„Ich war schon ein bisschen einsam“ Autorin Tanja Kinkel über Frauen in der Geschichtsschreibung und ihren Bezug zu Science-Fiction

Von Michael Weiser
 Foto: red

Manduchai, die letzte Kriegerkönigin“ – so heißt Tanja Kinkels kürzlich erschienenes Buch. Darin stehen sich mächtige Herrscherinnen gegenüber. Die Geschichte aus der Sicht von Frauen, das ist es, was die Bamberger Schriftstellerin an diesem Thema fasziniert hat.

 
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Frau Kinkel, waren Sie ein einsames Kind?
Tanja Kinkel: In meiner Schulzeit hatte ich einige Freundinnen, aber nicht sehr viele. Ansonsten war ich teilweise schon ein bisschen einsam. Das hat sich dann aber gegeben. Als Teenager ist man eben auch wahnsinnig dünnhäutig. Ich habe sogar die Klasse gewechselt und kam in der Kollegstufe wieder mit den Leuten zusammen, derentwillen ich die Klasse gewechselt hatte, und wir kamen auf einmal bestens miteinander aus. Wir waren eben alle miteinander älter geworden. Und jetzt gehe ich, wenn ich kann, sehr gerne einmal im Jahr zu unseren Jahrgangstreffen. Aber ja, ich habe begeistert gelesen und geschrieben, und das sind nicht unbedingt die geselligsten aller Hobbys.

Wann kamen Sie denn darauf, Ihren Mitmenschen Geschichten erzählen zu wollen?
Kinkel: Bei der allerersten Geschichte ging’s um einen kleinen Jungen namens Josef, der bei den Hausaufgaben einschläft und im Wilden Westen wieder aufwacht und dort mit den Indianern ein paar Abenteuer erlebt. Das war wohl ein Resultat meiner Karl May-Lektüre. Da war ich acht. Und die Geschichte habe ich nicht vielen Leuten gezeigt. Als ich dreizehn war, habe ich versucht ein paar Romane zu schreiben, die gingen allerdings nur über ein paar Schulhefte, aus Mangel an Ausdauer. Ich habe außerdem Kurzgeschichten geschrieben und natürlich Gedichte, weil man das ja so in diesem Alter tut.

Wer war Ihr erstes Publikum?
Kinkel: Die Familie, meine Eltern und mein jüngerer Bruder. Später ein, zwei Freundinnen, gelegentlich habe ich eine Geschichte meinem ehemaligen Deutschlehrer gegeben.

War er ein strenger Richter?
Kinkel: Nein, aber ein guter. Ich weiß allerdings noch: Bei der ersten Kurzgeschichte, die ich ihm gezeigt habe, war er sehr besorgt und fragte, ob bei mir zu Hause alles in Ordnung sei. Ich hatte gerade Edgar Allen Poe gelesen und habe dann eine Kurzgeschichte geschrieben, in der Kannibalismus vorkam und ein wahnsinniger Ich-Erzähler. Das hat meinem Deutschlehrer doch zu schaffen gemacht.

Und mit 19 Jahren schon brachten Sie ihren ersten kommerziell erfolgreichen Roman heraus.
Kinkel: Das war der erste Roman, den ich fertiggeschrieben habe. Ich zog damals nach München, wohnte allein, hatte Ruhe, und habe während des ersten Semesters an der Uni meinen ersten Roman fertiggeschrieben, den über Byron. Dieser und der nächste Roman waren kommerziell noch nicht so erfolgreich, weil sie als Taschenbuch erschienen waren. Aber ich bekam den bayerischen Staatsförderpreis für junge Autoren für diese beiden Romane, das hat den Verlag beeindruckt, und so wurde ich mit dem dritten Roman zu den Festeinbänden befördert. Das ist dann der Punkt, ab dem man als Autor vom Schreiben leben kann.

Belastet einen der Erfolg?
Kinkel: Der dritte Roman (Die Puppenspieler, 1993, Anm. der Red.) war der Durchbruch auf den Bestsellerlisten, und das ersparte mir die Frage, ob ich wohl noch einen zweiten erfolgreichen Roman schreiben könnte. Eine Bürde war, dass ich eine junge Autorin war und nicht dem üblichen Weg für junge Autoren gefolgt bin, nämlich, einen autobiografischen Roman zu schreiben.

Vermutlich für Leute, die so genannte ernste Literatur schreiben wollen, der richtige Weg...
Kinkel: Das kann ab und zu drollig werden. Ich habe mal in Sulzbach-Rosenberg gelesen, im Literaturarchiv, bei so einer Veranstaltung, wo jede Stunde ein anderer Autor gelesen hat. Und da ist tatsächlich eine Frau aufgestanden und hat gefragt, was ich da wolle? Ich schriebe ja doch wohl unterhaltsam. Ich halte diese Unterscheidung zwischen E und U, ernst und unterhaltsam, für einen Fehler. Einer der Autoren, die ich während des Studiums kennengelernt habe, hat vorwiegend historische Romane geschrieben und wurde von den Kritikern bis auf seinen bekannten Gegenwartsroman schief angeschaut. Der Gegenwartsroman war Erfolg, und der Autor hieß Lion Feuchtwanger. Das war ein Erfolgsautor, einer der wenigen, die auch im Exil vom Schreiben leben konnten.

Sie recherchieren, Sie schreiben, halten Lesungen, engagieren sich in Organisationen, kennen sich in Geschichte wie in Filmen aus. Wie viele Stunden hat Ihr Tag?
Kinkel: Ich habe eine Doppelgängerin, die für mich die schriftstellerische Arbeit erledigt. Nein, wenn Sie sich mal anschauen, was Menschen so alles schaffen, dann ist es nicht außergewöhnlich, was ich tue. Ich unterstütze eine Institution, das Erich-Kästner-Kinderdorf, wo Kinder therapiert werden, die körperlich oder seelisch misshandelt wurden. Bei den Leuten dort frage ich mich, wie die das machen. Sie sind 365 Tage im Jahr und 24 Stunden täglich für diese Kinder da. Wenn ein Kind schlimm misshandelt wurde, dann können Sie nicht sagen, ich bin nur von neun bis fünf zuständig. Dann müssen sie für das Kind 24 Stunden da sein. Ich mache nicht mehr als andere Leute, ich mache nur manchmal eine vielleicht unkonventionellere Arbeit.

Sie schildern in „Die Puppenspieler“ Jakob den Reichen als gar nicht so unsympathischen Unternehmer. Was könnten heutige Unternehmer von diesem Fugger lernen?
Kinkel: Die manipulativen Fähigkeiten Jakobs sind etwas, was den meisten guten Geschäftsleuten quer durch die Epochen gemeinsam ist. Was nicht nur für Geschäftsleute wichtig wäre, das ist seine Fähigkeit, das Potenzial in anderen Menschen zu erkennen. Wenn man ausschließlich ein Ego-Mensch ist, dann kann man das wahrscheinlich nicht so wie Jakob. Im Buch fördert er Richard, der ist keine historische Gestalt. Aber Jakob hatte tatsächlich verschiedene Protegés. Er hatte diese Fähigkeit, Leute einzuschätzen. Das klingt kalt, und das ist es in einer gewissen Hinsicht auch, aber es ist auch Nachweis der Fähigkeit, außerhalb von sich selbst noch andere Menschen wahrnehmen zu können.

Schriftsteller stellt man sich manchmal weltfremd vor. Wie sieht Ihre Arbeit aus? Über Folianten gebeugt, in Archiven sitzend?
Kinkel: Ich blättere in Folianten herum, aber wenn das meine einzige Recherchemöglichkeit wäre, glaube ich nicht, dass ich als Schriftstellerin besonders gut wäre. Quellenrecherche ist wichtig, aber wenn Sie Menschen glaubwürdig beschreiben wollen, egal aus welcher Zeit, dann müssen Sie auch aktiv in der Menschheit leben. Und Zuhören ist dabei ein sehr wichtiger Teil.

Für Ihren Roman Götterdämmerung hörten Sie sogar Bill Clinton und Henry Kissinger zu...
Kinkel: Ach, das war faszinierend und surreal. Die Kissinger-Begegnung hatte ich meinem Namensvetter zu verdanken, mit dem ich nicht verwandt bin, den ich aber kenne, dem ehemaligen Außenminister Klaus Kinkel. Als ich damals zum Recherchieren in die USA gegangen bin, dachte ich mir, ich frage mal, ob er mir einen Kontakt zu Politikern herstellen könne. Er fragte, ob ich an Kissinger interessiert sei. Da sagt man natürlich nicht nein. Auf diese Weise kam es zu der Stunde in Kissingers Büro in der Fifth Avenue. Ich war natürlich vorbereitet, unter anderem durch die Lektüre von Christopher Hitchens kritischem Buch (The Trial of Henry Kissinger, Anm. der Red.).

Die Hauptfigur in meinem Buch ist ein Journalist, der über die oberirdischen Atomtests in den 50er-Jahren schrieb, als die USA in Kauf nahmen, dass ein Teil der Bevölkerung lebensgefährlich erkrankt und stirbt. Und ich dachte mir, ich kann Kissinger dazu fragen, eben weil er nichts damit zu tun hat. Nur ein paar unverfängliche Fragen dazu, wie er persönlich darüber denkt. Ich hatte gar nicht danach gefragt, aber er sagte darauf: Ich war schon immer gegen den Einsatz von Nuklearwaffen. Da dachte ich mir, willst du mich veralbern? Ich weiß, dass man dich auf Band hat, wie du dafür plädierst, diese Waffen in Kambodscha einzusetzen.

Sie rücken gerne starke Frauengestalten ins Zentrum. Finden Sie, dass Geschichte zu oft aus Sicht der Männer erzählt wird?

Kinkel: Ja, aber das verschiebt sich, in der Belletristik wie in Sachbüchern. Weibliche Figuren waren lange nichts anderes als die Belohnung des Helden am Schluss. Und damit blendete man die Hälfte der Menschheit aus. Auf die Idee zu Manduchai bin ich gestoßen, als ich ein Buch über mongolische Geschichte aus weiblicher Perspektive gelesen habe. Dreihundert Jahre Geschichte aus weiblicher Perspektive! Da gab es eine Menge interessanter Frauen, aber Manduchai war die interessanteste, eben weil es in China zu der Zeit eine weitere Frau gab, die ebenfalls das Sagen hatte.

Sie sind ein Trekkie, schreiben auch Science Fiction etwa für die Perry Rhodan-Reihe. Wie das?

Kinkel: Mein Vater war ein Leser der ersten Stunde, da war der Kontakt früh hergestellt. Später suchten wir dann mal nach einem Titel für einen Roman von mir, und jemand kam auf Säulen der Ewigkeit. Ich erinnerte mich, dass es einen Perry-Rhodan-Roman mit diesem Titel gab und rief beim Verleger an. Der Verleger, Klaus Frick, ein sehr netter Verleger, hatte nichts dagegen, dass wir den Titel verwendeten. Als er mich später fragte, ob ich eine Episode schreiben würde, sagte ich sofort: Klar!

Klingt aber schon nach hartem Umschalten.

Kinkel: Es hat viel Verwandtes. Das eine ist die Realität, aus der sich unsere Realität entwickelt hat, und Science Fiction beschreibt die Realität, in die sich die Realität verwandeln könnte.

Das Gespräch führte Michael Weiser