Interview mit Professor Wolfersdorf Sterbehilfe: Immer mehr psychisch Kranke suchen Suizidbeihilfe

Von Elmar Schatz
Professor Manfred Wolfersdorf, Bayreuth, Foto: red Foto: red

Gleich vier Gesetzesentwürfe gibt es aktuell zur Sterbehilfe. Das Thema gewinnt an politischer Brisanz. Aber auch immer mehr psychisch Kranke suchen tatsächlich Beihilfe zur Selbsttötung, sagt Professor Dr. Manfred Wolfersdorf, Chefarzt und Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Bayreuth. Wie er über Suizidbeihilfe bei psychisch Kranken denkt, sagt er in diesem Interview.

 
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Herr Professor Wolfersdorf, warum ist Suizid-Beihilfe für die Psychiatrie ein wichtiges Thema geworden?

Professor Manfred Wolfersdorf: Das hängt damit zusammen, dass es in Deutschland Organisationen gibt, zum Beispiel Dignitas, die Suizid-Beihilfe auch für psychisch Kranke anbieten. Für die Psychiatrie ist Suizidalität Ausdruck einer Notsituation. Vorbeugung gegen Suizid ist deswegen eine Kernaufgabe von Psychiatrie und Psychotherapie. In den letzten Jahren nimmt der Anteil an Menschen zu, die allein wegen einer psychischen Erkrankung zur Suizid-Beihilfe zum Beispiel in die Schweiz gehen - über Dignitas oder Exit. Nach Schätzungen, die wir kennen, sind das um die 300 Menschen – Tendenz steigend. Diese Menschen sind aber normalerweise der psychosozialen, medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Fürsorge anvertraut.

Wie stehen Sie persönlich zur Sterbehilfe?

Wolfersdorf: Das Problem ist die Suizidbeihilfe für psychisch kranke Menschen. Meine persönliche Auffassung ist: Sterbebegleitung ist Hilfe nicht zum Sterben, sondern Hilfe beim Sterben. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit. Da gehört dazu: Sterben lassen, Begleiten im Sterbeprozess und die Möglichkeiten der passiven Sterbebeihilfe, zum Beispiel die terminale Sedierung. Das betrifft aber im Wesentlichen Menschen mit terminalen, somatischen, körperlichen Erkrankungen. In Oregon/USA ist in solchen Fällen vorgeschrieben: Sie kriegen nur dann Suizidbeihilfe, wenn sie sowieso innerhalb des nächsten halben Jahres verstorben sein werden.

Wie gehen Sie mit psychisch Kranken um, die den unbedingten Wunsch haben, zu sterben?

Wolfersdorf: Wir als Psychiater stehen im Spannungsfeld zwischen Respekt vor der Selbstbestimmungsfähigkeit und dem Selbstbestimmungsrecht eines Menschen. Und auf der anderen Seite haben wir die ethische Verpflichtung zur Benefizienz, das heißt: Zum Gutes tun, zum Schadenabhalten. Wir wissen, dass bei psychisch kranken Menschen die Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkt ist - mal mehr, mal minder. Denn ein Kennzeichen der Selbstbestimmungsfähigkeit ist, entscheiden zu können zwischen verschiedenen Alternativen. Wenn ich aber in einer Situation bin, in der ich der Meinung bin, dass mir nur der Suizid bleibt, nur die Selbsttötung, beziehungsweise die Tötung auf Verlangen, dann ist das keine selbstbestimmte Entscheidung mehr, sondern massive Einengung auf nur noch ein Thema.

Was also tun?

Wolfersdorf: Meine Position ist: Förderung von Hilfen, im Leben zu bleiben. Dieses Leben muss aber dann auch wirklich schmerzfrei, angstfrei -  frei von Atemnot - sein. Bei psychisch kranken Menschen bin ich grundsätzlich gegen Suizidbeihilfe. Weil eine psychische Erkrankung selber bereits die Selbstbestimmungsfähigkeit tief einschränkt. Deswegen plädieren wir dafür, dass psychisch Kranke für eine Suizidbeihilfe nicht infrage kommen - sondern für Hilfen, im Leben zu bleiben. Wir plädieren für die Strategie des Aufschubs, weil der psychisch Kranke erst in die Lage versetzt werden muss, sich zu entscheiden. Die Wiederholungszahl von Suizidversuchen ist minimal, zwischen sechs und zwölf Prozent. Die meisten suizidalen Handlungen geschehen im Kontext einer psychischen Erkrankung, in einem Ausnahmezustand. Das sind 90 Prozent. Und die meisten suizidalen Handlungen, ebenfalls über 90 Prozent, sind kurzfristige Entscheidungen - innerhalb von 24 Stunden. Die wissenschaftliche Lage zur Selbstbestimmung ist nicht belastbar. Das kann man eindeutig sagen.

Hintergrund: Parteienübergreifender Vorschlag zur Sterbehilfe

(dpa) In Deutschland soll es künftig keine organisierte, gewerbsmäßige Sterbehilfe mehr geben. Das ist die übereinstimmende Absicht aller vier fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfe im Bundestag für eine Neuregelung derSterbehilfe. Sie reichen von einer weitgehenden Freigabe - sofern die Hilfe nicht am Profit ausgerichtet ist - über eine ärztlich assistierte Selbsttötung bis hin zu einem weitreichenden Verbot derSterbehilfe.

Nach geltender Rechtslage sind Suizid und Beihilfe nicht strafbar, aktive Sterbehilfe ist dagegen verboten. Noch in diesem Jahr will der Bundestag über die Neuregelung entscheiden. Zuletzt legte am Mittwoch eine Gruppe Abgeordneter der Großen Koalition ihren Entwurf vor. Sie wollen es Ärzten erlauben, sterbenskranken und extrem leidenden Patienten beim Suizid zu helfen. Die Parlamentarier um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) sowie die SPD-Fraktionsvize Carola Reimann und Karl Lauterbach wollen mit ihrem Entwurf für Ärzte und Patienten Rechtssicherheit schaffen.

Denn das ärztliche Standesrechte werde in diesem Punkt in den regionalen Ärztekammern sehr unterschiedlich gehandhabt, argumentieren die Abgeordneten. In Bayern etwa sei der ärztlich assistierte Suizid erlaubt, in Berlin nicht.

Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) Frank Ulrich Montgomery stellte sich gegen den Vorschlag: „Man soll nicht durch den Arzt sterben, sondern an der Hand des Arztes in den Tod begleitet werden“, sagte der Mediziner im ARD-„Morgenmagazin“. Die erste Lesung aller Gruppenanträge ist für den 2. Juli geplant und damit noch vor der Parlaments-Sommerpause. Anfang November will der Bundestag dann einen Beschluss fassen.

Die SPD-Politikerin Reimann sagte, sollte der Entwurf ihrer Gruppe Gesetz werden, würde den Sterbehilfevereinen die geschäftliche Grundlage entzogen und niemand müsste mehr ins Ausland fahren, um Hilfe beim Sterben zu bekommen. Hintze wies darauf hin, dass Hilfe zum Suizid in Deutschland ohnehin schon seit 150 Jahren straffrei sei. Im Gegensatz zu den anderen Entwürfen will die Gruppe dazu eine Erlaubnisvorschrift im Zivilrecht schaffen und kein Verbotsgesetz im Strafrecht, wie Hintze sagte. Nach Darstellung Lauterbachs - der selbst Arzt ist - stellt sich in etwa 500 Fällen im Jahr die Frage des assistierten Suizids.

Die schärfste strafrechtliche Regelung sieht dagegen eine Gruppe um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU) vor. Sie will mit einem neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch „Anstiftung und Beihilfe an einer Selbsttötung“ verbieten. Nur in extremen Ausnahmefällen von großem Leid solle dies straffrei bleiben. Eine Gruppe um Renate Künast (Grüne), Petra Sitte (Linke) und Kai Gehring (Grüne) betont die Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid. Sie will aber Beihilfe zur Selbsttötung „aus Gründen des eigenen Profits“ bestrafen. Sterbehilfevereine sind ausdrücklich erlaubt, sofern sie keinen Profit erzielen wollen.

Eine fraktionsübergreifende Gruppe um Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Grüne) will die geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe unter Strafe stellen. Das ziele gegen „Vereine oder einschlägig bekannte Einzelpersonen“. Suizidbeihilfe, „die im Einzellfall in einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird“, solle ausdrücklich nicht kriminalisiert werden. Der Entwurf wird derzeit noch als sehr aussichtsreich angesehen.

Einig sind sich alle Abgeordneten-Gruppen darin, dass noch vor einer Neuregelung der Sterbehilfe eine bessere Versorgung von Sterbenden in der Palliativ- und Hospizmedizin nötig ist. Ein entsprechendes Gesetz von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wurde am Mittwoch in erster Lesung im Bundestag behandelt. Gröhe will dazu zusätzlich etwa 200 Millionen Euro in die Hand nehmen. Ambulante wie stationäre Palliativ- und Hospizversorgung zu Hause, in Pflegeeinrichtungen, Hospizen oder Krankenhäusern soll flächendeckend ausgebaut werden.

Zur Person

Professor Manfred Wolfersdorf hat selbst eine Ethiker-Ausbildung im Gesundheitswesen. Der Chefarzt und Ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Bayreuth ist Vorsitzender einer Task Force (Arbeitsgruppe) der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie-, Psychotherapie und Nervenheilkunde (GPPN), der ältesten Psychiater-Vereinigung Deutschlands seit 1852. Der Task Force "Ärztlich Assistierter Suizid – Suizidbeihilfe" gehören namhafte Medizinethiker, Psychiater, Psychologen, Internisten und Juristen an, insgesamt 16 Mitglieder, die sich seit Frühjahr 2013 mit der Thematik Suizidbeihilfe bei psychisch kranken Menschen beschäftigen.

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