Jäger und Landwirt Alfred Engelbrecht durchstreift die Wiesen auf der Suche nach Rehkitzen Bambis Retter

Von Ulrike Sommerer
Zur Zeit streift Alfred Engelbrecht auf der Suche nach Rehkitzen stundenlang durch Wiesen. Er sucht die Tiere, um sie vor dem Tod durch Mähwerkzeuge zu retten. Foto: Sommerer Foto: red

Das kniehohe Gras raschelt und rauscht als Alfred Engelbrecht durch die Wiese streift. Er pflückt einen Grashalm, spannt ihn zwischen zwei Finger, pfeift darauf. Nichts passiert. Er zuckt mit den Schultern. Früher habe das immer geklappt. Das Grashalm-Geräusch sei dem Fiepen von Rehkitzen ähnlich und könne eine besorgte Rehgeiß anlocken. "Aber die Rehe werden auch schlauer. Die verraten sich nicht mehr."

 
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Engelbrecht lacht. Momentan läuft der 65-Jährige wieder stundenlang Wiesen auf und ab. Von einem Ende zum anderen. Und wieder zurück. Und wieder. Und wieder. Ab und zu bleibt er stehen. "Hier hat vor kurzem ein Reh gelegen", sagt er, deutet auf niedergedrückte Grashalme, das Lager eines Rehkitzes. Engelbrecht ist Landwirt. Jetzt gilt es, die Wiesen zu mähen. Engelbrecht ist aber auch Jäger. In den Wiesen liegen Rehkitze gut versteckt. Eigentlich. Doch wenn die Landwirte mit schweren Maschinen durchs Feld fahren, ist das oft der Tod der jungen Tiere. In solchen Fällen blutet Engelbrecht das Herz. "Wenn sie mir meine Rehkitze totmähen, bin ich krank."

Der Bayerische Bauernverband hat Jäger und Landwirte aufgerufen, bei der Wiesenmahd zu kooperieren. Denn deutschlandweit würden pro Jahr etwa 100 000 Rehkitze bei der Mahd getötet. Es ist eine geschätzte Zahl, eine verlässliche Statistik gibt es nicht, auch keine Meldepflicht, wenn ein Landwirt ein Reh bei der Mahd tötet.

In Ützdorf und Lankendorf (Gemeinde Weidenberg) funktioniert die Kooperation zwischen Landwirtschaft und Jagd. Engelbrecht, der Jäger, lobt seine Landwirtskollegen. Wenn jemand eine Wiese mähen will, werde er immer darüber informiert. Dann geht er los, einen langen Stock dabei, mit dem er Reh-Lagerplätze markieren könnte. Wenn er ein Kitz findet, trägt er es in Sicherheit. Er bettet es in Gras, fasse es nie mit der bloßen Hand an. Seit rund 50 Jahren macht er das, so lange schon, wie er Jäger ist. Er schätzt, dass er in dieser Zeit pro Jahr etwa zehn Kitzen das Leben gerettet hat. Er schätzt auch, dass nur etwa die Hälfte dann tatsächlich auch überlebt. Engelbrecht weiß das, weil er die Kitze markiert. Das ein oder andere Rehkitz sucht sich in einer anderen Wiese ein Lager und kommt dort unter das Mähwerk. Andere holt der Fuchs.

Die Veränderungen in der Landwirtschaft verändern auch den Wildbestand, hat Engelbrecht in all den Jahren beobachtet. Kamen Rehkitze früher noch davon, wenn die Wiese mit einem Balkenmäher gemäht wurde, so haben sie heute gegen die schweren Maschinen keine Chance. Engelbrecht schätzt, dass es heute etwa halb so viel Rehe gebe, wie in seiner Anfangszeit als Jäger. Umso mehr liegt ihm daran, möglichst viele Rehkitze zu finden, ehe die Wiesen gemäht werden. An diesem Vormittag findet er kein Kitz. Die Wiese ist leer. Der Jäger ist etwas enttäuscht - und froh gleichermaßen. Wenn kein Reh hier ist, kann die Wiese gemäht werden.

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