Lange wussten die Geschwister nichts voneinander Marktschorgast: Bruder und Schwester nach 64 Jahren vereint

Von Sonny Adam

Ihr halbes Leben wusste Monika Zeidler von ihrem Bruder gar nichts. Anfang der 90er brach eine Tante das Schweigen und erzählte ihr vom „heimlichen“ Bruder. Die Marktschorgasterin machte sich auf die Suche. Ohne Ergebnis. Doch dann half der Zufall nach – und jetzt holen die beiden Geschwister ihr ganzes Leben nach.

 
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Wenn Monika Zeidler ihren Bruder Harry Smith (67) anschaut, dann kommen ihr immer wieder die Tränen. Immer wieder muss sie ihrem Bruder, den sie erst im Alter von 64 Jahren kennenlernen durfte, umarmen und herzen. Und auch Harry ist sichtlich gerührt. Dass die beiden sich gefunden haben ist der schönste Beweis für Geschwisterliebe.

„Wenn ich gewusst hätte, dass ich eine Schwester habe – oder eigentlich sind es ja vier Schwestern, wäre alles anderes gekommen“, sagt Harry und kann derzeit sein Glück kaum fassen: Denn Monika Zeidler ist nicht die einzige Schwester, die Harry nicht gekannt hat, sondern es gibt noch Schwester Ingeborg, die älter ist als Harry und in Nürnberg lebt, Schwester Marika, die zwei Jahre nach Harry geboren ist und Schwester Karin, die sechs Jahre jünger ist als Harry.

Dieselbe Mutter

Alle vier Frauen und Harry haben dieselbe Mutter, doch unterschiedliche Väter. Und deshalb haben sie sich auch zu Kinderzeiten nie kennen gelernt. „Ich habe von einer Tante gewusst, dass ich einen Bruder habe. Aber ich wusste nur, dass er Harry heißt und dass er 1947 geboren ist“, erzählt Monika Zeidler ihre ungewöhnliche Familiengeschichte.

Dunkelhäutiges Baby war ein Skandal

Es gab ein Foto, das ihre Mutter mit Harry gezeigt hat – mehr nicht. „Meine Tante hat mir erzählt, dass es ein Schwarzerla war“, sagt Monika Zeidler und lacht. Sie meint es nicht böse – und Harry muss mit lachen. Denn dass eine deutsche Frau in den Nachkriegszeiten ein dunkelhäutiges Baby bekommen hat, war ein Skandal – vor allem, da die Mutter zu diesem Zeitpunkt noch ganz offiziell mit einem Deutschen verheiratet gewesen ist. Harrys Vater war ein amerikanischer Soldat.

Aufgewachsen bei Pflegeeltern

„Ich wusste nur, dass Harry 1947 geboren worden ist“, erzählt Monika Zeidler. Sie hat dann versucht, seine Adresse herauszufinden, doch sie hatte keinen Erfolg. Monika Zeidler ist, wie auch ihre drei weiteren Schwestern, bei Pflegeeltern aufgewachsen. Und Zeit ihres Lebens war auch von Monika Zeidlers Mutter nichts zu diesem Thema zu erfahren. Sie schweig – und ließ sich nicht erweichen. „Ich habe vor zwei Jahren dann sogar beim Fernsehen angerufen. Aber ich habe keinen Rückruf bekommen“, erzählt Monika Zeidler und hat seitdem selbst nicht mehr zu hoffen gewagt, dass sie ihren Bruder irgend wann einmal finden würde. Sie wusste nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt.

Ehe ging in die Brüche

Harry selbst hatte überhaupt keine Ahnung, dass er noch Geschwister hat. „Ich bin bei meinem Vater und bei meiner Mutter Maria aufgewachsen. Erst, als ich 1966 geheiratet habe, habe ich gesehen, dass in meiner Geburtsurkunde Wahlmutter und Wahlvater steht“, erzählt Harry Smith seinen Teil der Geschichte. „Meine Mutter, also die Mutter, die mich aufgezogen hat, hatte nicht vor, mir zu sagen, dass sie nicht meine leibliche Mutter ist“, erzählt Harry Smith. Und da die Ehe der „Eltern“ in die Brüche gegangen ist und Harry bei seiner Stiefmutter, die er bis heute als echte Mutter bezeichnet, geblieben ist, konnte er seinen Vater auch nicht nach den Hintergründen fragen. Zu dieser Zeit war sein Vater von der Bildfläche verschwunden gewesen, denn er war als Zivilist in die USA zurückgekehrt.

Etliche Schicksalsschläge verwunden

Harry Smith ist in Deutschland geblieben und lebte und arbeitete als Zivilangestellter beim Militär. „Irgendwann hatte ich dann wieder Kontakt zu meinem Vater und er hat mich aufgeklärt, dass er mein leiblicher Vater ist und dass er mich mitgenommen hat. Wahlvater war nur eingetragen, weil er mich eben als amerikanischer Soldat adoptiert hat“, erzählt Harry. Und damals wurde auch sein Nachname geändert – in Smith. Und deshalb konnte Monika Zeidler ihren Bruder auch nicht unter dem Namen ihrer Mutter finden.

Harry Smith musste im Leben etliche Schicksalsschläge verkraften, hat seine beiden Kinder verloren. Und weil auch sein Vater 1984 starb und er hier niemanden mehr hatte, hat er sich schließlich entschieden, mit seiner Ehefrau Özden in die USA zu gehen. Seitdem lebt er in Atlanta.

Doppelte Staatsbürgerschaft möglich

„Als ich dann Rente beantragen wollte, habe ich mich mit der deutschen und der amerikanischen Rentenversicherung in Verbindung gesetzt und dabei kam auf, dass ich eigentlich auch die doppelte Staatsbürgerschaft haben könnte und dass ich noch Geschwister in Deutschland habe“, erzählt Harry Smith. Harry Smith, der sich immer eine große Familie und Verwandte gewünscht hatte, fand die Adresse seiner älteren Schwester heraus – und rief bei ihr in Nürnberg an. „Und die Ingeborg hat mir dann auch gleich die Nummer von Monika gegeben, weil die sich bei uns in der Familie um solche Angelegenheiten kümmert“, erzählt Harry Smith und lacht glücklich.

Beide verstehen sich sehr gut

Und seitdem hat sich das ganze Leben der Familie verändert. „Wir verstehen uns super“, sagt Monika Zeidler. Alte Fotos wurden ausgetauscht. Und jetzt ist Harry Smith zum „Antrittsbesuch“ nach Deutschland gekommen. „Mein ganzes Leben wäre anders verlaufen, wenn ich gewusst hätte, dass ich nicht alleine hier wäre“, erzählt Harry Smith.

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