Kunstmuseum Starfotograf zeigt in Bayreuth Leid der Ukraine

Alexander Chekmenev zählt zu den wichtigsten Fotografen der Gegenwart. Der Ukrainer porträtierte 2022 Präsident Wolodimir Selenzski für die Titelseite des „Time“-Magazin. Dass er ein Meister der Fotografie ist zeigen seine Erinnerungen an den Donbass im Bayreuther Kunstmuseum.

 
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Ein älterer Mann in Shorts, der mit weit aufgerissenem Mund Akkordeon spielt. Der Zuhörer stützt seinen Kopf auf einen Tisch und hört mit geschlossenen Augen zu. Alexander Chekmenevs „Akkordeonspieler“ stammt ursprünglich aus Odessa und besitzt zwei akademische Abschlüsse als Tenor-Opernsänger und Dirigent. Er wurde in den 60er-Jahren nach Donezk geschickt. „Wenn er singt, öffnen seine Nachbarn ihre Fenster, um ihn besser hören zu können“, notiert Fotograf Chekmenev. Das überall in Bayreuth auf Plakaten zu sehende Bild irritiert – und macht neugierig.

Der schwere Alltag im Donbass

Das Bild auf dem Plakat führt ins Bayreuther Kunstmuseum, das dem 1969 in Luhansk in der Ostukraine geborenen Fotokünstler noch bis 9. Juni erstmals eine Ausstellung widmet. Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat Chekmenev das karge Leben der Menschen in der Ostukraine festzuhalten. In der Grenzregion zu Russland fotografierte er Menschen auf der Straße, Zuhause in privaten Situationen und bei der Arbeit. Eine ganze Region litt damals unter den Folgen des politischen Umbruchs und der wirtschaftlichen Krise. Spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine stehen die Gebiete um Donezk und Luhansk wieder im Fokus der Weltöffentlichkeit. Die Fotografien, die jetzt in Bayreuth zu sehen sind, stammen aus Chekmenevs Privatarchiv und dem Museum der Charkiwer Schule der Fotografie. „Die Fotografien zeichnen sich durch eine unglaubliche Ästhetik aus“, sagt Kulturreferent Benedikt Stegmayer beim Rundgang durch die Ausstellung. Über sein Netzwerk war es gelungen, die größtenteils in Schwarz-Weiß gehaltenen Fotografien nach Bayreuth zu holen. Für das Museum sei es wichtig, sich inhaltlich weiterzuentwickeln. Mit der Fotoretrospektive leiste es einen brandaktuellen Beitrag zum Ukraine-Krieg, so Stegmayer.

Porträt Selenskis brachte hohen Erlös

Der berühmteste Vertreter der Charkiwer Schule heißt Boris Mihailov. Diese fotografische Richtung setzt auf experimentelle Kunst und zeigt damit eine Antihaltung zur einstigen Sowjetkunst. In dieser Tradition steht auch Alexander Chekmenev. „Er ist einer der bedeutendsten Gegenwartsfotografen der Ukraine und Osteuropas und in großen Sammlungen vertreten“, sagt Stegmayer. Herausragend sei sein Porträt des ukrainischen Präsidenten für das „Time“-Magazin im April 2022 gewesen. „Ikonisch, klassisch, meisterhaft“ sei die Aufnahme. Das Honorar spendete der Fotograf, um die Ukraine zu unterstützen.

Chekmenevs Fotografien wurden an Originalschauplätzen aufgenommen, sind jedoch keine Dokumentarfotos. „Vielmehr sind sie stark inszeniert und wirken teilweise wie Gemälde“, sagt Stegmayer. Zum Beispiel achte der Fotokünstler auf den goldenen Schnitt und setze Licht und Schatten gekonnt ein. Eine Serie von Fotografien ab 1994 bildet Männer und Frauen ab, die illegal in Steinkohleminen harte Arbeit leisteten. Aus Angst vor Konsequenzen musste er ihnen versprechen, die Aufnahmen erst 20 Jahre später zu veröffentlichen. „Die Menschen wurden einfach vergessen und sich selbst überlassen“, erläutert Alexandra Kuhnke, die kommissarische Leiterin des Kunstmuseums und Kuratorin der Ausstellung. „Sie mussten versuchen, irgendwie zu überleben.“ Dadurch würden sich Parallelen zur aktuellen Situation im Donbass ergeben.

Überlebende der Gewalt des Krieges

Die Bildkompositionen wirken teils, als seien sie in einem Fotostudio entstanden. Wie die aktuelle Serie „Faces of war“, in der sich vor schwarzem Hintergrund die Gesichter der Porträtierten abzeichnen. Alle erlebten schreckliche Szenen voller Gewalt. Die Fotos der Überlebenden erinnern an Porträts Alter Meister und sind doch gegenwärtig.

Chekmenev fotografiert analog und setzt nur selten, aber dann gezielt Farbfilme ein. Zu seiner Ausrüstung gehören in der Regel zwei, drei Kameras, so Kuhnke. Meisterhaft sei die Serie „Passport“, aus der auch ein Buch entstanden sei. „Man sollte sehen, wie die Menschen leben, auch wenn später nur das Passbild übrig bleibt.“ Ein Ausweis sei ein Dokument über die eigene Identität. Aber es seien diese Fotografien, welche das Wissen über die Menschen bewahrten.

Werke in Europa in Sicherheit

Nach Ausbruch des Krieges sei es dem Museum in Charkiw gelungen, seine 70 000 Negative und 5000 Fotos umfassende Sammlung mit Hilfstransporten nach Europa zu schmuggeln. 300 Werke Chekmenevs wurden ebenfalls in Sicherheit gebracht. „Es wird versucht, eine ganze Kultur auszulöschen.“ Der Fotograf arbeitet mittlerweile in einem Atelier in Kiew. Doch die wertvollen Kulturgüter konnten gerettet werden.

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