Kalendereintrag eines Wirtschaftsprüfers wird zum entlastenden Indiz im Prozess um Serienvergewaltigung Eine Zeugin verschwindet im Sexprozess

Von Manfred Scherer
 Foto: red

Ein Kalendereintrag vom 9. Mai 2011 spielt im großen Bayreuther Sexprozess eine möglicherweise entlastende Rolle. Gibt es ein Komplott gegen einen angeklagten Firmenpatriarchen? Die Rache der Enterbten?

 
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Der Kalendereintrag könnte besagen, dass eine Frau nicht dort war, wo sie behauptet: nämlich ganz in der Nähe eines Vergewaltigungstatortes. Als Zeugin dafür, dass der mutmaßliche Täter und das mutmaßliche Opfer überhaupt an diesem Tag zusammengetroffen sind. Der mutmaßliche Täter ist ein 71-jähriger Firmenpatriarch aus Westdeutschland. In Bayreuth steht er wegen einer Serie von Sexualverbrechen seit fünf Wochen vor Gericht.

Das Hauptopfer hat den Angeklagten beschuldigt

Mutmaßliches Hauptopfer des Mannes ist seine heute 48-jährige Tochter, die in Oberfranken lebt. Hier besitzt der Patriarch ein gut gehendes Unternehmen, hier soll ein Teil der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten begangen worden sein. Die Tochter hat, wie berichtet, ihren Vater bezichtigt, sie über Jahre missbraucht und vergewaltigt zu haben. Der 71-Jährige wird auch von seiner Ex-Ehefrau, von seinen beiden Enkelinnen und einer Freundin einer der Enkelinnen weiterer Taten bezichtigt. Der Angeklagte macht von seinem Schweigerecht Gebrauch. Sein Verteidiger meint, sein Mandant sei Opfer eines Komplotts.

Ein deutscher Gerichtssaal ist nicht Hollywood

Wie beweist man ein solches Komplott? In Gerichtsfilmen aus Hollywood geht das so: Beteiligte eines solchen Komplotts werden so lange ins Kreuzverhör genommen, bis sie das Komplott zugeben. Im deutschen Strafrecht läuft das üblicherweise nicht so. Das deutsche Strafrecht stellt im Grunde nur eine Frage: Kann man die Tat beweisen? Und weil bei Vergewaltigung meist Aussage gegen Aussage steht, wird die Frage modifiziert: Wie glaubwürdig ist die Aussage des mutmaßlichen Opfers?

Belastende Aussage, entlastende Aussage

Im Fall eines Sexualverbrechens, das der Angeklagte am 9. Mai 2011 in einem Hotelzimmer des Hilton in Dortmund an seiner Tochter begangen haben soll, ist die belastende Aussage so: Der Angeklagte soll seine Tochter nach einem gemeinsamen Abendessen mit einem Wirtschaftsprüfer zum Hotel gebracht haben, sie aufs Zimmer begleitet und sie vergewaltigt haben.

Es geht um die Rolle der Gewährsfrau

Als Gewährsfrau für die äußeren Umstände dieser Aussage gilt die Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten. Sie soll dabei gewesen sein, als der Angeklagte seine Tochter vom Restaurant zum Hotel fuhr. Sie soll von der Tochter gebeten worden sein, sie und ihren Vater doch aufs Zimmer zu begleiten. Ihr soll der Angeklagte befohlen haben, im Auto zu warten.

Nicht im Restaurant - auch nicht im Auto?

Doch war die Zeugin überhaupt im Auto? Nach den Aussagen zweier Zeugen vom Dienstag war diese Gewährsfrau der Hauptzeugin an diesem Abend nicht, wie von ihr und der 48-jährigen Hauptzeugin behauptet, bei dem Abendessen mit dem Wirtschaftsprüfer dabei. Dessen Ehefrau bezeugt, sie sei damals ausnahmsweise zu einem Geschäftsessen ihres Mannes mit dem Angeklagten mitgekommen. Die damalige Lebensgefährtin des Angeklagten sei bei dem Essen nicht dabei gewesen.

Der Patriarch verdient eine halbe Million im Jahr

Der Ehemann der Zeugin berichtete, seine Geschäftsbeziehung zu dem Angeklagten dauere schon 20 Jahre an. Der Angeklagte sei sehr wohlhabend, sagte der 50-jährige Wirtschaftsprüfer auf Frage des Gerichtsvorsitzenden Michael Eckstein: Das Einkommen des Firmenpatriarchen liege bei bis zu 500 000 Euro pro Jahr. Auch der Wirtschaftsprüfer bezeugte: Nur seine Ehefrau, er selbst, der Angeklagte und dessen Tochter hätten an dem Essen teilgenommen – nicht aber die damalige Lebensgefährtin.

Es sind Zeugen der Verteidigung

Woher die Zeugen das so genau wissen? Sie wurden kurz nach der Verhaftung des Angeklagten von der jetzigen Ehefrau des Angeklagten gefragt, ob sie als Zeugen zur Verfügung stünden. Der Wirtschaftsprüfer erklärte, er könne die Teilnehmer des Abendessens deshalb so genau nennen, weil er in einem Kalendereintrag eine wesentliche Gedächtnisstütze habe.

Kalendereintrag als Gedächtnisstütze

Auf dem Blatt stehen vier Namen. Den Kalendereintrag übergab der Zeuge in Kopie ans Gericht. Im Original steht der Name seiner Ehefrau mit einem anderen Stift geschrieben. Der Zeuge: „Deshalb meine ich, dass meine Frau nachträglich eingeladen worden sein muss.“ Laut dem Kalendereintrag begann das Abendessen um 19 Uhr und dauerte 4,25 Stunden. Demzufolge brachen der Angeklagte und seine Tochter gegen 23.30 Uhr vom Restaurant auf. Zu zweit.

Eine neue Alleinerbin

Für die Komplotttheorie der Verteidigung liefert der Wirtschaftsprüfer Munition: Die Tochter des Angeklagten sei lange als Alleinerbin vorgesehen gewesen, dann aber habe der Patriarch ein Testament zugunsten seiner jetzigen Ehefrau gemacht. In den Prozess ist damit die Rache der Enterbten als Motiv einer möglichen Falschbezichtigung eingeführt.

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