Kulmbach Spagat zwischen Alltag und roher Gewalt

Stephan Stöckel

Und die Partei war immer dabei: Erich Olbrich berichtet mit Worten und bewegten Bildern über das Leben in Kulmbach während der Nazizeit. Seine Botschaft: Fallt nie wieder auf Rattenfänger herein.

 
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Kulmbach - Paare tanzen ausgelassen im Mönchshof-Garten, die Kinder schnappen eifrig nach Würsten und auf dem Festplatz in der Luitpoldstraße legen die Rollschuhtänzer eine kesse Sohle aufs Pflaster. Der alte Film, der beim Entrümpeln in einem Bayreuther Keller entdeckt worden war, versprühte eine mitunter heitere und ausgelassene Atmosphäre. Man mochte kaum glauben, dass er aus einer Zeit stammte, die zu den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte zählt, wäre da nicht die SA durchs Bild gelaufen.

Weitere Vorträge

Wegen des großen Interesses und der durch die Corona-Krise beschränkten Teilnehmerzahl hält Erich Olbrich vom Stadtarchiv Kulmbach am Mittwoch, 4. November, um 19.30 Uhr seinen Vortrag über die NS-Zeit noch einmal im Martin-Luther-Haus. Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Trauer und Depression? Eine Antwort auf diese Frage gibt Dr. Michael Schüler, ehemaliger Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Er referiert am 25. November um 19.30 Uhr auf Einladung des Kulmbacher Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing. Der Eintritt ist frei, Spenden sind erwünscht. Aufgrund der in der Corona-Krise begrenzten Teilnehmerzahl ist für beide Veranstaltungen eine Anmeldung bei Dr. Bernd Matthes (Telefon 09221/66715) oder per Mail (bernd_matthes@web.de) nötig. Zudem gilt eine Maskenpflicht bis zum Sitzplatz.


Erich Olbrich vom Kulmbacher Stadtarchiv unternahm am Donnerstagabend im Martin-Luther-Haus mit seinem Publikum mit dem Schwarz-Weiß-Streifen und einer Bilderschau eine Zeitreise zurück in die nationalsozialistische Zeit in Kulmbach. "In der Wagnerstadt Bayreuth gaben sich die Nazigrößen die Klinke in die Hand. In Kulmbach wollte man zwischen 1933 und 1945 ein wenig von dem Glanz abhaben", stellte der Hobby-Historiker fest, den der Kulmbacher Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing eingeladen hatte. Rund 40 Besucher lauschten seinen Ausführungen.

Wie zum Beweis zeigte er ein Bild von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der am 27. Juli 1933 die Landesführerschule auf der Plassenburg besucht hatte. Aber auch Hans Schemme, NSDAP-Gauleiter der Bayerischen Ostmark, und Adolf Wagner, stellvertretender Ministerpräsident von Bayern, waren gern gesehene Gäste in der Bierstadt.

Olbrichs Vortrag verdeutlichte eindrucksvoll, wie die Nationalsozialisten in alle Bereiche des öffentlichen Lebens eindrangen und die Bevölkerung mit ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik zu vereinnahmen suchten. Ob bei den Werbewochen für das Deutsche Handwerk oder beim großen Ernte-Dank-Umzug - die Partei marschierte immer mit. "Kauft deutsches Gemüse", konnte man 1933 auf einem Wagen lesen, der Teil des Umzuges gewesen war.

Aber nicht bei Juden - schoss es dem Betrachter sofort in den Kopf, als Olbrich einen SA-Mann zeigte, der vor einem jüdischen Laden am Kressenstein stand. "Er sollte feststellen, wer sich traut bei Juden einzukaufen", sagte Olbrich. Eine Armenspeisung und vollbeladene Lkws des Winterhilfswerks zeigten die karitative Ader des Nazi-Regimes, das damit die breite Bevölkerung für sich und ihre Ideologie gewinnen wollte. Durch die ständige Präsenz der Partei sei den Menschen diese quasi in ihre Köpfe eingetrichtert worden, stellte der Redner fest, der Parallelen zu heute zog. "Wenn Trump zehnmal seine Fake-News durchgibt, irgendwann glauben es ihm die Leute." Olbrich wollte seinen Vortrag als Beitrag dazu verstanden wissen, nicht neuen Rattenfängern auf den Leim zu gehen.

Olbrich entließ die Besucher nicht nur nachdenklich, sondern auch vollgepackt mit Wissen über jene Zeit. Sie erfuhren, dass sich einst in den Mainauen zwischen Ober- und Unterauhof ein Flugfeld befunden hatte. Auf dem landete eine damals bekannte Fliegerin aus Bayreuth. Ihr Name: Liesl Schwab (1900 bis 1967). "Sie war eine coole Socke", charakterisierte der Redner Bayerns erste Kunstfliegerin.

Welches Ende nahm die Nazi-Herrschaft in Kulmbach? "Dass Kulmbach nicht zerstört wurde, haben wir unseren Frauen zu verdanken", stellte der Referent fest. Oberstleutnant Kurt Myrus wollte Kulmbach bis zur letzten Patrone verteidigen. Doch ein paar mutige Damen aus der Bierstadt machten ihm einen Strich durch die Rechnung.

Der Soldat hatte seinen Gefechtsstand in einem Gebäude in der Oberen Stadt, in dem sich heute die Gastwirtschaft "Zum Bully" befindet. "Dort machten die Frauen den gebürtigen Hamburger betrunken, hingen weiße Tücher als Zeichen der Kapitulation aus den Fenstern, setzten ihre Kinder in Leiterwägelchen und sägten die Panzersperren auf, damit die Amerikaner kampflos einmarschieren konnten", schloss der Redner seinen Vortrag mit einer Anekdote, die den Zuhörern ein Schmunzeln entlockte. Die Spenden der Besucher gehen an die Geschwister-Gummi-Stiftung in Kulmbach.

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