Krisengespräch in Bayreuth Wenn die psychische Gesundheit leidet

Was tun gegen die Krise im Kopf? Unser Bild zeigt (von links) die Grünen-Landtagsabgeordneten Kerstin Celina und Tim Pargent, Leitenden Ärztlichen Direktor Prof. Thomas Kallert, Elfriede Losert von AGUS und Dr. Alexander Prölß, Koordinator Schulpsychologie der Staatlichen Schulämter Bayreuth. Foto: /Ute Eschenbacher

Unter der Überschrift „Krisen in der Welt – Krisen im Kopf: Wie geht’s unserer Psyche?“ hat Grünen-Landtagsabgeordneter Tim Pargent zu einem Expertengespräch nach Bayreuth eingeladen. Das Fazit ist alarmierend.

 
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Depression, Angstzustände, Suchterkrankungen, Ess-Störungen, Persönlichkeitsprobleme: Das alles sind Beispiele für psychische Krankheiten. Trotz der Corona-Krise, in der es vielen Menschen nicht gut ging, seien psychische Erkrankungen immer noch ein Tabu-Thema, sagte Pargent eingangs. Daher habe er die sozialpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Kerstin Celina, und weitere Fachleute zu einer Gesprächsrunde nach Bayreuth gebeten.

Acht Prozent der Deutschen leiden an Depression

Celina, seit 2013 im Landtag, berichtete von einer umfangreichen Anfrage an die Staatsregierung. Eineinhalb Jahre habe die Fraktion auf die Antworten gewartet. Daraus würden nun mehrere Anträge zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Menschen im Freistaat folgen. Acht Prozent aller Deutschen sind nach ihren Worten von Depressionen betroffen. In den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit sind Depressionen Celina zufolge nach den Suiziden der Fußballprofis Robert Enke und Andreas Biermann gerückt. Die Familien der beiden Sportler entschieden sich damals, offen damit umzugehen. „Leider ist es immer noch nicht normal, offen darüber zu sprechen“, stellte Celina fest. Betroffene bräuchten ein sicheres Umfeld, in denen sie ihre Krankheit offen legen könnten.

Angst vor negativen Konsequenzen im Beruf

Doch die Scheu davor sei groß, weil negative Konsequenzen befürchtet würden. So gebe es Referendare, die andere Krankmeldungen einreichten oder ihre Rechnungen beim Psychologen selbst zahlten, aus Angst nicht verbeamtet zu werden. Oder Betroffene legten ihre stationären Aufenthalte in die Ferien oder nähmen dafür Urlaub, damit es dem Arbeitgeber nicht auffällt. Die Sorge, stigmatisiert zu werden, sei enorm hoch.

Auch im Schulunterricht werde nicht ausreichend über das Thema gesprochen, so Celina. Eine Petition von Schülern dazu, die mehr Aufklärung einforderten, sei gescheitert. Die Gymnasiasten drehten den Dokumentarfilm „Grau ist keine Farbe“ über depressive Jugendliche. Anlass war ein Fall aus dem eigenen Freundeskreis. Bis auf einen Zehn-Punkte-Plan des Kultusministeriums sei nicht viel passiert, kritisiert die sozialpolitische Sprecherin.

Psychisch Kranke würden mit Gefährdern gleichgesetzt

Gegen das neue bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz hatte es ebenfalls Widerstand gegeben. Die Gleichsetzung mit Gefährdern und Straftätern wollten Tausende Unterzeichner einer Petition nicht hinnehmen. „Die Entstigmatisierung ist so schwer“, sagte Celina. Unter Arbeitgebern herrsche ebenso Skepsis. Rückenschulen würden angeboten, aber Nichts zum Erhalt der psychischen Gesundheit. Dabei waren 1,1 Million gesetzlich Versicherte zuletzt in psychologischer Behandlung. 2020 hätten vier Millionen Menschen eine Diagnose aus diesem Feld erhalten.

Schnell einen Termin zu bekommen, ist unmöglich

„Um eine Chronifizierung zu vermeiden, braucht es einen niederschwelligen Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten und die Möglichkeit, schnell einen Termin zu bekommen“, forderte die Landtagsabgeordnete. Doch genau das sei im gegenwärtigen Gesundheitssystem nicht möglich. Wer nicht rechtzeitig behandelt werde, könne seine Arbeit und seine Wohnung verlieren und lande am Rand der Gesellschaft.

Fachleute zeichnen ein düsteres Bild der Situation

Wenig Hoffnung äußerten die geladenen Experten, dass sich die Situation für die Betroffenen in naher Zukunft verbessert. Prof. Thomas Kallert, Leitender Ärztlicher Direktor der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken, weiß aus eigener Erfahrung: „Wir sind nicht gut aufgestellt.“ Weder ambulant noch stationär sei die Versorgung ausreichend. Defizite in der Diagnostik, lange Wartezeiten für einen Ersttermin beim Psychotherapeuten, zunehmende Bürokratie, Fachärztemangel: „Das geht alles zulasten der Patienten.“

Elfriede Losert, von der AGUS-Selbsthilfegruppe, arbeitet mit trauernden Angehörigen. „Trauer ist keine Krankheit, sondern eine Reaktion auf einen Verlust“, sagt sie. Eine Depression könne jedoch zum Tode führen und Suizide auslösen. „Der beste Arzt kann nicht helfen, wenn der Patient sich nicht öffnen kann oder will.“ 2021 hat es Losert zufolge 9206 Suizide gegeben, 75 Prozent davon waren Männer.

Lehrer, Schüler und Eltern sind überfordert

Dr. Alexander Prölß, Koordinator Schulpsychologie der Staatlichen Schulämter Bayreuth, schilderte die Belastung von Schülern und Lehrern. Die gesellschaftlichen Aufgaben würden immer mehr: Integration, Inklusion, Corona-Krise. Der lange Lockdown habe viele Kinder verunsichert. „Wir haben Ängste und depressive Verstimmungen bei Zwölf- bis 16-Jährigen.“ Vor allem Mädchen reagierten manchmal mit selbstverletzendem Verhalten wie Ritzen. Andere Schüler seien aggressiv oder weigerten sich, in die Schule zu gehen. Eltern und Lehrer seien gleichermaßen überfordert. Der schulpsychologische Dienst und die Jugendsozialarbeit an Schulen könnten lediglich unterstützend tätig werden.

Einige Lehrer unter den Zuhörer beschrieben, dass sie nicht mehr die gleichen Anforderungen im Unterricht stellen könnten. Schlechtere Ergebnisse bei Leistungstests und Jahrgangsstufentests belegten dies. Die Sozialpolitikerin Kerstin Celina fasste schließlich zusammen: „Wir leben in einer neuen Normalität – und sind nicht auf dem Weg zurück.“

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