Herr Fuchs, wenn einem Sänger während der Aufführung von einem Ton zum nächsten die Stimme wegbleibt – was ist dann passiert?
Fuchs: Dann ist wohl ein akutes Problem aufgetreten, typischerweise eine Stimmlippeneinblutung. Das heißt, es ist unter den mechanischen Belastungen des Singens ein kleines Gefäß in der Stimmlippe geplatzt. Das führt von einem Moment auf den anderen dazu, dass die Stimmlippe viel schwerer wird und nicht mehr richtig schwingen kann. Dann bleibt die Stimme weg. Das ist aber etwas sehr seltenes. In einer stimmärztlichen Karriere erlebt man das nur wenige Male.

Der Sänger muss in diesem Fall die Vorstellung abbrechen. Was kann der Mediziner dann tun?
Fuchs: In dem konkreten Fall nichts anderes als abzuwarten und Stimmruhe zu empfehlen. Das ist wie ein blauer Fleck, der sich resorbiert. Irgendwann wird das Blut in der Stimmlippe komplett vom Gewebe aufgesogen. Das dauert etwa zwei bis drei Wochen. In dieser Zeit ist der Sänger nicht singfähig. Man kann wenig tun, um den Prozess zu beschleunigen. Es hilft nur Sing- und weitgehendes Sprechverbot.

Sie arbeiten ja eng mit den Bayreuther Festspielen zusammen. Wie viele Sänger pro Festspielzeit müssen Sie behandeln?
Fuchs: Pro Spielzeit sind das drei bis fünf Sänger. Es gibt aber auch in Bayreuth selbst Ärzte, die Sänger im Rahmen von akuten Infekten betreut, etwa wenn es um ein HNO-ärztliches Problem geht. Klassischerweise sind unsere Patienten diejenigen, die längerfristig sängerische Probleme haben, die dann unter den enormen Belastungen wie in Bayreuth aufbrechen. Das heißt aber nicht, dass der Sänger in dem Moment nicht singfähig ist.

Wie können Hormone die Stimme einer Sängerin beeinflussen?
Fuchs: Während der Zeit der Geschlechtsreife durchlaufen die Hormone einer Frau ständige Wechsel und die können Einfluss auf die Gewebe des Stimmapparates nehmen. Sexualhormone, die eigentlich eine ganz andere Funktion haben, führen beispielsweise zu Wassereinlagerungen in den Stimmlippen. Gerade bei Sängerinnen mit dramatischen Partien – wie bei Wagner – kommt zu dieser Empfindlichkeit aufgrund der hormonellen Einwirkung die enorme mechanische Belastung hinzu. Diese beiden Faktoren können zu Beschwerden führen.

Kann ein Sänger, der sich vor einer Aufführung nicht hundertprozentig fit fühlt, durch ein Hormonpräparat seine Leistung steigern?
Fuchs: Nein. Das geht nicht. Davon sollte man dringend abraten. Es gibt aber im Sinne einer medizinischen Behandlung Gruppen von Hormonen, die eine sehr stark abschwellende und gegen-entzündliche Wirkung haben. Die kann man in Ausnahmefällen einsetzen, um beispielsweise eine kleine Schwellung in den Stimmlippen zu behandeln, um so die sängerische Belastungsfähigkeit wieder herzustellen. Das muss man aber hochindividuell entscheiden. Denn man muss sicherstellen, dass nach der sängerischen Belastung unbedingt eine stimmliche Erholungsphase kommt. Sonst kommt das Problem in viel schlimmerer Weise zurück.

Einige Hochleistungssportler könnten ihre Spitzenleistung ohne Doping gar nicht erbringen. Wie sieht es bei den Hochleistungssängern aus?
Fuchs: Ein Hormondoping ist beim Hochleistungsgesang nicht möglich. Was wir – als Phonieater – zuweilen aber machen müssen, ist ein „Psychodoping“. Das heißt, dass durch eine gewisse psychologische Unterstützung der Sänger auf der Grundlage der klinischen Befunde diese Höchstleistungen bewältigt werden können.

Wie wirkt sich die Schwangerschaft auf die Stimme einer Sängerin aus?
Fuchs: Wir wissen, dass es im dritten Drittel der Schwangerschaft vermehrt Wassereinlagerungen in den Stimmlippen gibt, die zu einer Einschränkung der sängerischen Belastungsfähigkeit führen. Die verschwinden erst etwa ein halbes Jahr nach der Entbindung. Das ist auch klassischerweise die Zeit, in der eine Sängerin nicht singen kann. Dazu kommt die zunehmende Größe des Kindes im Mutterleib, was die Stütz- und Atemfunktion einschränken kann. Wir können beobachten, dass spätestens ab der 32. Schwangerschaftswoche, bei Sängerinnen dramatischer Partien bereits ab Ende der 20. Schwangerschaftswoche, nicht mehr öffentlich gesungen werden kann.

Gibt es auch positive Einflüsse einer Schwangerschaft auf die Stimme?
Fuchs: Dadurch, dass Frauen einmal gespürt haben, wie ein Kind in ihrer Körpermitte gewachsen ist, erinnern sich einige auch später an das Gefühl der Körpermitte. Das hilft beim Stützvorgang, wenn es darum geht, die Muskulatur des Zwerchfells und der Bauchdecke so zu koordinieren, dass der Ausatemluftstrom ideal gesteuert wird. Das muss jeder Sänger tun, aber die Erinnerung an dieses Gefühl hilft offensichtlich dabei, diese Körpermitte zu finden. Das haben übereinstimmende mehrere Sängerinnen beschrieben. Zudem berichten Sängerinnen, dass ihre Stimmen nach der Schwangerschaft voluminöser geworden sind und ein dunkleres Timbre haben.

Stimmt es, dass es früher in den künstlerischen Betriebsbüros der Opernhäuser Regelkalender gab, in die die Menstruationstage der Sängerinnen eingetragen waren?
Fuchs: Das hat man früher regelmäßig gemacht, die Künstlerischen Betriebsbüros waren sehr bereit dazu. Heutzutage wollen das aber die Sängerinnen nicht, weil sie befürchten, dass die Rolle dann mit einer anderen Sängerin besetzt wird. Einige Sängerinnen haben berichtet, dass sie während dieser Tage stimmlich eingeschränkt waren und außerhalb ihrer Möglichkeiten gesungen haben.

Das Gespräch führte Roman Kocholl