Live aus Bayreuth

Gert-Dieter Meier
 Foto: red

Arte überträgt am 14. August „Lohengrin“ aus dem Festspielhaus.

 
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Die Premieren 2011 auf dem Grünen Hügel sind schon wieder Geschichte. Eine freilich steht – buchstäblich – noch ins Haus: Zum ersten Mal wird am 14. August eine Aufführung der Bayreuther Festspiele live ins deutsche Fernsehen übertragen. Auf dem Spielplan dann: „Lohengrin“.

Martin Schneider ist beim ZDF Redakteur im Programmbereich Musik. Er war bereits mit einem Team in Bayreuth, um erste Einspielfilme und Interviews zu produzieren. Das ZDF dreht – aber die Liveübertragung kommt vom Sender Arte. Wie das? Schneider: „Das ist ein ganz normales Verfahren, dass ARD oder eben, wie in diesem Falle das ZDF, Beiträge Arte zuliefern.“ Das ZDF arbeitet dabei mit dem Videoprovider Skyline und auch mit der ARD zusammen.

Live live

Ob der „Lohengrin“ – wie bei der Siemens-Festspielnacht auf dem Bayreuther Volksfestplatz – in kompletter Länge in Echtzeit übertragen wird? „Wir mogeln so ein bisschen“, räumt Schneider augenzwinkernd ein: „Wir fangen mit der Übertragung etwas später an, damit die einstündigen Pausen kürzer werden – die erste Pause dauert bei uns etwa 15, die zweite 30 Minuten. Aber im dritten Akt sind wir dann live live. Wir holen also auf.“ Wir lernen also: Es gibt nicht nur Liveübertragungen, sondern sogar Live-live-Sendungen.

Wie auch beim neuen „Tannhäuser“ werden bei dieser Fernsehübertragung die Pausen bespielt. Schneider: „Die Idee ist ja, dass man mit dieser Verpackung Zuschauer abholt, die vielleicht beim Reizwort ,Wagner und Lohengrin‘ nicht unbedingt gleich einschalten würden. Da gibt es kleine Zuspielfilme, Moderationen, Gespräche.“

Im Mittelpunkt dieses Pausenprogramms stehen zwei Personen: die Arte-Moderatorin Annette Gerlach und der Chefredakteur der Zeitschrift „Opernwelt“, Stefan Mösch. Beide werden am 14. August vor Ort sein und (übrigens auch beim Public Viewing) live fachsimpeln. Mösch hat zudem Interviews mit Annette Dasch und Klaus Florian Vogt, Regisseur Neuenfels sowie mit Festspielleiterin Katharina Wagner geführt, die zwischen den Akten gesendet werden.

Kein Quotenrenner

Obwohl Schneider davon überzeugt ist, dass sich gerade dieser „Lohengrin“ vorzüglich fürs Fernsehen eignet, weiß auch er: „Ein Quotenrenner kann das nie werden.“ Weil Oper grundsätzlich nur ein begrenztes Publikum habe. Bei den beiden Top-Events aus dem Klassikbereich – dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker und der Echo-Klassik-Übertragung – sitzen gerade mal zwei Millionen Zuschauer vor den Schirmen, was einen Marktanteil von zehn, elf Prozent ausmacht. Mehr geht auch kaum.

Schneider, der selbst auch schon mal Bayreuth-Luft geschnuppert und den „Holländer“ in der Inszenierung von Harry Kupfer im Festspielhaus gesehen hat, hat nun die schwierige Aufgabe, alle Gespräche in die kurzen Pausen einzupassen. Und das ist nicht leicht: „Stephan Mösch hat ein höchst interessantes halbstündiges Gespräch mit Regisseur Hans Neuenfels geführt. Sehr klug – aber ich muss jetzt daraus zwei, drei Minuten machen. Das sind immer unsere Magenschmerzen: Aus dem, was man alles sagen könnte, das zu machen, was man sagen muss.“

Für Stephan Mösch ist die erste Liveübertragung aus dem Festspielhaus ein echtes Heimspiel. Mösch nämlich ist Bayreuther: „Insofern freue ich mich sehr, dabei sein zu können.“ Übertragungen von Bayreuth-Opern sind an sich nicht neu. Schon in den 70er Jahren wurde dort aufgezeichnet – allerdings nur aktweise und ohne Publikum. Möschs Aufgabe vor Ort? Der Chefredakteur der „Opernwelt“ soll als Experte in den Pausen die Aufführungen kommentieren und Hintergründe erläutern. Für Mösch ist das kein Neuland: „Ich habe das schon einmal gemacht bei Jules Massenets ,Don Quichotte‘ in Brüssel. Das kam damals sehr gut an.“

Neue Beleuchtung

Die besondere Herausforderung in Bayreuth sieht Mösch darin, für das Publikum verständlich zu sein – und das bei einer „sehr anspruchsvollen Inszenierung, die ja eigentlich das Stück belässt, es aber in einen Kontext setzt, der es neu beleuchtet“. Was ihm an diesem „Lohengrin“ gefällt? „Neuenfels zerfetzt das Stück nicht, wie es andere Inszenierungen machen, sondern setzt neue Akzente.“ Beispiel? „Entgegen der bisherigen Aufführungstradition ist ja in dieser Inszenierung Lohengrin der einzig Normale. Während er sonst immer der Überirdische ist, der aus dem Gralsreich kommt. Der Perspektivwechsel bei Neuenfels ist zentral. Und wenn man den verstanden hat, versteht man die ganze Logik dieses Abends.“

Bayreuth zu modern, alles nicht mehr wie früher? Der Opernfachmann Mösch hat dazu eine eindeutige Haltung: „Bayreuth muss immer die Speerspitze auch dessen bilden, was eine Wagner-Aufführung heute sein kann. Was sich aber sicher auch verändert hat gegenüber den ersten Jahrzehnten von Neu-Bayreuth, ist, dass auch das Niveau der anderen Bühnen zwischenzeitlich enorm hoch ist. Das heißt: Die Differenz zwischen ,drinnen und draußen‘, wie das noch bei Cosima hieß, die gibt es in der Form längst nicht mehr. Auch die Sänger sind längst überall zu hören. Also muss man versuchen, durch die Konstellation der Ereignisse das Besondere zu schaffen. Dazu dienen auch Symposien, Kinderoper oder Public Viewing.“ Was er nicht glaubt: dass man durch einen „Ring“ wie dem des Jahres 2013 Wagner noch mal neu erfinden oder auch justieren könne: „Das hat bei Chéreau noch geklappt wie zuvor auch bei Wieland Wagner und Cosima.“ Zwischenzeitlich aber sei das ästhetische Spektrum so breit geworden, dass Bayreuth nicht mehr, wie in früheren Jahren, alles andere überstrahlen könne. Mösch: „Es gibt ja schon alles. Da noch mal etwas draufzusetzen – das müsste ein Übermensch sein!“, glaubt Mösch.

Hausausweis gleich "Acces All Areas"

Mösch hat übrigens selbst schon Bayreuther Bühnenerfahrung vorzuweisen: „Mitte der 70er Jahre, als ich zwölf, 13 Jahre alt war, durfte ich beim Chéreau-,Ring‘ mitmachen. Und mit dem Hausausweis, den man damals bekam, konnte man in alle Proben rein. Ich habe diese Chance häufig genutzt.“ Er war also fasziniert? „Und wie“, räumt Mösch ein – um sogleich zu ergänzen: „Man muss sich von diesem Wagner auch wieder lösen können. Und die Distanz zu ihm gewinnen.“ Mösch tat das, indem er seine Dissertation über einen „total antiromantischen Komponisten“ geschrieben hat – Boris Blacher nämlich. Am 14. August aber, da gilt’s wieder Wagner.

Foto: Lammel/Archiv