Krankentransport: Jede Minute zählt

Von Norbert Heimbeck
Auch ungewöhnliche Krankentransporte organisiert die Integrierte Leitstelle Bayreuth/Kulmbach: Manfred Hagen wurde zum Rathaus Mistelbach gebracht, um dort seinen Personalausweis abholen zu können. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Ein Tag wie der 23. Dezember 2016 bringt den Rettungsdienst an seine Grenzen: Wegen des überraschend aufgetretenen Glatteises verunglückten viel mehr Menschen als sonst: „Wir haben an diesem Tag 140 zusätzliche Krankenfahrten gemacht. Insgesamt waren es 230 Einsätze an einem Tag“, sagt Markus Ruckdeschel, Leiter der Integrierten Leitstelle Bayreuth/Kulmbach (ILS). Er erklärt, warum bei einem Einsatz jede Minute zählt.

 
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Dass trotzdem alle Verunglückten zum Arzt gebracht wurden, gelang dank der Zusammenarbeit aller Rettungsdienste im ILS-Bereich. Nicht jeder Tag verläuft so chaotisch wie jener 23. Dezember. Aber: Ärzte schicken Patienten in die Klinik, Krankenhäuser schicken Geheilte nach Hause, Patienten werden zwischen Fachkliniken verlegt – zwei Drittel der Autos mit dem roten Kreuz unterm Blaulicht transportieren Kranke. Knapp 24 000 Krankentransporte im Jahr organisieren die Disponenten der Integrierten Leitstelle Bayreuth/Kulmbach. Dafür stehen elf Rettungswagen und neun Krankenfahrzeuge zur Verfügung.

Wartezeiten verkürzen

Damit diese Fahrzeuge optimal ausgelastet sind, braucht es eine ausgeklügelte Organisation: Leerfahrten sollen vermieden, Wartezeiten für Patienten verkürzt werden. Und nicht zuletzt sollen die Besatzungen vernünftige Pausen auch bei langen Schichten machen können. Das Münchner Institut für Notfallmedizin hat ein 230 Seiten starkes Gutachten namens Trust III angefertigt, das die Datenbasis für das Krankentransportmanagement liefert. Unter anderem zeigt es die Einsätze sortiert nach Wochentagen und Stunden – die Grafik zeigt, dass an Montagen und an Wochenenden deutlich weniger Krankentransporte zu bewältigen sind als anderen tagen. „Für uns heißt das, wenn wir am Schichtplan in den dünneren Zeiten ein bisschen basteln, haben wir bei starker Nachfrage mehr Ressourcen zur Verfügung,“ sagt Markus Ruckdeschel. Was wiederum positive Veränderungen für die Patienten bringen kann.

Schnelle Verbesserungen

Im Juni 2016 haben die ILS-Verantwortlichen das sogenannte Krankentransportmanagement in den Landkreisen Bayreuth und Kulmbach eingeführt: „Wir sind überrascht, dass schon nach so kurzer Zeit deutliche Verbesserungen zu erkennen sind“, sagt Harald Burkhardt vom Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung. Schnelle Ergebnisse sind gut: Denn Bayreuth war (gemeinsam mit der ILS Rosenheim) ein Pilotprojekt. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sollen nach und nach auf die insgesamt 26 bayerischen Leitstellenbezirke übertragen werden. „Wir mussten viele Gespräche führen: mit unseren Disponenten, mit den Sanitätern, mit den Ärzten und in den Kliniken“, sagt Burkhardt. Es sei zum Beispiel gar nicht so einfach gewesen, Ärzte und Schwestern davon zu überzeugen, Krankentransporte wenigstens einen Tag vorher anzumelden.

Unpopuläre Aufgabe hat sich gelohnt

„Es war eine unpopuläre Aufgabe. Aber es hat sich gelohnt“, sagt Markus Ruckdeschel: „Wer vorbestellt, verkürzt die Wartezeit auf einen Krankentransport um 28 Minuten. Stellen Sie sich das mal in der Praxis vor: Der Patient muss zum CT und kommt wegen der ungeplanten Wartezeit zu spät. Das bringt natürlich auch den Ablauf in der Klinik durcheinander“. Wenn bei jeder der 24.000 Fahrten nur zwei Minuten gespart werden könnten, bringe das erhebliche Verbesserungen. Nicht nur für die Mitarbeiter der Rettungsdienste, sondern auch in den Krankenhäusern, Arztpraxen und Heimen.

Die Auslastung der Bayreuther Krankenwagen liegt bei 84 Prozent: „Die restlichen 16 Prozent kann man nicht auch noch verplanen,“ sagt Ruckdeschel. Denn es müsse auch Puffer für unvorhergesehene Notlagen geben, zum Beispiel für Glatteistage, für Brände oder schwere Busunglücke.

220 Millionen mehr für den Rettungsdienst

Warum ist es notwendig, den Rettungsdienst zu optimieren? Ruckdeschel: „In den Leitstellen sind wir auf Blaulicht, auf Adrenalin und auf Verletzungen fixiert. Aber wir arbeiten auch an der Schnittstelle zur inneren Sicherheit, wo es auf Effizienz der Verwaltung ankommt. In nur fünf Jahren sind die Kosten für das Rettungssystem alleine in Bayern um 220 Millionen auf 620 Millionen Euro gestiegen.“ Eine Trennung von Notfallrettung und Krankentransport und Öffnung des Fahrdienstes für marktwirtschaftliche Anforderungen würde zu erheblichen Qualitätseinbußen führen: „In Bayern funktioniert das über Ausgleichszahlungen. Das heißt, in München und in Fichtelberg zahlt man das Gleiche für einen Krankentransport. Wobei München im Prinzip profitiert und Fichtelberg draufzahlt. Aber für den Patienten macht es keinen Unterschied.“

Die Story von Hannibal

Bei aller Zahlenfixierung und Optimierungslust: „Für uns steht immer noch der Mensch im Mittelpunkt. Deshalb werden Fahrten zum Rathaus, damit sich der Patient seinen Personalausweis abholen kann, auch künftig möglich sein.“ Dass solche ungewöhnlichen Fahrten immer wieder vorkommen, belegt Markus Ruckdeschel mit einem weiteren Beispiel: „Wir sollten eine Seniorin aus ihrer Wohnung ins Heim bringen. Es war schon alles im Auto verstaut, als sie fragte: „Was wird jetzt mit Hannibal?“ Das war ihr Kanarienvogel, den wollte sie nicht alleine zurücklassen. Dann haben wir halt den Hannibal auch noch eingeladen.“

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