Kesselring und sein Ringen um den sauberen Ruf der Wehrmacht: Der späte Sieg des Generalfeldmarschalls Die Legende der sauberen Wehrmacht

Von Michael Weiser

Der Bayreuther Albert Kesselring war Fliegergeneral und brillanter Heerführer, der den Abwehrkampf gegen die Alliierten in Italien und an der Westfront führte. Ein Soldat, der sich als Kriegsverbrecher verantworten musste. Und spät einen allerletzten Kampf um den Ruf der Wehrmacht gewann.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Der Krieg war verloren, und der Generalfeldmarschall ging einem ungewissen Schicksal entgegen: Albert Kesselring sollte sich 1947 vor einem Militärtribunal in Venedig verantworten. Ganz ohne Trost wollte ihn einer der Sieger aber nicht ziehen lassen. US-Colonel Potter, Chef der Historical Division der amerikanischen Armee, steckte ihm eine Packung „Camel“ in die Manteltasche. Und einen Beutel Bisquits. Und der Amerikaner fragte den geschlagenen Deutschen. Ob er sich vorstellen könne, „einen gewissen Streifen der Kriegsgeschichte zu beackern?“ Kesselring konnte, vorausgesetzt, „dass man mir in Venedig nicht nach dem Prozess gleich den Kopf abhackt“.

Die Alliierten mochten andere hohe Militärs des „Dritten Reichs“ mit Verachtung behandeln. Wilhelm Keitel etwa, den schon die eigenen Untergebenen hinter vorgehaltener Hand „Lakeitel“ genannt hatten, wegen seiner Speichelleckerei gegenüber Hitler. Nicht aber Albert Kesselring. Ihn hatten die Briten und die Amerikaner fast schon kumpelhaft „Smiling Albert“ genannt – ein Spitzname, der sich erklärt, wenn man sich Fotos von Kesselring im Krieg ansieht. Vor allem aber hatten sie den in Bayreuth aufgewachsenen „lächelnden Albert“ gefürchtet, als einen der brillantesten Befehlshaber Hitlers.

Nach der totalen Niederlage mochte das siegesgewisse Lächeln aus dem verhärmten Gesicht Kesselrings verschwunden sein. Der Respekt seiner Gegner aber blieb. Oder zumindest der Gedanke, dass man bei seiner Geschichte besser nicht zu genau hinsehen sollte. Was genau konnte man denn hochpflügen, wenn man einen „gewissen Streifen der Kriegsgeschichte“ beackerte? Wahrscheinlich Kriegsverbrechen der Deutschen. Aber möglicherweise auch tödliche Fehler der eigenen Kommandeure. Wie noch mal hatte sich Kesselring in Italien so gut gegen eine erdrückende Übermacht der Alliierten behaupten können?

So konnte es geschehen, dass Kesselring lange nach dem Krieg nochmals eine große Schlacht schlug. Und diesmal siegte.

Zunächst aber hatte er sich in Venedig schweren Vorwürfen zu stellen. Kriegsverbrechen warf man dem geschlagenen Feldmarschall vor, die Akte war dick. Aber gab es Beweise? Kesselring blieb bei der Linie der militärischen Notwendigkeit. Wie er Jahre nach dem Prozess einem Journalisten sagte: „Im nächsten Krieg kann man keine Soldaten als Offiziere einsetzen, es müssen schon Juristen sein.“

Nichts für Juristen

Töten oder Getötetwerden. Patronen, keine Paragrafen. So einfach ist das. Das ist der Beruf des Soldaten, wie ihn Kesselring und viele andere sahen. Und getötet wurde viel, auch im sonnigen Italien, das 1943 aus dem Bündnis ausgeschert und daraufhin von den Deutschen besetzt worden war. Am 22. März 1944 etwa in Rom. Kommunisten hatten eine Bombe gelegt, 34 Mann einer deutschen Polizeikompanie starben. Hitler schäumte, befahl blutige Rache. Und Kesselring folgte. „Ich werde jeden Führer decken, der in der Wahl in der Schärfe und der Wahl des Mittels bei der Bekämpfung der Banden über das bei uns übliche zurückhaltende Maß der Mittel hinausgeht.“ Und er machte es zur „Pflicht, im Tatfall die schärfsten Mittel anzuwenden“.

Nicht nur die SS und der SD mordeten, auch normale Soldaten wurden in Italien unter Kesselring zu Mördern. Insgesamt 10 000 Italiener fielen dem Krieg gegen die Guerilla zum Opfer, zum Großteil Zivilisten, Frauen, Kinder, die mitunter in ihren Häusern verbrannten. Tote, die man nach dem Krieg auch Kesselring zur Last legte. Vor allem die des Massakers von Rom: 335 Italiener, erschossen in den Ardeatinischen Höhlen, kurz nach dem Bombenanschlag in der Ewigen Stadt. Was wusste Kesselring von diesem Massenmord? Bis heute ist diese Frage nicht wirklich geklärt. Wie gesagt. Es wurde viel getötet. Und genau gefragt wurde nicht.

Schon während des Prozesses in Venedig arbeiteten – überraschend – die Alliierten an Kesselrings Nachruhm. Vielleicht war es so: Man wollte gegen den Besten gewonnen haben. Wie Generalleutnant Oliver Leese, Chef der 8. britischen Armee, sagte: Kesselring sei „ein sehr tapferer Soldat“ gewesen, der seine Schlachten stets ritterlich und fair gefochten habe. Ja, möglicherweise hätte er, der siegreiche britische General, bei einem anderen Verlauf des Krieges selbst mit einem Todesurteil rechnen müssen. Vielleicht dachten die Briten aber auch an die Anweisungen, die sie angesichts drohender Aufstände in Indien gegeben hatten?

Kurz, Kesselring wurde der Kopf nicht abgehackt, in Venedig fällten die Richter zwar ein Todesurteil, doch zwei Wochen später schon wurde es kassiert. Kesselrings Haft war auch nicht von Dauer, 1952 wurde er entlassen. Wegen seiner angeschlagenen Gesundheit. Wohl aber auch deswegen, weil die westlichen Alliierten das geschlagene Deutschland mittlerweile als Verbündeten benötigten. Wollte man eine Bundeswehr aufbauen, durfte man es sich nicht mit den Galionsfiguren des Soldatentums verderben.

Saubere Wehrmacht

Den Deutschen war es recht. Im Jahre 1945 hatte sich Deutschland seinen unermesslichen Verbrechen stellen müssen. Was für eine Schande! Doch zumindest die Wehrmacht sollte sauber bleiben. Zehn Millionen deutsche Männer, Ehegatten, Väter, Söhne, hatten den grauen Rock getragen. Kaum eine deutsche Familie, die nicht eine Verbindung zur Wehrmacht gehabt hätte.

Und so polierten Politiker und Presse, vom „Stern“ über die „FAZ“ bis hin zum „Spiegel“, den Glorienschein des unpolitischen Spezialisten Kesselring auf. Hatte der Lehrersohn aus Bayreuth nicht alles getan, italienische Kulturgüter zu bewahren? Etwa mit seinem Entschluss, Rom nicht zu verteidigen? Die Stadt blieb wirklich fast unversehrt, wie auch Florenz, wie auch andere alte Städte. Auch für die Zerstörung des berühmten Benediktinerklosters Monte Cassino konnte man Kesselring nicht ernsthaft verantwortlich machen. Tatsächlich hatten Bomben der Alliierten den legendären Bau in Schutt und Asche gelegt. Vom „italienischen Fimmel“ Kesselrings schrieb der Spiegel. So wurde der effiziente Soldat zum Antikenfreund und Bildungsbürger.

Hitlers Helfer

Kesselring war kein fanatischer Nationalsozialist. Aber er blieb Hitler gegenüber loyal. Warum die Mordmaschine Nazi-Deutschlands bis zuletzt funktionierte? Nicht nur wegen der Massenmörder in den Lagern, auch wegen Spezialisten wie Kesselring. Wegen Profis, die nicht nachdenken wollten. Die ihr Funktionieren über ihre Verantwortung stellten. Als „Soldat bis zum letzten Tag“ stilisierte sich Kesselring in seiner Autobiografie, die er geschrieben hatte, „um unseren hervorragenden deutschen Soldaten ein Denkmal zu setzen“. Ein Krieger, der bei allen Härten anständig geblieben sein will. Damit gab der Bayreuther der jungen Bundesrepublik den Ton für Jahrzehnte vor: Die Wehrmacht, die war sauber. Spezialisten, keine Politiker. Nur Instrumente. Kesselring focht seinen Kampf am Ende an der Schreibmaschine. Es war seine erfolgreichste Schlacht.

Albert Kesselring, 1885 in Unterfranken geboren und in Bayreuth aufgewachsen, gehörte zu Hitlers brillantesten und vielseitigsten Befehlshabern. Hitler schätzte außerdem seine Loyalität und seine nicht-adelige Abstammung, eine Wertschätzung, die sich 1940 in der Ernennung zum Generalfeldmarschall niederschlug. Kesselring absolvierte den Ersten Weltkrieg bei der Fußartillerie, wurde später Fliegergeneral und flog selber Einsätze über Frankreich und Polen. Während der Schlacht über England befahl er Luftangriffe auf London. Kesselring führte seine Geschwader auch nach Russland. Später organisierte er Rommels Afrikafeldzug. Nach der Landung der Alliierten in Italien wurde Kesselring am 21. November 1943 zum Oberbefehlshaber Südwest und Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C ernannt. Den Alliierten lieferte er einen zählen Rückzugskampf, mit beträchtlichem Geschick, das ihn  auch für die Kämpfe an der zusammenbrechenden Westfront qualifizierte. Der auch von den Alliierten respektierte Kesselring lud mit seinen scharfen Befehlen zum Kampf gegen Partisanen in Italien große Schuld auf sich. Ein düsteres Kapitel, über das Kesselring auch in seiner Autobiographie nicht ehrlich Aufschluss gab. 1960 starb der Bayreuther.