Lachen, leben und sterben im Hospiz

Von Susanne Will
Am Ende versprach Elisabetz von Pölnitz-Eisfeld ihrer Mutter, die im Hospiz starb, nur noch ihre Hände zu fotografieren. Links die Hand der Mutter, rechts die der Tochter. Foto: Elisabeth von Pölnitz-Eisfeld Foto: red

Im Sterbehaus wird laut gelacht. In dem Haus an der Preuschwitzer Straße in Bayreuth ist Platz für zehn Menschen, die eines gemeinsam haben: Sie haben nicht mehr viel Zeit. Doch diese Zeit soll mit Leben gefüllt werden. Ein Besuch im Albert-Schweitzer-Hospiz.

 
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Seit einem Jahr leitet Silvia Spitzl das helle Haus. Nirgends ist ein religiöses Symbol zu finden. „Unser Haus steht allen offen“, sagt sie. Und dennoch hat hier alles mit Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu tun: 26 Mitarbeiter kümmern sich um zehn Menschen, die sterben werden.

Die Gäste, wie die Todkranken genannt werden, müssen über 18 Jahre alt sein, um aufgenommen zu werden. Dazu kommen weitere Regularien: die häusliche Versorgung darf nicht mehr gewährleistet sein; die Krankheit schreitet voran; die Behandlung im Krankenhaus ist abgeschlossen; die Patienten benötigen palliativ-medizinische und pflegerische  Behandlungen. Es trifft auf zu viele zu, die diese Punkte erfüllen: Das Hospiz hat eine Warteliste von Menschen, die hier sterben wollen.

Ein Hospiz-Platz pro 60.000 Einwohner ist die Richtschnur. Wer mehr Bedarf nachweisen kann, darf ein zweites Hospiz bauen, sagt Dr. Erich Rösch vom Bayerischen Hospiz- und Palliativ-Verband.

95% der Kosten übernehmen in der Regel die Kranken- und Pflegekassen, mindestens fünf Prozent müssen über Spenden finanziert werden. Für die Finanzierung eines Hospizes werden Tagessätze zugrunde gelegt. Das Albert-Schweitzer-Hospiz setzt sich aus dem Diakonischen Werk/Stadtmission Bayreuth, dem Hospiz-Verein Bayreuth und der Bayreuther Hospizstiftung zusammen.

Die meisten Gäste haben Krebs

Ein Hospiz dient der Sterbebegleitung. Es ist eine schöne Vorstellung für viele Menschen, im Tod und mit der Angst davor nicht nur nicht alleine gelassen zu werden, sondern von Fachkräften betreut zu werden. Silvia Spitzl: „Zu 95 Prozent haben unsere Gäste Krebs in den vielfältigsten Formen. Das heißt, dass sich unsere Fachkräfte nicht nur auf die Pflege oder die Linderung der Schmerzen  verstehen. Sie arbeiten mit sehr viel Feingefühl und Intuition.“ Es gelte, kleinste Veränderungen zu erkennen und Symptome zu deuten.

„Die Pflegefachkräfte kümmern sich um Wundversorgung, sind bei Atemnot genauso zur Stelle wie bei Übelkeit, die meisten haben eine Palliative-care-Weiterbildung.“ Und damit unterscheidet sich das Hospiz klar vom Krankenhaus, in dem es auch Palliativ-Stationen gibt: Denn dort wird noch diagnostiziert, es wird geröntgt oder therapiert. „Der Gast, der sich entschieden hat, hier her zu kommen, möchte das nicht mehr.“ Keine lebensverlängernde Maßnahmen mehr.

Die Mitarbeiter betreuen auch die Angehörigen

Statt die Zeit in auch Leid verlängernde Maßnahmen zu investieren, ist im Hospiz viel Raum für Betreuung. Vor allem auch seelischer. „Unsere Mitarbeiter stellen sich allen Fragen und Ängsten“, sagt Silvia Spitzl. Es sind nicht nur die Gäste, die Angst haben. „Wir lassen die Angehörigen nicht alleine.“

Das Haus besteht aus hohen, offenen und luftig wirkenden Räumen, die dennoch gemütlich bleiben. Jeder Gast hat sein eigenes Zimmer samt Terrasse, auf die auch ein Bett geschoben werden kann, wenn der Patient es möchte und die Witterung es zulässt. Die Angehörigen können über  Nacht bleiben.

Braten essen nachts um drei - auch das geht

Essen gibt es, wenn die Menschen hungrig sind. In der Küche stehen Hauswirtschaftskräfte und Ehrenamtliche. Es ist 11 Uhr, eine Frau bereitet ein Frühstück zu. Schön, dass die Patientin bis jetzt geschlafen habe, sagt sie. Sie bringt ihr Kuchen. Eine andere erzählt, dass jüngst einer anderen Patientin nachts um 3 Uhr nach einer Portion Braten gewesen ist. Kein Problem: „Der Gast gibt den Takt vor.“ Eine große Auswahl an eingefrorenen Speisen machen die Erfüllung solcher Träume möglich. „Es ist toll zu sehen, wie manche hier regelrecht aufblühen, wenn sie den Geschmack von Erdbeerkuchen im Mund haben“, erzählt eine Mitarbeiterin.

Erdbeerkuchen statt Einheitsbrei: Hier werden Individuen gepflegt. „Im Schnitt bleiben die Menschen 20 Tage bei uns“, sagt Sivlia Spitzl. Es gibt Menschen, die sterben nach einem Tag, andere leben noch Monate. Es gibt Todkranke, zu denen sich eine größere Nähe entwickelt als zu anderen. Eine Pflegerin: „Das passiert. Aber dafür habe ich das Team. Und wenn ich wirklich die Distanz verliere, gibt es die Möglichkeit zur Supervision.“

Patentrezept für richtiges Sterben gibt es nicht

Die Angehörigen danken es den Pflegern, sie berichten von herzlichen Briefen, die sie nach dem Tod erhalten. Und die Pfleger und ehrenamtlichen Mitarbeiter erzählen, wie viel auch ihnen die Arbeit mit den Sterbenskranken bringt. „Niemand weiß, wie sterben geht – es ist von Fall zu Fall anders. Aber was wir lernen: Lebe jetzt und den Augenblick.“ Denn viele Patienten würden sagen, das ein oder andere bereut zu haben. „Einer meinte jüngst: Schade, dass ich zu wenig gelacht habe.“ Und als dann eine Kollegin – vielleicht Ende 40 - sagt, dass sie sich deshalb kürzlich als „Rollerfässchen“ eine abschüssige Wiese hinunterrollen ließ, lachen alle. „Der Mensch darf niemals aufhören, Mensch zu sein“, sagte Albert Schweitzer. Das gilt im Bayreuther Hospiz auch für die Pflegenden.

 

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