Mit einem Schlag geriet das ungeklärte Schicksal von Maddie wieder in den Blickpunkt. Die damals dreijährige Britin Madeleine McCann war im Mai 2007 im portugiesischen Praia da Luz an der Algarve aus einer Ferienanlage verschwunden. Die Eltern hatten sie am Abend des 3. Mai 2007 im Appartement gelassen, als sie in einem nahe gelegenen Restaurant mit Freunden aßen. Seitdem war der Fall ungeklärt.
Immer wieder haben die Ermittler erklärt, dass es trotz des großen Interesses und der breiten Berichterstattung wenig Neues gibt und die Ermittlungen ungeachtet der aktuellen Anklage weitergehen.
Was wollen Staatsanwaltschaft und Verteidigung?
Die Staatsanwaltschaft strebt eine Verurteilung des Angeklagten mit Blick auf alle an angeklagten Taten an. „Deshalb wurde ja auch Anklage erhoben“, sagte Oberstaatsanwalt Hans Christian Wolters vorab der Deutschen Presse-Agentur.
Natürlich sei es vom Verlauf der Beweisaufnahme abhängig, ob sich alle Vorwürfe bestätigen und beweisen lassen. Das gelte dann auch für die Frage, welche konkreten Strafen angemessen erscheinen. „Nach Aktenlage muss der Angeklagte mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren rechnen“, sagte Wolters. Eventuell komme auch eine anschließende Sicherungsverwahrung in Betracht.
„Wir wollen Freisprüche“, sagte dagegen Verteidiger Friedrich Fülscher aus Kiel der dpa. Das gelte für sämtliche Anklagepunkte. Ob sich sein Mandant vor Gericht äußern werde oder plane, zu schweigen, ließ der Anwalt noch offen. Trotz massiver Vorverurteilungen in der Öffentlichkeit hoffe er auf ein faires Verfahren für seinen Mandanten, sagte Fülscher schon im vergangenen Herbst zur Prozessankündigung.
Das Gericht betonte, dass erst im Hauptverfahren zu klären sei, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht. Jede angeklagte Person gelte bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Derzeit sitzt Christian B. noch die siebenjährige Haftstrafe für die Vergewaltigung einer US-Amerikanerin im Jahr 2005 ebenfalls im portugiesischen Praia da Luz ab. Diese wäre nach früheren Angaben der Staatsanwaltschaft im September 2025 voll verbüßt.
Wie blickt Großbritannien auf den Prozess?
Auf der Insel ist das Interesse an dem Prozess gegen Christian B. erwartungsgemäß groß. Selbst kleinere Entwicklungen, wie die Anzeigen gegen B. durch Vollzugsbeamte wegen Beleidigung und der abgelehnte Antrag der Verteidigung, einen Zeugen auszuschließen, wurden von Medien im Königreich berichtet.
Auch der Fall der Irin, die B. im Jahr 2004 mutmaßlich in Portugal brutal vergewaltigte und der nun vor Gericht verhandelt werden soll, ist immer wieder Thema in irischen und britischen Medien. Der „Daily Mail“ zufolge erhielt die Dublinerin bereits Ende vergangenen Jahres einen Besuch von Behördenvertretern aus Deutschland, die sie über das Verfahren informierten. Aus Sorge um ihre Sicherheit werde sie strengen Polizeischutz erhalten, hieß es in dem Bericht. Die Frau selbst wurde mit den Worten zitiert: „Ich kann es nicht erwarten, meinem Peiniger in die Augen zu schauen und ihn vor Gericht zu sehen.“
Dass es sich bei B. um ihren Peiniger handeln könnte, wurde der Irin durch die Berichterstattung über die Vergewaltigung der älteren US-Amerikanerin klar, für die B. derzeit einsitzt. Sie habe sich beim Lesen übergeben müssen, „weil es mich direkt wieder zu meiner Erfahrung transportiert hat“, sagte sie im Jahr 2020 dem „Guardian“.
Erwartet werde, dass die Frau als erste ihre Aussage machen werde, berichtete die „Daily Mail“ unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft in Braunschweig. Das könne mehrere Tage in Anspruch nehmen.
Die Eltern von Madeleine McCann äußerten sich zu dem Prozess zunächst nicht.
Welche Rolle spielt das Verfahren in Portugal?
Obwohl die Straftaten, die Christian B. zur Last gelegt werden, alle in Portugal stattgefunden haben sollen, stößt der Prozess in Braunschweig im beliebten Urlaubsland auf wenig Interesse. Nur vereinzelte Medien berichteten in den vergangenen Tagen darüber, und meistens nur kurz.
Wenn man sich umhört, hört man vor allem, dass die Menschen den Fall „längst ad acta gelegt“ haben. Das sagt etwa auch Filipe, Betreiber eines Cafés in der 33000-Einwohner-Stadt Lagos unweit der Praia da Luz, auf telefonische Anfrage der dpa. „Seien wir ehrlich. Das interessiert in England und Deutschland doch nur wegen Maddie so sehr.“
Nicht wichtig ist den meisten Portugiesen der weitere Verlauf um den Fall Maddie auch, da man sah sich nicht nur an der Algarve schon bald nach dem Verschwinden des Mädchens im Mai 2007 von den internationalen Medien ungerecht behandelt, gar stigmatisiert fühlte. „Überall auf der Welt verschwinden täglich Kinder, es gibt viele Maddies, über die niemand spricht“, hört man häufig, wenn man in Portugal nach dem Fall fragt. Viele betonen: „Wir sind keine Verbrecher“.
Die letzte große Suchaktion an der Algarve brachte im Mai vorigen Jahres keine Fortschritte. Die meisten Portugiesen stimmen wohl mit Gonçalo Amaral überein, dem ersten Chefermittler des Falles, der 2007 schon nach wenigen Monaten nach Kritik an den britischen Behörden vom Fall abgezogen wurde: „Wir werden wohl nie die Wahrheit erfahren.“