Sängerin Katharina Maria Kagel mit ihrem Begleiter David Grant. Nach 20 Minuten begann, so dachte der hoffnungsfreudige Besucher, das eigentliche Konzert, denn die fünf schönen Schumann-Lieder erschienen den Freunden des kultivierten Gesangs vermutlich eher wie eine Einsingübung. Danach eine Scarlatti-Sonate (K 9) zu spielen, bewies zumindest Humor, denn wenn man wissen will, was geistlose Musik ist, muss man sich nur eine Scarlatti-Sonate anhören – außer, wenn Horowitz sie spielt, aber wer spielt schon wie Horowitz?Was wäre Scarlatti ohne seine Triller, seine simplen Dreiklangsbrechungen, seine einfachen Läufe? Grant ist nicht der Mann, diese Musik zum Leben zu erwecken; seine Fähigkeiten beschränken sich, cum grano salis, auch in der Lied- und Arienbegleitung auf die eines Korrepetitors. Debussys „Reflexe auf dem Wasser“ verschwanden gleichermaßen folgenlos. Dazwischen Wagner, Mozart, Puccini. Was für eine Dramaturgie!„Beliebte Arien aus Oper und Operette“ – so hätte man das wahllose Sonntagsprogramm nennen können, das offensichtlich mit den vielfältigen Fähigkeiten der Sopranistin bekannt machen sollte. Also gibt’s „Nummern“ aus „Tosca“, „La forza del destino“, „Cavalleria rusticana“, „Le nozze di Figaro“ und, soviel Hommage muss sein, „aus „Tannhäuser“ – natürlich die Hallenarie: als Einstiegsstück nach der Pause, mit neuem Gewand und ebensolchem auffallend mächtigem Halsgeschmeide. Fehlte nur noch die Habanera – aber nee, die hat Bizet ja für einen Mezzo komponiert. Es würde nichts ausmachen, denn in Kairo sang Frau Kagel, seltsam, seltsam, eine tiefergelegte Königin der Nacht.Gelegentlich geht das sogar gut, auch wenn „Porgi amor“ auf dem Programmzettel als Ausschnitt aus „Cosí (!) fan tutte“ angekündigt wird, wobei nicht nur der Akzent falsch gesetzt wurde. Man hätte keinen Anlass zur Beckmesserei, würde man als Freund gut behandelter Stimmen nicht über weite Strecken gespannt dasitzen: Nagels Stimme sitzt – und der Rezensent vermutet: nicht allein an diesem Abend – in den Höhen stets eng, der Hallraum ist, bei guter Lautstärke, auch unten eher flach, und wenn's glückt, verliert sich die Stimme im mittleren Bereich, überspitzt ausgedrückt, in ein kantables Dekalmieren. Wer aber die Höhe nicht hat, steht schon in der Sängerbibel, Buch Callas Kap. 1, Vers 3, solle den Berg nicht besteigen und nur solche Partien singen, die nicht stören (vielleicht sollte man sie doch tieferlegen, aber was würden Mozart, Verdi und Mascagni dazu sagen?). Ausbrüche im obersten Bereich, die vermutlich „dramatisch“ sein sollen, kommen stets ohne Übergang, dafür gibt es reichlich Portamenti, zu deutsch: Frau Nagel tastet sich oft blitzschnell an die richtige Tonhöhe heran.Zurückhaltender BeifallUnd wer, steht weiter in der Sängerbibel, Lieblingsnummern bringt, sollte sie können müssen. Agathes Rezitativ und Arie, „Wie nahte mir der Schlummer“ – nein, da hört der Spaß auf. Diese einzig wunderbare Nummer – schon der erste Ton, man fasst es nicht – so hat sich der wunderbare Mensch und Künstler Weber die Innerlichkeit nicht vorgestellt.„Doch wie, täuscht sich nicht mein Ohr?“ Es täuscht sich nicht, auch nicht, als, zu Beginn der zurückhaltend erklatschten Zugabe, das Vorspiel zum Vilja-Lied, zum herrlichen, unvergleichlich traurigen Vilja-Lied erklingt. Das Vilja-Lied – das ist die Höhe. Das ist die Höhe, die immer zu eng, zu flach, zu angestrengt ist. Vilja, o Vilja, was tust du mir an?Ad actas – doch halt: zwei Nummern haben den Rezensenten wirklich gebannt: „Schmerzen“ und „Träume“ aus den Wesendonck-Liedern, die der Sängerin höhenmäßig gut liegen. Da schwang plötzlich, bei allen Freiheiten gegenüber Wagners Tempoangaben, bei allen gelegentlichen vokalen Einschränkungen, eine von allen Flachheiten befreite Musik durch den Raum. Richard Wagner hatte am 22. Mai Geburtstag; in seinem Fall scheint der Heilige Richard denn doch eingegriffen zu haben.