Interview: Stirbt das Buch?

Von Renate Allwicher
Christoph Gondrom leitet seit zwei Jahren in dritter Generation den Loewe Verlag mit Sitz in Bindlach. Gegründet wurde der Verlag im Jahr 1863 in Leipzig. 1965 kaufte Gondroms Großvater den Verlag und holte ihn nach Bayreuth. Im Jahr 1985 zog er nach Bindlach um. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Die Leipziger Buchmesse öffnet ihre Türen: Stirbt das Buch? Es wird überleben! Dies glaubt der Verlagsleiter Christoph Gondrom. Er sieht im Buch eine längst da gewesene Lösung für die neuen Herausforderungen unserer Welt. Denn jeder große Trend führe zu einem Gegentrend, sagt Gondrom. Und das Buch sei ein Ruhepol im Informationsgewitter.

 
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Unsere Welt wird zunehmend digital. Bücher wirken darin manchmal wie Relikte einer analogen Welt. Gibt es für sie noch einen Markt, werden sie überleben? Wer ab Donnerstag durch die Hallen der Leipziger Buchmesse streift, wird Bücher allüberall finden. Ist auch diese Messe ein Relikt? Ein letztes Aufblühen vor dem Untergang? „Keineswegs“, sagt Christoph Gondrom, der seit 2016 wie vor ihm sein Vater und Großvater den im Jahr 1863 gegründeten Loewe Verlag leitet. Zumindest im Kinder- und Jugendbereich – dem Loewe-Stammgeschäft – lebe der Buchmarkt sogar auf. Und überhaupt: Veränderungen verlangten schlicht neue Strategien, sagt Gondrom. Bücher verschaffen den Menschen den größtmöglichen medialen Kick. Und vielleicht sind Bücher sogar die Antwort auf die Digitalisierung.

Was ist die größte Veränderung der Buchbranche seit Gutenberg?

Christoph Gondrom: Die Digitalisierung der Gesellschaft. Diese wirkt auf uns als Verlag in unterschiedlicher Weise. Sie betrifft zum einen – mit vielen Folgewirkungen – die Frage, wo Bücher gekauft werden. Da gibt es die Verlagerung vom stationären Buchhandel hin zum Onlinehandel. Ein anderer bedeutender Aspekt der Digitalisierung ist, womit Menschen – gewollt und ungewollt – ihre Zeit verbringen.

Als Verlag kann Ihnen doch egal sein, wo etwas gekauft wird?

Gondrom: Auf den ersten Blick mag dies so erscheinen, aber die einzelnen Vertriebskanäle haben ganz spezifische Ausprägungen. Und da sticht beim stationären Buchhandel der hohe Anteil von Spontan- und Entdeckungskäufen ins Auge. Laut Studien liegt dieser bei über 60 Prozent. Das heißt, jemand geht rein in den Laden, ohne das explizite Vorhaben, ein Buch zu kaufen. Er entdeckt etwas, und nimmt es mit. Oder er hat vor ein Buch zu kaufen, aber erst im Geschäft trifft er seine Auswahl. Im Onlinehandel sieht das ganz anders aus: Hier dominieren sogenannte Zielkäufe, bei denen der Kunde vorher genau weiß, welches Buch er kaufen will. Hier zeigt sich der wesentliche Vorteil des stationären Handels: Kunden können Dinge entdecken, auf die sie online niemals gestoßen wären. Der wachsende Anteil des Online-Handels führt zu einer verstärkten Polarisierung: Auf der einen Seite stehen riesige Bestseller, die immer größer werden, auf der anderen Seite Flops, die unter Umständen aber teuer eingekauft wurden. Wir stehen ja im Rechteeinkauf in Konkurrenz mit vielen Verlagen. Es macht Spaß sich für einen neuen, tollen Stoff zu engagieren, mitunter kommt mir unsere Arbeit aber wie Roulette vor.

Der Markt ist also riskanter geworden?

Gondrom: Die geschilderte Entwicklung erfordert ein Umdenken bei den Verlagen. Es geht nicht nur darum, tolle Geschichten ausfindig zu machen. Es ist ebenso wichtig geworden, die Stoffe mit effektivem Marketing bekannt zu machen. Während es früher die Hauptaufgabe der Verlage war, den Buchhändler für einen Stoff zu begeistern, müssen wir heutzutage einen erheblichen Anteil unseres Marketings auf den Endkunden richten. Wir sprechen hier davon ‚Awareness‘, also Aufmerksamkeit für Bücher zu erzeugen.

Führt dies dazu, dass bestimmte Themen immer wieder vorkommen, dass die Vielfalt auf der Strecke bleibt?

Gondrom: Da steckt eine gewisse Wahrheit drin. Die Fokussierung auf Bestseller macht es schwierig für sogenannte Midlist-Titel. Dies können besondere Bücher sein, mit besonderer Schreibe, vielleicht das Debüt eines hoffnungsvollen Autors. Diese haben es schwerer als früher, weil sie online nicht so leicht zu entdecken sind, gleichzeitig jedoch nicht immer die notwendige Marketingunterstützung erhalten. In der Folge versuchen Verlage auf beliebte und bekannte Themen zu setzen. Wir versuchen beispielsweise, die Lebenswelt der Kinder abzubilden, weil wir der Meinung sind, dass die Identifikation mit den Protagonisten eine wichtige Voraussetzung für ein zielgruppengerechtes Buch ist. Wir wollen aber auch Akzente setzen, neuen Stimmen eine Chance geben und ein Bücher machen, die aus der Reihe fallen.

Geben die Verlage heute die Themen mehr vor als früher?

Gondrom: Das gab es immer schon in unterschiedlichen Ausprägungen der einzelnen Verlage. Im Kinder- und Jugendbuchbereich stärker als in der Belletristik. Wir geben in einzelnen Marktsegmenten unterschiedlich viel vor. Bei Lernspielbüchern zum Beispiel stammt die Konzeption in aller Regel vom Verlag. Im Kinderbuchbereich ist das vielleicht fifty-fifty, da kommen viele unserer Autoren mit ausgearbeiteten Projektideen. Wir versuchen aber immer in einem frühen Stadium mit dem Autor zusammen etwas zu entwickeln; es ist hilfreich, sich auszutauschen und den Plot ein Stück weit gemeinsam zu entwickeln. Im Jugendbuchbereich ist der Anteil der Stoffe, der von Autoren oder den sie vertretenden Agenturen kommt, am höchsten. Aber auch in diesem Segment gibt es Projekte, die in unserer Redaktion erdacht wurden und mit denen wir auf Autoren zugehen.

Wie sieht die konkrete Strategie Ihres Verlages aus?

Gondrom: Auf das Credo unseres Verlages bin ich sehr stolz. Es lautet: Wir machen Bücher, die Kinder und Jugendliche lesen wollen und nicht welche, die sie lesen sollten. Wir verstehen uns nicht als Institution, die von oben herab Empfehlungen gibt, sondern wollen uns in die Zielgruppe hineinversetzen und dann das passende Buch machen. Wir wollen Begeisterung fürs Lesen wecken, das nehmen wir sehr ernst als Verlag. Und unsere Arbeit macht dann am meisten Spaß, wenn wir von den Lesern die Rückmeldung bekommen, dass sie ein Buch begeistert hat.

Kinder wollen also nach wie vor lesen? Dann haben Sie die beste Zielgruppe am Buchmarkt?

Gondrom: Es stimmt, Kinder und deren Eltern sind eine dankbare Zielgruppe. Aber auch wir müssen aufpassen. Bei einer Branchenveranstaltung berichtete ein Hirnforscher, dass die Anregung des Gehirns bei der Nutzung verschiedener Medien unterschiedlich ausfällt. Bei Handy- und Tablet-Konsum, zum Beispiel dem sogenannten Casual Gaming, erfährt das Hirn sehr schnell eine Stimulation, die aber niemals über einen gewissen Grad hinausgeht. Beim Lesen eines Buchs hingegen dauert es vielleicht bis man reinkommt, aber dann erfährt das Gehirn die größtmögliche Stimulation aller Medien. Man kennt das: Wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln liest, dauert es mal kürzer, mal länger, aber irgendwann ist die Welt um einen herum ausgeblendet. Man ist in die Welt des Buchs eingetaucht. Dieser Effekt ist tatsächlich in Hirnströmen nachweisbar. Das heißt, das Buch bringt die höchste Befriedigung. Unsere Herausforderung ist es nun, Kinder und Jugendliche nicht zu verlieren, weil die schnelle Stimulation über Smartphones verlockender erscheint.

Was hilft?

Gondrom: Wir müssen beim Layout den veränderten Medienkonsumprozessen Sorge tragen. Das Gehirn der Kinder wird heutzutage mit viel mehr Informationen bombardiert als es früher der Fall war. Folglich entwickelt das menschliche Gehirn Strategien, dieser Informationsflut Herr zu werden. Das bedeutet auch, dass Kinder und Jugendliche Informationen stärker filtern. In Zeitungen gibt es dafür zum Beispiel mehr Zwischenüberschriften, die die schnelle Informationsaufnahme unterstützen. Bei Büchern geht es darum, durch Worthervorhebungen und Illustrationen Lesepausen und Auflockerungen zu schaffen. Der normale Fließtext dient aus. Für Erwachsene mag ein solches Satzbild vielleicht unruhig wirken. Aber für Kinder und Jugendliche wird so der Einstieg in die Lektüre erleichtert. Selbst Kinder, die noch keine Lesebegeisterten sind, sollen beim Aufschlagen eines Buches denken: ‚Das kann ich schaffen!‘. So groß der Änderungsbedarf ist und so hart wir an einer neuen Generation von Kinderbüchern arbeiten müssen, diese Arbeit wird belohnt: Wenn wir es nur richtig machen, gute Inhalte, gute Texte, Themen, die Identifikationspotenzial bieten und im Layout die Zielgruppe abholen, dann ist ein Buch etwas, das Kinder und Jugendliche gerne in die Hand nehmen. Der Veränderungsprozess, den wir gerade erleben, betrifft also nicht nur Buchhandlungen, für die er dramatisch ist, sondern es ist auch ein inhaltlicher Prozess. Wir müssen die Bücher an die veränderten Medienkonsumprozesse anpassen, sie zeitgemäß machen. Wenn wir das richtig machen, sehe ich große Chancen.

Sie sagen, für die Buchhandlungen sei die Entwicklung dramatisch. Auch in Bayreuth haben zwei geschlossen – dafür zwei andere eröffnet. Hat das Buch also eine Zukunft, aber eine kleine?

Gondrom: Die Neueröffnungen machen uns allen viel Mut. Ohne Buchhandlungen werden nicht nur die Verlage Probleme haben. Eine solche Entwicklung hätte massive Folgen für die ganze Gesellschaft. Zum Beispiel Leerstände in den Innenstädten, die in der Folge noch weniger frequentiert würden. Die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen sinken. Hier müssen Verlage und Buchhandlungen zusammen noch besser kommunizieren, warum es wichtig ist, in Buchhandlungen zu kaufen: Der Buchhändler kann beraten und inspirieren, Algorithmen führen dagegen zu Uniformität: Ein Algorithmus schlägt immer etwas vor, das ganz nah an dem ist, was man bereits gelesen hat. In der Buchhandlung kann ich etwas ganz anderem begegnen. Das öffnet meinen Horizont!

Dank der Preisbindung sollten es Bücher doch ohnehin leichter haben, gegen den Onlinehandel zu bestehen, als andere Produkte?

Gondrom: Die Buchpreisbindung ist geschaffen worden um das Kulturgut Buch zu schützen. Wir kämpfen alle dafür, dass sie erhalten bleibt. Und richtig: Sie schützt zudem in gewisser Weise den stationären Buchhandel. Wenn sie nun fiele, was zum Glück nicht in Aussicht steht, dann würde das dazu führen, dass große Marktakteure wie Amazon zu Quasi-Monopolen werden. Verlieren würden die kleinen und mittleren Buchhandlungen, also gerade die, die besondere Bücher im Angebot haben, die mit Herzblut Empfehlungen geben, die Bücher anbieten, die über den üblichen Einheitsbrei hinausgehen. Ich bin eher optimistisch: Ich glaube, dass Buchhandlungen sich behaupten können. Ein Blick in den US-Markt bringt da erstaunliches zu Tage: Der stationäre Buchhandel ist gewachsen, der Buchmarkt insgesamt stabil geblieben und der Kinderbuchmarkt steigt gar seit fünf Jahren ununterbrochen.

Die vielzitierte Krise des Buchhandels ist also gar keine mehr?

Gondrom: Jeder große Trend führt zu einem Gegentrend. Insofern ist es gerade die Digitalisierung als größter gesellschaftlicher Prozess, der auch seine andere Seite hat. Denn Digitalisierung bedeutet auch Flüchtigkeit, dauernde Erreichbarkeit und Oberflächlichkeit. Und immer mehr Menschen steuern dagegen. Dabei bietet ihnen das Buch Haptik, Ausschließlichkeit und Tiefe. Und mehr noch: Das Buch wird zum Ruhepol im Informationsgewitter. Für uns steckt in derzeitigen Entwicklung demnach die Chance, das Buch langfristig als Medium zu bewahren und seine Bedeutung vielleicht sogar noch zu steigern.