Als Beispiel nennt der 25-Jährige die sogenannten "Reichsbürger". "Wir sprechen schon seit Jahren darüber, dass von den 'Reichsbürgern' eine Gefahr für Leib und Leben ausgeht. Durch aktuelle Ereignisse wird das Problem auch der gesamten Gesellschaft bewusster", sagt Geißler.
Die gemeinnützige Organisation verleiht jedes Jahr im Oktober in Berlin den "Goldenen Aluhut" an die pseudowissenschaftlichsten Verschwörungstheoretiker der vergangenen zwölf Monate. Zu den bisherigen Preisträger zählen unter anderem der Kopp- und der Compact-Verlag sowie der Sänger Xavier Naidoo. "Der 'Goldene Aluhut' ist im Bereich Verschwörungstheorien das, was beim Film die 'Goldene Himbeere' ist", so Geißler. Die Internetnutzer entscheiden per Abstimmung, wer gewinnt.
Lustig machen alleine reicht nicht
Schaue man ins Netz, sei eine Theorie hanebüchener als die andere. "Es gibt Leute, die ernsthaft behaupten, Michelle Obama sei ein Mann oder Atlantis ein untergegangenes Raumschiff, das die Menschheit auf die Erde gebracht hat. Ein Klassiker ist die angeblich inszenierte Mondlandung", sagt Geißler.
Bei den meisten Menschen erzeugen die Behauptungen wohl lediglich ein müdes Lächeln. Der Chefredakteur weist aber darauf hin, dass der Glaube an die verbreiteten Lügen für den einzelnen Menschen fatale Folgen haben kann: "Es gibt Leute, die glauben an die heilende Wirkung einer Natriumchloritlösung. In Verbindung mit einer Säure wird giftiges Chlordioxid freigesetzt. Manche spülen mit dem Zeug ihren Darm aus oder nehmen das oral ein. Das verätzt den Darm und die Speiseröhre." Wiederum andere ließen ihre Kinder nicht mehr unter freiem Himmel spielen, weil sie Angst haben, die Kondensstreifen von Flugzeugen, "Chentrails", könnten den Menschen vergiften, berichtet Geißler.
Die Kommunikation mit den Internetnutzern des "Goldenen Aluhuts" sei ein Drahtseilakt. "Wenn man nur lacht, fehlen die Fakten. Wenn man nur mit Fakten kommt, hört keiner zu", sagt Geißler. Daher setze der "Goldene Aluhut" auf ein Infotainment-Angebot.
Geißler zufolge geht es auch um politische Meinungsbildung: "Die Aufklärung im politischen Bereich ist sehr wichtig. Man sieht an der Wahl von Donald Trump, dass Medienkompetenz und Wahrheitsfindung Hand in Hand gehen." Gerade die sozialen Medien seien dafür prädestiniert, Vorurteile zu festigen, da sich die Nutzer bei Facebook und Co. immer innerhalb ihrer Informationsfilterblase bewegen. "Die Leute kochen ihre Meinung im eigenen Saft."
Fehlende Medienkompetenz
Problem sei aber nicht Facebook selbst, sondern eben die Medienkompetenz der Menschen. "An einer Drehbank kann man sowohl eine Waffe bauen, als auch einen Kerzenständer machen. Es kommt immer darauf an, wie man eine Sache nutzt", sagt Geißler. Oft seien es einfache Erlebnisse im Alltag, die Leuten zu Verschwörungstheorien brächten. "Das kann mit einem Strafzettel anfangen. Die Person will ihn nicht zahlen, entdeckt dann im Internet Leute, die behaupten, Deutschland sei kein Staat, die Polizei nur eine Firma, deren Angestellte keine Befugnis hätten, Leuten Geldbußen aufzuerlegen", schildert Geißler. Der Feind der Verschwörungstheoretiker sei die Komplexität: "Die Anhänger von Verschwörungen machen sich die Welt einfach, suchen die Schuld bei anderen und finden immer einen Sündenbock."
Die Gedankenzusammenhänge der Anhänger abstruser Welterklärungsansätze seien für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Geißler erläutert, wie mancher "Reichsbürger" "argumentiert": "Sie behaupten: Deutschland ist kein Staat. Warum ist Deutschland kein Staat? - Weil es nie einen Friedensvertrag nach dem Krieg gegeben hat. - Daraus folgt: Wir sind ein besetztes Land. - Wer besetzt uns? - Die Amerikaner. Die unterdrücken uns. Wer unterdrückt die Amerikaner? - Die Juden." Aus solchen fadenscheinigen Pseudokausalketten entstehen aber nach den Worten von Geißler bei einigen Menschen leider feste Überzeugungen. Gegen etwaige antisemitische Äußerungen müsse man seine Stimme erheben.
Veranstaltung in Oberfranken geplant
Mittlerweile bieten die Macher des "Goldenen Aluhuts" Seminare an und veranstalten Infotainment-Shows, um auch außerhalb des World Wide Webs Menschen aufzuklären. Dabei gehe es auch um Themen wie Homöopathie oder das Impfen. "Es gibt Leute, die das Impfen strikt ablehnen und andere davor warnen. Dass wir heute in Deutschland eine sehr niedrige Kindersterblichkeit und eine hohe Lebenserwartung haben, liegt auch am Impfen. Heute muss daher kein Kind mehr an Mumps sterben", verdeutlicht Geißler. Dem "Goldenen Aluhut" gehe es nicht darum, Impfschäden unter den Teppich zu kehren. Das Risiko werde aber aufgebauscht.
Für das kommende Jahr planen die Macher des "Goldenen Aluhuts" auch eine Veranstaltung in Oberfranken. Genaueres stehe noch nicht fest. Die Texte der überschaubaren Gruppe mit Geschäftsführerin Giulia Silberberger an der Spitze schlagen medial hohe Wellen. Über die Preisverleihung des "Goldenen Aluhuts" im Oktober berichteten unter anderem Spiegel Online und die Süddeutsche Zeitung .
Der Name der Aufklärungsinitiative geht übrigens auf eine groteske Erfindung von Verschwörungstheoretikern zurück. Geißler erläutert: "Ein Hut aus Alu soll unter anderem die Gedankenkontrolle durch Aliens verhindern."