Liebesbier: Diskussion über Reinheitsgebot

Von Kerstin Fritzsche

Beim ersten „Bockbier meets Craft Beer“-Tag bei Maisel & Friends am Samstag diskutierten sechs Brauer im 500. Jubiläumsjahr Sinn und Unsinn des Reinheitsgebotes. Eigentlich hatte es kontrovers werden sollen, aber ein Vertreter des Bayerischen Brauer-Bundes hatte vor einer Woche abgesagt.

 
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Das bayerische Reinheitsgebot feiert am 23. April 500. Geburtstag. Das älteste Lebensmittelgesetz Deutschlands ist stark umstritten. Denn immer mehr Kreativbrauer drängen auf den Markt, die mit nicht-deutschen Bierstilen experimentieren wollen. Und diese enthalten nicht immer nur Wasser, Gerste und Hopfen, wie es die sogenannte bayerische Landesordnung von 1516 vorsieht.

Während die vorläufige Bier-Verordnung, die aktuell dem Brauvorgang den Rahmen vorgibt, in anderen Bundesländern nicht ganz so streng ausgelegt wird, weil Brauer hier Genehmigungen für „besondere Biere“ beantragen können, wird sie in Bayern nach wie vor eng gehandhabt.

Sechs Brauer diskutieren

Sinnvoll oder nicht? Darüber diskutierten im Rahmen des ersten „Bockbier meets Craft Beer“-Tag bei Maisel & Friends am Samstag Maisel-Chef Jeff Maisel, Christian Hans Müller von Hanscraft in Aschaffenburg, Götz Steinl von Camba Bavaria am Chiemsee, Sebastian Priller von Riegele in Augsburg, Mario Hanel von Crew Republic in München und Oliver Wesseloh von der Kehrwieder-Kreativbrauerei in Hamburg. Welche Probleme die strenge Auslegung in Bayern macht, davon konnten Hans Müller und Götz Steinl ein Lied singen.

Müller lieferte sich direkt für sein erstes Bier namens „Bayrisch Nizza“ einen Rechtsstreit mit dem Brauer-Bund – nicht wegen der Inhalte, sondern weil „Bayerisches Bier“ eine eingetragene Herkunftsbezeichnung ist. Müller konnte aber nachweisen, dass der Großteil der Zutaten für „Bayrisch Nizza“ aus Bayern stammt. Und so durfte der Name bleiben. Für ein belgisches Wit mit Koriander, Haferflocken und Orangenschalen beantragte Müller eine Sondergenehmigung und ging dafür durch alle Instanzen bis zur obersten Lebensmittelbehörde. Ohne Erfolg.

Keine gute Begründung der Landeslebensmittelbehörde

Eine für ihn sinnvolle Begründung hörte er nicht. „Die sagten ernsthaft, das sei wie mit der Thüringer Bratwurst. Die sei in Thüringen das allerwichtigste, nicht das Bier. In Bayern sei das genau umgekehrt und daher müsse man beim Bier auf das Reinheitsgebot achten“, erzählt Müller vor rund 250 Zuhörern. Schließlich braute er sein Wit bei den Freunden von Mashsee in Hannover, die ohne Probleme eine Sondergenehmigung für das „besondere Bier“ bekamen. „Ich finde das sehr problematisch, dass es keine bundesweit einheitliche Regelung gibt“, sagt Müller. „Und dass offensichtlich auch niemand weiß, wie man die sinnvoll auslegt.“

Kurios auch das Beispiel von Camba. Der Kreativbrauerei in Truchtlaching wurden schon drei Biere verboten: ein Milk Stout, Coffee Porter und ein fassgelagertes Amber Ale. „Dabei hatten wir das Milk Stout 2014 genau wegen des verwendetes Milchpulvers schon vorsorglich als 'Biermischgetränk' angemeldet“, erzählt Götz Steinl. Bei einer Routine-Prüfung wurde es dennoch beanstandet – und schließlich verboten. Wohl nicht ganz zufällig wurden dann noch andere Camba-Biere beprobt – und weitere zwei verboten. Hier ist der Schaden für die Brauerei aber nicht so groß. „Wir hatten davon aktuell nichts mehr im Angebot und werden sie halt einfach nicht mehr herstellen“, sagt Steinl schulterzuckend.

„Diskriminierung von Konsumenten und Brauern“

Ihn ärgern vor allem zwei Dinge an der strengen bayerischen Verordnung: „Das grenzt an Diskriminierung von ganzen Konsumentengruppen, denn was ist denn zum Beispiel mit der Produktion von glutenfreiem Bier?“, fragt er. „Und dass eine Behörde rät, diese Biere dann einfach im Ausland zu brauen, halte ich schlicht für eine Frechheit! Das kommt einer Art Berufsverbot für uns Brauer gleich.“

Dennoch halten Steinl wie auch Müller am Reinheitsgebot fest. Sie sind sicher: Würde einer vor Gericht ziehen, würde das Bier-Gesetz spätestens auf europäischer Ebene kassiert werden. Und das will keiner, weil dann wirklich Murks betrieben werden könnte, ohne dass es jemand merkt.

Priller: „Reinheitsgebot muss verschärft werden“

Sebastian Priller will sogar eine Verschärfung. „Das Problem ist, dass es kein Herstellungsgebot mehr ist im Sinne dessen, dass nur natürliche Rohstoffe verwendet werden, und das auch nicht überprüft wird.“ Da seien künstliche Aromen drin, Stabilisatoren, damit das Bier nicht ausflockt, Plastik-Rückstände und ja, eben auch wegen des Getreides Glyphosat-Spuren. Vieles davon müsse sein. Aber es werde eben nicht per Etikett deklariert, der Konsument damit dumm gehalten beim Mehrheitsbier.

Oliver Wesseloh ergänzt: „'500 Jahre nicht angetastet' stimmt ja auch nicht. Wacholder war zwischendrin erlaubt. Und dann brauen viele nach dem High-Gravity-Prinzip, wo ich einen superstarken Sud mit 15 Prozent Stammwürze ansetze, daraus mach ich dann mit Hopfen-Extrakten verschiedene Biere, die ich mit Wasser verdünne.“ Dieses gerne in US-amerikanischen Großbrauereien angewandte Verfahren ist in Deutschland stark umstritten, weil u.a. wegen des großen Ethanolgehaltes Stress für die Hefe bedeutet, die sich möglicherweise nicht natürlich verhalten kann, aber für die Qualität des Bieres entscheidend ist.

Geschmack ist King

Andererseits sollte es kein Streit Großbrauereien gegen Kreativbrauer sein, meint Hanel. „Die Spielregeln sind der Geschmack. Und die Leute wollen wieder handwerklich gut gemachte Biere haben. Von mir aus darf auch Beck's Craftbier machen, warum nicht? Aber die Zusatzstoffe sollten eben verzeichnet sein.“

Gerne gäbe es von offizieller Seite auch diese Begründung: Mehrere Gerste- und 200 Hopfen-Sorten würden doch wohl genügen für eine große Bier-Vielfalt. „Das langt freilich für eine Weile. Aber ich will auch die Freiheit haben, experimentieren zu können, wenn ich möchte“, so Hanel. Jeff Maisel ergänzt: „Wenn ich ein Bier mit gerösteten Haselnüssen machen könnte, würde ich es tun.“

Reinheitsgebot ist Export-Qualitätsmerkmal

Einig sind sich alle Brauer darin, dass etwas passieren muss, am besten auf gesetzlichem Weg. Keiner will das Reinheitsgebot abschaffen, weil es ein Qualitätsmerkmal für deutsches Bier im Ausland sei. Selbst im Bayerischen Brauer-Bund gäbe es ein Bewusstsein dafür, so Jeff Maisel, weshalb er, der auch im Beirat des Bundes vertreten ist, eine Arbeitsgruppe gegründet hat, die sich mit einem möglichen ergänzenden „Natürlichkeitsgebot“ beschäftigen soll. Mit den Brauern diskutieren wollte das aber keiner. Ein eingeladener Vertreter vom Brauer-Bund hatte eine Woche vorher abgesagt. „Man will vor dem 23. April nichts ändern oder auch nur thematisieren, um die 500-Jahr-Feierlichkeiten nicht zu stören“, ärgert Maisel sich. Damit erreiche man von offizieller Seite genau das Gegenteil: Größtmögliche Aufmerksamkeit für die Probleme des Reinheitsgebotes. „Lange hat man sich auch darauf ausgeruht, dass Deutschland das Bierland schlechthin ist.“ Jetzt mit der Craftbier-Welle sehe das ein bisschen anders aus, der Konsument interessiere sich eben auch für die spannenden internationalen Bierstile. Daher müsse man im Sinne der Glaubwürdigkeit für das Produkt über sich selbst reden.

„Alte Bier-Kultur war Entweder-Oder“

„Die alte Bier-Kultur war Entweder-Oder. Jetzt ist es Sowohl-als-Auch“, so Jeff Maisel. Und da sei eben der Markt das Regularium. Der alte Satz seines Großvaters gelte heute immer noch: „Wir möchten Neues probieren. Und wenn wir's nicht verkaufen können, saufen wir es eben selbst!“.

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