Die Geschäftsführerin der Bundeskonferenz für Erziehungsfragen (bke), Silke Naudiet, sagt: „Die Sensibilität ist höher: bei Nachbarn, bei nicht-professionellen Bezugspersonen, aber auch bei Lehrern und Erziehern.“
Ob wirklich mehr Kinder in Gefahr seien, lasse sich nur schwer sagen. Allerdings: „Die Schere zwischen den Kindern, die in schwierigen Bedingungen leben, und denen, die sehr gut behütet aufwachsen, geht auseinander.“
Rund 20 800-mal akute Kindeswohlgefährdung
Eine akute Kindeswohlgefährdung stellten die Jugendämter rund 20 800-mal fest. Das waren 11,7 Prozent mehr als 2014. In knapp 24 200 Verfahren konnte eine Gefährdung der Jungen und Mädchen nicht ausgeschlossen werden; ihr Wohl war latent gefährdet (plus 7,9 Prozent).
Fast zwei Drittel der Kinder, deren Wohl akut oder latent gefährdet war, wiesen Zeichen von Vernachlässigung auf (63,7 Prozent). In mehr als jedem vierten Fall (27 Prozent) deutete alles auf psychische Misshandlung hin. Etwas weniger oft (23,1 Prozent) war nach Einschätzung der Fachleute körperliche Misshandlung im Spiel. Zeichen für sexuelle Gewalt wurden in 4,4 Prozent der Fälle ausgemacht.
Viele Eltern wegen eigener Probleme überfordert
In rund 43 200 weiteren Fällen (plus 4,0 Prozent) kamen die Jugendämter zu dem Ergebnis, dass das Wohl der Kinder zwar nicht in Gefahr war, die Familien aber Unterstützung brauchten. In so mancher Familie seien Eltern überfordert und durch ihre eigenen Probleme abgelenkt, sagte Naudiet.
In fast genauso vielen Fällen (41 300) gaben die Experten Entwarnung: Sie stellten weder eine Gefahr noch einen Bedarf an Hilfe fest (minus 1,0 Prozent).
Polizei, Gerichte und Staatsanwaltschaft machten das Jugendamt am häufigsten auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung aufmerksam (21,7 Prozent). Gut jeder zehnte Tipp war anonym.
Die Jugendämter überprüften etwa gleich oft das Wohl von Jungen und Mädchen. Fast jedes vierte Kind (23,4 Prozent) war jünger als drei Jahre. Mit zunehmendem Alter nehmen die Verfahren ab: 14- bis 17-Jährige machten nur 16,8 Prozent aus.
Anstieg "erschreckend"
Der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU, Marcus Weinberg (CDU), erklärte, der Anstieg der im Jahr 2015 von Jugendämtern betriebenen Verfahren sei erschreckend. Alarmierend sei vor allem die Zunahme von 11,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Fragwürdig sei, warum in Fällen, in denen keine Kindeswohlgefährdung festgestellt worden sei, trotzdem über 1600 Kinder aus den Familien genommen worden seien.
Auffallend sei auch die geringe Kontrolle der jugendamtlichen Entscheidungen durch die Familiengerichte. So hätten Jugendämter in insgesamt 129 485 Fällen nur 10 504-mal die Familiengerichte angerufen. Mit Material von dpa/kna