Kramme zu NRW: Ich hab's kommen sehen

Von Peter Rauscher
Anette Kramme hat Schulz gewählt und würde es wohl wieder tun. Auch nach den jüngsten Wahlpleiten. Foto: Archiv/Moritz Kircher Foto: red

Sie hat das Unheil für die SPD vorausgesehen: Anette Kramme, oberfränkische SPD-Chefin und Parlamentarische Staatssekretärin aus Bayreuth, hat als gebürtige Essenerin noch Kontakte in ihre alte Heimat Nordrhein-Westfalen. Auch nach der dritten SPD-Wahlschlappe in Folge nach dem Saarland und Schleswig-Holstein hält sie Martin Schulz für den richtigen Kanzlerkandidaten. Aber ihr Optimismus für die Bundestagswahl 2017 ist gebremst.

 
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Frau Kramme, haben Sie den Wahlabend schon verkraftet?

Anette Kramme (lacht): Ich schon. Für mich war das Ergebnis absehbar, wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit. Ich komme ja ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen. Ein Teil meiner Verwandtschaft wohnt noch dort. Ich habe die Unzufriedenheit schon vor dem Wahltag mitbekommen.

 

Unzufriedenheit womit?

Kramme: Insbesondere mit der Bildungspolitik. Die Diskussion um die Länge des Gymnasiums und die Dauer des Unterrichts war ein großes Thema. Die Schnellanalysen zeigen, dass  68 Prozent der   Nordrhein-Westfalen mit der Bildungspolitik unzufrieden waren, 83 Prozent mit der inneren Sicherheit und 66 Prozent mit dem Zustand von Straße und Schiene. Das und eine nachlassende Zugkraft von Hannelore Kraft haben die Niederlage bewirkt.

 

Das sind alles landespolitische Themen, aber es war ja die dritte Niederlage in Folge bei Landtagswahlen für Ihren Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Glauben Sie, dass er in den 132 Tagen bis zur Bundestagswahl das Ruder noch herumreißen kann?

Kramme (zögert): Natürlich gibt es  Wechselwirkungen.  Eine negative Stimmung jetzt wirkt sich weiter aus.  Andererseits hat der Bundestagswahlkampf ja noch nicht einmal begonnen.  Der Parteivorstand wird erst jetzt in einer ersten Runde  über das Wahlprogramm beraten. Die immer wieder kritisierte fehlende Konkretisierung wird es dann geben.  Dass wir damit später dran sind, ist logisch, Martin Schulz ist ja erst spät in die Kandidatur eingestiegen.

 

Er hat noch keine Inhalte geliefert, aber er hat nun schon mal das Verliererimage.

Kramme:   Ich weiß nicht, ob er das hat. Bei der Landtagswahl im Saarland sagten 76 Prozent der Saarländer laut Schnellanalyse, dass Martin Schulz einen positiven Schub für die Saar-SPD erzeugt hat.  Bei den schweren Niederlagen der SPD in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo wir  jeweils 13 Prozent verloren haben, hat die nachlassende Zugkraft der SPD-Ministerpräsidenten eine große Rolle gespielt.

 

Das große Thema von Schulz ist die soziale Gerechtigkeit.  Nennen Sie mal ein Beispiel: Wäre es gerechter, wenn die Arbeitgeber wieder wie früher die Hälfte des Krankenversicherungsbeitrags zahlen würden?

Kramme:  Die paritätische Finanzierung ist tatsächlich essenziell. Aber es geht auch um das Thema Arbeitsmarktreformen. Ministerin Andrea Nahles hat angedeutet, dass wir neben dem Mindestlohn mehr für anständige Löhne in Deutschland tun müssen. In den vergangenen 22 Jahren sind für die unteren 40 Prozent der Einkommen die Reallöhne gesunken. Deshalb müssen wir die Tarifbindung wieder  stärken. Der Missbrauch bei der Befristung von Arbeit muss abgeschafft werden. Und es geht  um mehr Mitbestimmung bei Qualifizierung und beim Gesundheitsmanagement. Das werden Themen im Wahlkampf sein.

 

Aber wir hatten doch jetzt vier Jahre lang eine SPD-Sozialministerin.

Kramme: Wir haben eine Menge geschafft, zum Beispiel die Rente mit 63, Mütterrente und Mindestlohn.  Das Arbeitsministerium hat 32 Gesetze gemacht. Aber in einer Koalition mit der Union war der Handlungsspielraum begrenzt.

 

Würden Sie, wie Hannelore Kraft das getan hat, eine Koalition mit der Linken im Bund ausschließen?

Kramme: Ich finde eine Koalition mit den Linken schwierig. Aber die SPD hat sich entschieden, ohne Koalitionsaussage in den Bundestagswahlkampf zu gehen.

 

Auch Sie haben Herrn Schulz gewählt, 100 Prozent sind ja alle.

Kramme: In voller Überzeugung, ja.

 

 Bereuen Sie’s schon?

Kramme: Überhaupt nicht. Und ich sage Ihnen, warum:  Ich mag seine offene, manchmal auch undiplomatische Art, Dinge anzusprechen. Zweitens hat er es immer geschafft, sich in kritischen Situationen selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Drittens:  In Fraktion und Partei ist durch ihn eine neue Stimmung eingekehrt, weil er Mitgliedern und Funktionären Wertschätzung entgegenbringt. Deshalb bin ich überzeugt: Die Truppen werden für ihn kämpfen.

Zur Person

Anette Kramme (49) aus Bayreuth amtiert seit 2007 als Vorsitzende des SPD-Bezirksverbandes Oberfranken. Seit 2013 ist die gelernte Arbeitsrechtlerin, die 1998 in den Bundestag eingezog, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium.

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