So jedenfalls hält es Condrobs, einer der größten überkonfessionellen Träger für soziale Hilfsangebote in Bayern. In einer Condrobs-Einrichtung wohnte Mamdoh A. bis zur Volljährigkeit. Danach betreute ihn die Organisation in dessen eigener Wohnung weiter. Ein bis zwei mal die Woche sei der junge Mann zu Hause besucht worden, teilte das Landratsamt Bayreuth mit (wir berichteten).
Wenn Flüchtlinge plötzlichen Frauen zur Begrüßung nicht mehr die Hand reichen
Wie kann es dann sein, dass niemand etwas mitbekommen hat, wie Mamdoh A. sich radikalisierte? „Wir schauen da schon genau hin“, sagt Karin Wiggenhauser, Bereichsgeschäftsführerin bei Condrobs in München. Wir, das sind vor allem die ausgebildeten Leute vor Ort in den Einrichtungen. Sie achten auf typische Veränderung bei den jungen Leuten. Äußere Veränderungen sowie Veränderungen in den Verhaltensweisen. Wenn die Flüchtlinge plötzlichen Frauen zur Begrüßung nicht mehr die Hand reichen oder typische Feindbilder aufbauen.
Wiggenhauser sagt, dass die ausgebildeten Betreuer in den Einrichtungen das dann besprechen und notfalls Behörden einschalten. Das reicht vom Jugendamt bis zum Verfassungsschutz. Aber alle äußeren Anzeichen fehlten bei Mamdoh A. offenbar. Ein Umfeld, in dem radikales Gedankengut gedeihen könne, gebe es in Pegnitz nicht, sagt Susanne Bauer. Die Grünen-Politikerin engagiert sich auch im Unterstützerkreis in Pegnitz. „Da passiert vielleicht viel zu Hause am Computer, und Außenstehende bekommen nichts mit“, sagt sie.
Nächtliche SEK-Aktion
Das deckt sich mit Aussagen aus Ermittlerkreisen, dass bei Mamdoh A. Propagandamaterial der Terrororganisation Islamischer Staat gefunden worden sei. Salafisten oder andere radikale Islamisten seien in Pegnitz noch nie in Erscheinung getreten, sagt Bauer. Sie hofft nun, dass die Vorkommnisse sich nicht negativ auf das Zusammenleben in der kleinen Stadt auswirken. „Auf den ersten Schreck folgt hoffentlich wieder Gelassenheit und Besonnenheit.“
Dem Vernehmen nach soll es bei der Verhaftung von Mamdoh A. in Pegnitz einen nächtlichen SEK-Einsatz gegeben haben. In den frühen Morgenstunden seien Einsatzkräfte in die Wohnung eingedrungen. Dass die Behörden nicht sofort an die Öffentlichkeit gegangen seien, will Susanne Bauer nicht kritisieren. Aber irgendwann hätte schon etwas kommen müssen, findet sie. „Es ist schon schade, dass wir in Pegnitz das erst viel später über die Zeitung erfahren haben.“
Ehrenamtliche werden im Umgang mit Radikalisierung geschult
Anna Westermann ist bestürzt über die Ereignisse. Die Vorsitzende des Bayreuther Vereins Bunt statt Braun und Beauftragte für Flüchtlingsarbeit des Evangelischen Dekanats sagt: „Das habe ich mir nicht vorstellen können.“ Wie Westermann schildert, seien die ehrenamtlichen Helfer in der Flüchtlingsarbeit mit den Umständen vertraut, die Flüchtlinge zu potenziellen Attentätern machen können.
Hinweise auf die Radikalisierung bleiben den Ehrenamtlichen nicht zwangsweise verborgen. Im Oktober 2016 habe es eine Schulung für Helfer im Bayreuther Kolpinghaus durch das Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus gegeben. Eingeladen hatte die Regierung von Oberfranken.
"Wir dürfen uns von der Angst nicht lähmen lassen."
Ein wirksames Mittel gegen Radikalisierung sei, jungen Menschen Perspektiven für ein Leben in Deutschland zu vermitteln. Doch auch das schützt vor bösen Enttäuschungen nicht, wie der Pegnitzer Fall zeigt. „Man kann bei niemandem etwas ausschleißen“, sagt Westermann. Sie sei gleichzeitig auch erleichtert – wegen des schnellen und hochprofessionellen Handelns der Polizei, die Mamdoh A. festsetzte.
An der künftigen Arbeit von Bunt statt Braun werde die Festnahme des jungen Mannes nichts ändern. „Wir werden weiter machen wie bisher“, sagt Westermann. „Wir dürfen uns von der Angst nicht lähmen lassen. Wir müssen uns weiter für ein friedliches Miteinander einsetzen.“
Dekan Schoenauer und Bürgermeister Raab sind besorgt um den gesellschaftlichen Frieden in der Stadt
Sorge und Betroffenheit zur Festnahme des terrorverdächtigen syrischen Flüchtlings äußerte der Pegnitzer Dekan Gerhard Schoenauer. „Die Gefahr ist nahe“, sagte er bei der Mitgliederversammlung des Diakonievereins in Creußen. So ein Vorfall mache die Integrationsarbeit schwierig. Er hoffe, dass die gelungene Integrationsarbeit in Pegnitz deswegen keinen Schaden nimmt. Zusammen mit der Stadt Pegnitz hat die Diakonie das Projekt „Lehrpfade in die Pegnitzer Stadtgesellschaft – Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen“ entwickelt.
Der Pegnitzer Bürgermeister Uwe Raab ist froh, dass der Syrer gefasst wurde. Das Ausmaß der Anklage sei ihm nicht bekannt. „Ich kann nur hoffen, dass die bisher wohlwollend und tolerant aufgetretene Stadtgesellschaft sich dieser Situation mit einem kühlen Kopf stellt.“ Wenn solche Vorwürfe im Raum stünden, dann bekomme der überwiegende Teil der Flüchtlinge regelrecht Angst davor, dass die Stimmung umschlagen könne gegen sie. „Ich hoffe, dass wir zivilisiert genug sind, gedanklich die Spreu vom Weizen trennen zu können“, so Raab. ⋌fe/red
Wie junge Flüchtlinge in Oberfranken leben
Dass der Syrer Mamdoh A. im Alter von 18 Jahren in Pegnitz in einer eigenen Wohnung lebte, ist nicht ungewöhnlich. Für anerkannte Kriegsflüchtlinge wie ihn bestehe grundsätzlich die Verpflichtung, aus einer Gemeinschaftsunterkunft oder der dezentralen Unterkunft auszuziehen, teilte die Regierung von Oberfranken auf Anfrage mit. Ziel der Regelung sei es, dass Flüchtlinge nach ihrer Anerkennung beginnen, eigenständig zu leben. Ansprechpartner für allein lebende Flüchtlinge seien Mitarbeiter der Wohlfahrtsverbände und ehrenamtliche Helfer.
Mamdoh A. war, wie gemeldet, ein- bis zweimal die Woche von Mitarbeitern der Flüchtlingshilfeorganisation Condrobs besucht worden. Derzeit leben nach Angaben der Regierung knapp 7700 Flüchtlinge in Oberfranken in privaten Wohnungen. Weitere gut 3800 Flüchtlinge sind in dezentralen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht, 2500 in Gemeinschaftsunterkünften und mehr als 1300 in der Aufnahmeeinrichtung in Bamberg.
ub/igl/mki/fe/raus