Machtergreifung Mit Fackeln und Jubel beginnt der „Tag des Irrsinns“

Fred Behmel
Von dem Bayreuther Fackelzug am 31. Januar 1933 gibt es keine Bilder in den bekannten Archiven. Dieses Bild, das Fred Behmel für seine Kurier-Serie verwendete, soll wenigstens eine Vorstellung davon vermitteln. Es entstand zwei Jahre später bei einer anderen Feier und zeigt den Blick vom Rathausbalkon auf den damaligen „Hans-Schemm-Platz“. Foto: repro/Udo Meixner

Drei Tage nach dem Holocaust-Gedenktag vom 27. Januar jährt sich auch der Tag, an dem Deutschlands dunkelstes Kapitel begann: Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Zum 90. Jahrestag der Machtergreifung veröffentlicht der Kurier noch einmal einen Artikel, den der frühere Kurier-Reporter Fred Behmel 1983 aus Anlass des 50. Jahrestages im Rahmen einer Zeitungsserie veröffentlich hat. Die Serie erschien ein Jahr später in einer Sonderausgabe des Kurier.

 
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Gemeint sind damit die Ausrufung der deutschen Republik und das Ende des Ersten Weltkriegs, das längst von der so genannten „Dolchstoßlegende“ überwuchert wird, von der Mär, des Kaisers Heer sei „im Felde unbesiegt“ nur das Opfer von Verrätern in der Heimat geworden.

Mit fürchterlicher Folgerichtigkeit beschwört während dieser Kundgebung der Gauleiter und Reichstagsabgeordnete Hans Schemm auch den Beginn dieses Krieges, als er behauptet, was man hier und jetzt erlebe, sei „Bayreuths größter Tag seit dem August 1914“.

Der geübte Demagoge, der in dieser Stunde wohl selbst glaubt, was er sagt, steht dabei auf dem mit einer riesigen Hakenkreuzfahne drapierten Balkon des Reitzenstein-Palais. Und die vielen Tausend, die ihm frenetische applaudieren, ahnen nicht, dass sie hier letztlich schon den Zweiten Weltkrieg herbeijubeln, dass von dem 170 Jahre alten Prachtbau, vor dem sie stehen, bald nur noch die ausgebrannten Grundmauern übrig bleiben werden.

Das sind die kleinen, grimmigen Ironien der Geschichte, die sich nur dem zu erkennen geben, der sich wenigstens bemüht, aus ihr zu lernen. Später ist es dann natürlich leicht, lakonisch festzustellen, dass an jenem denkwürdigen Abend auf dem Luitpoldplatz (der übrigens wenig später „Hans-Schemm-Platz“ heißen sollte) nicht der Aufbruch der Nation zelebriert wurde, sondern deren Abbruch.

Und es ist wieder eine der versteckten, nur Kennern zugänglichen Ironien der Geschichte, wenn dieser geübte Demagoge vom Balkon des 170 Jahre alten Prachtbaus, von dem zwölf Jahre später nur mehr die ausgebrannten Grundmauern stehen werden, herab tönt, dies sei „Bayreuths größter Tag seit dem August 1914“, dem Beginn des Ersten Weltkriegs also, während die Tausende, die dieser makabren Feststellung frenetisch applaudieren, nicht ahnen, dass sie hier letztlich schon den Zweiten Weltkrieg herbeijubeln und keineswegs den Aufbruch, der heute geteilten und in ihren Selbstverständnis stark gestörten Nation.

Schemm bemüht an diesem Abend wiederholt die Geschichte. Er zieht dabei eine unmögliche historische Parallele zwischen den germanischen „Freiheitskämpfern im Teutoburger Wald“ und den nationalsozialistischen Putschisten, die 1923 vor der Münchner Feldherrenhalle erschossen worden waren.

Nach einem dreifachen „Sieg Heil!“ auf Adolf Hitler zogen, so berichtet die „Oberfränkische Zeitung“, „die SA- und Stahlhelmkolonnen geleitet von Tausenden Menschen zum neuen Schlossplatz, wo nochmals ein Vorbeimarsch abgenommen wurde. Mit einem gemütlichen Beisammensein der Nationalsozialisten im Sonnensaal fand der denkwürdige Abend seinen Ausklang. „

Und während man hier von einem „Ereignis“ schreibt, „das fast die ganze Stadt auf die Beine brachte“ billigt der offizielle Rathausbericht dieser Siegesfeier „nur“ zehntausend Teilnehmer zu und bemerkt nüchtern: „Zu Beanstandungen kam es nicht.“ Die „Volkstribüne“ (damals die lokale SPD-Zeitung) liegt diesmal bestimmt richtig, wenn sie den nächtlichen Massenspuk als „Tanz des Irrsinns“ bezeichnet. Im Naziblatt „Fränkisches Volk“ aber wird sie ihrerseits als „der hiesige Hirnabfallhaufen in der Blumenstraße“ abgetan.

Mit dem „erbarmungslosen Kampf“ gegen die „dunklen Elemente“ indes müssen sich die Nazi-Führer noch etwas gedulden. Hitler hatte von Hindenburg schließlich keine umfassenden Herrschaftsbefugnisse erhalten und die NSDAP keine diktatorischen Vollmachten. Der Präsident hatte nur widerstrebend dem überschlauen von Papen nachgegeben, der ihm versicherte, es werde ihm mit der nicht-nationalsozialistischen Ministermehrheit in diesem aus Nationalsozialisten, Deutschnationalen und dem Stahlhelm gebildeten Koalitions-„Kabinett der nationalen Erhebung“ schon gelingen, Hitlers allzu große Dynamik zu zügeln. Er war nicht der einzige, der diesem verhängnisvollen Irrtum zum Opfer fiel…

Noch aber haben die vielen Hitler-Gegner genug Möglichkeiten, zu zeigen, was sie von der „Machtergreifung“ halten, und genau eine Woche nach der bombastischen Siegesfeier, die NSDAP und „Stahlhelm“ auf dem Luitpoldplatz zelebriert hatten, formieren sich SPD und „Reichsbanner“ zur Gegendemonstration. An die 6000 treten in der Casselmannstraße an. Auch sie haben Fackeln dabei und Fahnen – nicht weniger als 67 Stück- mit denen sie jetzt durch die Stadt ziehen, über den Markt und Kutscherplatz (wie der Sternplatz damals hieß), dem Luitpoldplatz zu, wo der Nürnberger Reichstagsabgeordnete Scheppenhorst über das Thema „Für Freiheit und Brot gegen Hitlers Herrenclub-Regiment“ sprechen soll.

Doch an diesem Abend zeigt sich, dass die Nazi-Rabauken Morgenluft wittern, daß sie nicht gesonnen sind, sich mit dem kleinen Finger der Macht zu begnügen, den man ihnen vor acht Tagen gegeben hat, dass sie die ganze Hand wollen.

In der Opernstraße stellen sie sich dem Demonstrationszug kurz vor seinem Ziel in den Weg, recken ihm ein großes Transparent entgegen, auf dem steht, „Hitler verzichtet auf sein Gehalt als Reichskanzler zugunsten der Erwerbslosen, was kein bisheriger Sozi-Minister getan hat!“

Im Nu entwickelt sich eine wüste Massenschlägerei. „Heil Hitler!“ brüllen die einen „Freiheit“ schreien die anderen zurück. Den Sozialdemokraten wird eine ganze Reihe von Fahnen entrissen und zerfetzt. Acht Männer werden verletzt, unter ihnen der Vorsitzende der Rathaus-SPD, der Stadtrat und Verwaltungssekretär Hans Panzer. Man bringt ihn ins Krankenhaus. Die Polizei nimmt einige der braunen Schläger vorläufig fest, setzt sie nach kurzer Vernehmung aber wieder auf freien Fuß. Sie sollen ohnehin nur wegen Diebstahls und Sachbeschädigung angezeigt werden.

Die „Heeresberichte“, die später über diese Straßenschlacht veröffentlicht wurden, sind – wie immer – sehr unterschiedlich. Passagen in der „Oberfränkischen Zeitung“ erwecken den Eindruck, dass hier nationalsozialistische Samariter sozialdemokratische Amokläufer beschützten. Der SPD-Stadtrat Seeser sei, so kann der sich wohlig gruselnde Bürger beim Frühstück erfahren, so verprügelt worden, dass er von SA-Männern zu seinem Schutz ins „Hotel Anker“ gebracht werden mußte. In der „Volksbühne“ dagegen ist von „Nazi-Banditen“ und „Bestien“ die Rede, die auch Frauen nicht verschonten, und Schemms „Fränkisches Volk“ verhöhnt die „wackelige Einheitsfront“.

Der wildbewegte Abend hält schließlich für die Gegner der neuen Regierung noch eine weitere Demütigung bereit. Als sich der größte Radau gelegt hat, kann zwar die geplante Versammlung auf dem Luitpoldplatz ohne nennenswerte Störungen abgehalten werden, aber die Redner müssen auf eine fahrbare Tribüne klettern, um sich ihren sechstausend Zuschauern zeigen zu können: der Rathausbalkon, auf dem Gauleiter Schemm noch sechs Tage zuvor gesprochen hatte, bleibt ihnen verschlossen.

Noch Stunden später schlagen die Wogen der Erregung hoch, wie die „Oberfränkische“ am übernächsten Tag lakonisch zu berichten weiß. „Nach 12 Uhr Mitternacht kam ein sozialistischer Jugendführer bei der Mohrenapotheke in Meinungsverschiedenheiten. Dabei wurde er derart auf den Kopf geschlagen, dass er sofort das Bewusstsein verlor und ins Krankenhaus gebracht werden mußte.“ Und der Halbmonatsbericht des Stadtrats hält fest: „Zwischen Nationalsozialisten und Angehörigen der Eisernen Front kam es noch in mehreren Fällen zu Anrempeleien und zu kleineren Schlägereien.

Nach dem schlimmen Melodram in der Opernstraße scheinen beiden Parteien zunächst einmal genug zu haben, denn als nur vier Tage später die NSDAP auf dem Markt und die SPD im Sonnensaal gleichzeitige Versammlungen abhalten, kommt es zu keinerlei Zwischenfällen. Vielleicht auch nur, weil die Stadtpolizei vorsorglich durch 52 Landespolizisten und zehn Gendarmen verstärkt wurde.

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